Politik

Jalta II: Wie die Ukraine zum Spielball einer „globalen Elite“ wurde

Im September 2013 kam es in dem geschichtsträchtigen Ort Jalta zu einer folgenschweren Entscheidung: Führende Politiker und Banker aus dem Westen und aus Russland diskutierten die Zukunft der Ukraine. Auch der heutige Präsident Petro Poroschenko war anwesend. Die Russen warnten den Westen vor der geplanten EU-Integration. Doch die Eliten aus dem Westen ignorierten die russischen Drohungen. Heute ist die Ukraine bankrott und versinkt im Bürgerkrieg.
20.06.2014 00:58
Lesezeit: 3 min

Im September 2013 trafen sich Vertreter der USA, der EU, der Ukraine und Russlands zu einer Konferenz auf der Krim. Sie versammelten sich im Liwadija Palast in Jalta, in dem schon 1945 Churchill, Roosevelt und Stalin die Neuordnung Europas nach dem zweiten Weltkrieg beschlossen.

Seit 2004 findet jährlich die Konferenz „Yalta European Strategy“ (YES) statt. Organisator und Finanzier der Konferenz ist Wiktor Pintschuk. Der Oligarch wurde mit seinem Unternehmen Interpipe reich, das Stahlrohre herstellt und vor allem an Gazprom lieferte. Mit einem von Forbes geschätzten Vermögen von rund 3,1 Milliarden Dollar ist Pintschuk einer der reichsten Ukrainer und bezeichnet sich selbst als „Kunstliebhaber und Philanthrop“. Er gilt als „Brücke zum Westen“ und setzt sich seit langem für eine Integration der Ukraine in die EU ein.

Der Economist bezeichnete die Konferenz in Jalta damals als ein „Treffen der globalen Elite“.

„Die Zukunft der Ukraine, einem Land mit 48 Millionen Einwohnern, und Europas wurden in Echtzeit beschlossen“, so der Economist. Die Konferenz sei eine „Darbietung kämpferischer Diplomatie und beeindruckenden Intellekts “ gewesen, bei der namenhafte Vertreter der europäischen Elite anwesend waren.

Der Ex-Premierminister Großbritanniens Tony Blair, der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder, Italiens Ex-Ministerpräsident und Goldman Sachs-Banker Mario Monti und Ex-IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn bemängelten in ihren Reden die Einfallslosigkeit der EU-Politiker und ihre Unfähigkeit, die Bürger für die Vision eines vereinten Europas zu begeistern. Von Seiten der EU waren außerdem EU-Kommissar Stefan Füle, Schwedens Außenminister Carl Bildt, Polens Außenminister Radek Sikorski sowie litauische Präsidentin Dalia Grybauskaitė anwesend.

Der ehemaligen Weltbank-Ökonomen Lawrence Summers und Robert Zoellick hielten Vorträge zur kriselnden Weltwirtschaft. Ex-CIA-Chef David Petraeus und der ehemalige US-Energieminister Bill Richardson redeten über die geopolitischen Folgen des Fracking-Booms und wie sich dadurch das Kräfteverhältnis zwischen Russland und dem Westen verschiebt. Und Wiktor Pintschuk selbst moderierte Diskussionsrunden zwischen Bill Clinton – dessen Frau Hillary ebenfalls anwesend