Eine persönliche Bemerkung mit geopolitischer Aussagekraft
USA’s früherer Außenminister Mike Pompeo wurde nach eigener Darstellung hellhörig, als Wladimir Putin ein Treffen mit einer persönlichen Frage eröffnete. „Sie kommen aus Kansas, oder“, habe Putin gesagt. Pompeo bestätigte es, woraufhin Putin nachsetzte: „Und Sie meinen, Kansas ist ein Teil der USA, oder.“ Pompeo sagt, er habe ab diesem Moment aufgehört, „weiter anzubeißen“.
Er habe keinen Zweifel daran gehabt, worauf der russische Präsident hinauswollte. So wie er selbst völlig überzeugt sei, dass Kansas selbstverständlich zu den USA gehöre, sei Putin völlig überzeugt, dass die Ukraine und die östlichen Staaten Europas rechtmäßig Teil eines russischen Imperiums seien. Pompeo nennt Putin ohne Zögern „böse“ und sieht in der Episode eine größere politische Grundhaltung.
Putins Anspruchsdenken als Konstante
Pompeo, 61 Jahre alt und in der ersten Amtszeit von Donald Trump zunächst CIA-Direktor und anschließend drei Jahre Außenminister, sagt: Putin sei innerlich überzeugt, die Sowjetunion hätte fortbestehen müssen. Die Satellitenstaaten Osteuropas, nicht nur die Ukraine, sollten wieder unter russische Kontrolle geraten.
Das liege, so Pompeo, in Putins „DNA“ und es gebe keinen Grund zu glauben, dass sich das ändern werde, selbst wenn es „morgen einen Waffenstillstand“ oder „in zwei Monaten ein Friedensabkommen“ gebe. Eine Vereinbarung, die ein unabhängiges Ukraine einschließe, hält er deshalb nicht für unmöglich, aber für trügerisch.
Putin könne so etwas unterschreiben, sagt Pompeo, doch man dürfe „nicht eine Sekunde lang“ glauben, er tue es aus Überzeugung oder gebe dadurch seine Ziele auf. Das Gespräch fand am Rande des Copenhagen Security Summit statt, der von Børsen zusammen mit Poul Schmith/Kammeradvokaten, Dansk Industri, EY und Danske Bank ausgerichtet wurde.
Abschreckung als fehlender Faktor im Westen
Pompeo sieht Europa, den Westen und die Nato in Teilen selbst mitverantwortlich für die zugespitzte Konfrontation. Er stellt eine provokante Frage: Putin habe die Ukraine zweimal überfallen, einmal unter Obama, einmal unter Joe Biden. Warum nicht in Trumps erster Amtszeit. Pompeo sagt, er habe dazu eine Theorie.
Putin habe geglaubt, „wir seien böse, hart oder verrückt“, oder eine Mischung daraus. Dahinter steht für Pompeo ein zentraler Vorwurf: Der Westen habe die Fähigkeit verloren, abschreckend zu wirken. Solange diese Fähigkeit nicht zurückkehre, würden die Dinge schlechter.
Wer die Geschichte kenne, sagt Pompeo, sehe immer dasselbe Muster: Tragische autokratische Figuren respektierten nur Nationen, die bereit seien, genau das zu tun, was sie selbst tun würden. Deshalb brauche es eine umfassende Strategie, die in zwei Spuren laufe.
Zwei Spuren zwischen Gesprächskanal und Härtefall
In der ersten Spur solle die Tür einen Spalt offen bleiben, damit es einen Weg geben könne, Putin unter Bedingungen, die für die Ukraine gerecht seien, zurück auf einen weniger kriegerischen Kurs zu bringen. Gleichzeitig müsse man sich auf die zweite Spur vorbereiten, falls das nicht möglich sei.
Wenn Putin tatsächlich in einem militärischen Alles oder nichts Szenario sei, müsse der Westen bereit sein, sehr deutliche Schritte zu gehen, sagt Pompeo. Dann müsse man „über ihn gewinnen“ und „es beenden“. Auf die Frage nach dem Wie liefert er eine drastische Antwort.
Man müsse alle militärischen Einrichtungen Russlands „zerschlagen“, Fabriken und Häfen. Die Kriegsmaschine müsse zerstört werden, sodass sie keinen Tod mehr produzieren könne. So könne man ihn besiegen, und das sei, so Pompeo, was man tun solle.
Wer handeln soll und welche Grenzen gelten
Wer das umsetzen solle, beantwortet Pompeo ausweichend, aber entschieden: Wer immer es schaffen könne, solle es tun. Die Ukrainer wären, sagt er, sehr froh, es zu tun, man müsse es ihnen nur erlauben. Zugleich betont er, man müsse versuchen, zivile Opfer zu vermeiden, weil der Westen nicht so sei wie Russland. Doch wer nicht bereit sei, die Kriegsmaschine zu zerstören, werde erleben, dass sie sich für Putin als „jeden Preis wert“ erweise.
Und falls es nicht reiche, wenn die Ukraine handle, dann müsse auch die Nato bereit sein, sagt Pompeo. Wenn Putin weiterhin die Nato angreife, und Pompeo behauptet, das tue er bereits, wenn er Drohnen und Kampfflugzeuge über Grenzen schicke, müsse es eine überwältigende Antwort geben.
Angst, Sanktionen und das politische Kalkül
Die Nato müsse kollektiv entscheiden, dass sie bereit sei, das Notwendige zu tun, sagt Pompeo. Gerade das erhöhe die Wahrscheinlichkeit, es am Ende nicht tun zu müssen, weil Fähigkeit und Wille abschreckten. Pompeo räumt ein, das wirke beängstigend. Doch wer seriös sein wolle, müsse die Kosten akzeptieren, politisch wie wirtschaftlich, die mit Abschreckung und dem Wiedergewinnen von Dominanz verbunden seien.
Auf die Frage, ob der Westen zu viel Angst vor Putin habe, sagt er: „100 Prozent.“ Man sei längst über den Punkt hinaus, an dem man sich davor fürchten müsse, ihn wütend zu machen. Der Westen habe weiterhin die Stärke, die Eskalationsleiter militärisch und wirtschaftlich zu kontrollieren, erkenne es aber nicht, weil man so viel Angst vor einem Dritten Weltkrieg habe.
Atomwaffen und die Logik der Eskalation
Als unvermeidliche Gegenfrage bleibt Putins Atomwaffenarsenal. Ist es möglich, einen konventionellen Krieg gegen eine Atommacht zu gewinnen, ohne dass es nuklear endet. Pompeo antwortet, das Risiko sei real und Atomwaffen seien furchteinflößend, man müsse sie ernst nehmen.
Gleichzeitig sagt er: Je mehr Angst man davor habe, desto mehr Macht gebe man Putin. Die Wahrscheinlichkeit eines Atomwaffeneinsatzes steige aus seiner Sicht vor allem dann, wenn Putin den Westen für schwach halte.
Pompeo sagt, er habe sich intensiv mit nuklearen Fragen befasst und sei zu dem Schluss gekommen, dass Abschreckung funktioniere, solange man nicht ängstlich auftrete. Man reduziere das Risiko nicht durch Angst. Jede Unterreaktion auf eine taktische Drohung erhöhe das strategische Risiko, und solange man Putin nicht stoppe, werde er weiter eskalieren.
Als der Einwand kommt, die Risiken seien sehr hoch, hält Pompeo dagegen: Wer ständig von Atomwaffen spreche, sei bereits mehrere Stufen die Eskalationsleiter hinabgestiegen. Putin wisse, dass der Westen ebenfalls über die Kapazität verfüge. Man solle sich nicht mit apokalyptischen Szenarien aufhalten, sondern militärische, wirtschaftliche und diplomatische Schritte planen, und vor allem Selbstvertrauen zurückgewinnen.
China als eigentlicher Hauptgegner
Pompeo lenkt den Blick dann weg von Putin. Aus europäischer Perspektive rede man zu viel über Russland, sagt er, und zu wenig über Xi Jinping und das Kommunistische Partei Chinas. Als das Gespräch dorthin abbiegt, sagt er nach eigener Darstellung erleichtert „danke“.
Putin sei schlimm und problematisch, aber was die Welt der Kinder und Enkel verändern könne, sei die chinesische Führung unter Xi. Wenn man sage, es habe seit 1945 keinen Weltkrieg gegeben, dann sei die Wahrheit aus Xis Sicht, dass es seit mehr als zehn Jahren eine globale Auseinandersetzung gebe. Xi führe Krieg gegen den Westen, wirtschaftlich, diplomatisch und technologisch.
Pompeo spricht von einer kollektiven Anstrengung, die westliche Zivilisation und Gesellschaftsform zu unterminieren. Alles hänge zusammen, und das „Mutterunternehmen“, dem der Juniorpartner Putin gehöre, sitze in Beijing. Er hat Xi mehrfach getroffen. Während er Putin verachte, falle sein Urteil über Xi noch härter aus. Putin habe zumindest Humor, sagt Pompeo. Xi dagegen habe „die dunkelsten Augen“, das sei „nasty“.
Nato und die unterschätzte China Dimension
Aus Pompeos Sicht sollte sich die Nato reformieren und sich viel stärker auf die Bedrohung durch China ausrichten. Die Idee, die Bedrohung für die Nato beginne und ende an der physischen Grenze zwischen Russland und Europa, sei naiv und falsch, sagt er, und führe zu Krieg, weil sie die China Bedrohung übersehe. Europa unterschätze China massiv, meint Pompeo. So wie Europa Jahrzehnte lang gegenüber Russland geschlafen habe, schlafe es jetzt gegenüber China. Und auch die USA hätten nicht genug getan.
Im Zentrum stehe Taiwan, eine kleine Insel vor Chinas Ostküste, die faktisch wie eine eigenständige Nation funktioniere und massiv von den USA unterstützt werde, die Xi aber in sein Imperium eingliedern wolle. Die Diplomatie sei kompliziert, sagt Pompeo, und gerade deshalb stelle sich die Frage nach einer klareren Linie.
Taiwan als Kipppunkt und die Forderung nach Klarheit
Sollten die USA offiziell erklären, Taiwan militärisch zu verteidigen, falls China angreift, auch wenn weithin anerkannt sei, dass eine solche Konfrontation schnell zum Weltkrieg werden könne. Pompeo sagt klar ja. Abschreckung wirke am besten mit absoluter Klarheit.
Außerdem sei es ehrlicher, weil am Ende „kein Präsident in Wirklichkeit eine Wahl“ haben werde. Er stützt das auf „zahlreiche“ Kriegsspiele, die er gesehen habe. Einige begännen mit einem chinesischen Vormarsch, andere mit einer Blockade, aber alle endeten schlecht.
Die USA seien innerhalb weniger Stunden involviert, ebenso Japan und Südkorea. Deshalb müsse man das Notwendige tun, wenn es dazu komme, sagt Pompeo. Gerade darum sei eine klare öffentliche Linie richtig, dass Taiwan eine eigenständige Nation sei, weil das die Risiken reduziere.
Nach US Geheimdienstinformationen habe Xi dem Militär befohlen, bis 2027 bereit für eine Invasion zu sein, sodass er politisch entscheiden könne, ob er diesen Schritt gehen wolle. Pompeo glaubt dennoch nicht, dass Xi tatsächlich invadiere, auch weil es militärisch hochkomplex sei. Er fürchte eher, Xi halte den Westen für so schwach, dass er nur die Faust heben müsse, damit der Westen nachgebe. Genau das müsse verhindert werden.
Warum Taiwan für den Westen zentral ist
Warum sei die westliche diplomatische Elite so einig, dass Taiwan verteidigt werden müsse, selbst unter der Drohung eines Weltkriegs. Gibt es nicht Argumente, es als Angelegenheit zwischen China und Taiwan zu betrachten. Pompeo sagt, es sei gut, das anzusprechen, weil viele so dächten, auch in Kansas.
Er nennt drei Argumente für die essentielle Bedeutung der Insel. Das erste ist wirtschaftlich: Taiwan stehe für große Teile der weltweiten Produktion hochkomplexer Halbleiter. Ein Krieg um Taiwan würde binnen weniger als eines Monats zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen, sagt Pompeo, zu einem Kollaps.
Das zweite Argument ist strategisch und ähnelt den Gründen für die Unterstützung der Ukraine. Wenn eine demokratische Nation wie Taiwan von einem autokratischen kommunistischen Regime zerstört werde, stellt Pompeo die Frage, was dann als Nächstes komme.
Das dritte, vielleicht wichtigste Argument sei Xis Streben nach globaler Hegemonie, das in vieler Hinsicht bei Taiwan beginne. Die Seewege dort seien eine Hauptschlagader des Welthandels. Xi wolle über alle bestimmen, sagt Pompeo, nicht durch eine Invasion im Westen, sondern indem er andere zu Untergeordneten mache. Bekäme er Taiwan, würde das sein Selbstvertrauen stärken und die Welt grundlegend verändern.
Trump, USA und das Bündnisversprechen
Im Gespräch fällt auf, wie stark Pompeo von einem kollektiven Wir spricht, Nato, Westen und Demokratien über Kontinente hinweg. Gleichzeitig ist verbreitet die Ansicht, Präsident Trump, dem Pompeo gedient hat und den er weiterhin unterstützt, untergrabe genau diese Allianzen. Pompeo reagiert scharf: Das sei nicht Trump, es gehe um die USA und um das, was im fundamentalen Interesse liege.
Europäische Regierungschefs fühlten sich unter Trump nicht besonders sicher in der Allianz, ebenso Japan und Südkorea. Pompeo sagt, dieses Narrativ sei nicht neu, in der Geschichte habe es immer Länder gegeben, die fanden, andere sollten mehr tun. Er sagt, er würde eine andere Form und eine andere Sprache bevorzugen, um Allianzen zu bauen.
Gleichzeitig gibt er Trump Anerkennung dafür, Länder von Europa bis Südkorea, Japan und Australien dazu gebracht zu haben, mehr zu tun. Am Ende gehe es nicht um einzelne Führer, sondern um ganze Nationen. Das zeigt sich auch beim Blick auf Artikel 5, das Versprechen, dass ein Angriff auf ein Land ein Angriff auf alle ist. Die USA würden Europa verteidigen, sagt Pompeo.
Man solle sich nicht sorgen, die USA würden kommen. Auch unter Trump, sagt er. Die amerikanische Tradition werde sich durchsetzen, daran glaube er „von ganzem Herzen“. Pompeo meint zudem, Dänemark müsse sich keine Sorgen machen, dass Trump militärische Macht einsetzen könnte, um die Kontrolle über Grönland zu erlangen. Er fragt zurück, ob man wirklich aktiv fürchte, dass die USA Grönland invadieren würden.
Die entscheidende Front im Kopf der Gesellschaft
Trotz seiner düsteren Analyse und drastischen Vorschläge sagt Pompeo, er glaube weiterhin eher daran, dass die Welt eine Katastrophe vermeiden könne. Am wahrscheinlichsten sei, dass es nicht zu einem großen globalen Krieg komme. Das hänge jedoch vom Verhalten des Westens ab.
Wenn man weiter auf den Fersen sei und glaube, die „bad guys“ der Welt seien ohnehin härter, böser, stärker und mächtiger, und man müsse deshalb ihren Forderungen nachgeben, werde die Welt sehr gefährlich. Für Pompeo ist es nicht nur eine Frage von Gewehren, Kampfflugzeugen, Raketen und Fregatten. Es sei ein Kampf, der im Inneren gewonnen werden müsse, in den Köpfen der Menschen.
Geld für Verteidigung bedeute nichts, sagt er, solange die Gesellschaft im weitesten Sinn sich nicht an die Idee gewöhne, dass Verteidigung ein entscheidender Teil des Alltags sei. Wenn man Kindern und Enkeln nicht erkläre, warum die westliche Zivilisation so wichtig sei, dass es sich lohne, das eigene Leben und das der Kinder zu riskieren, ende man an einem sehr hässlichen Ort.
Konsequenzen für Deutschland und Europas Handlungsfähigkeit
Für Deutschland berühren Pompeos Thesen zwei besonders sensible Punkte, die er selbst anspricht: die Bereitschaft, wirtschaftliche Kosten für Abschreckung zu tragen, und die Frage, wie glaubwürdig Europa militärisch reagieren kann, wenn Grenzen verletzt oder Partnerstaaten weiter unter Druck gesetzt werden.
Seine Kritik zielt damit auch auf die deutsche Debatte, ob Sicherheitspolitik stets hinter Exportinteressen und Eskalationsangst zurückstehen darf. Gleichzeitig verschiebt Pompeo den strategischen Fokus vom europäischen Kriegsschauplatz auf die globale Rivalität mit China, in der Taiwan als wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Kipppunkt dargestellt wird.
Für Deutschland stellt sich damit nicht nur die Frage, wie belastbar die europäische Abschreckung gegenüber Russland ist, sondern auch, wie widerstandsfähig die eigene Wirtschaft wäre, falls eine Krise um Taiwan tatsächlich zu dem von Pompeo beschriebenen weltweiten wirtschaftlichen Kollaps führen würde.

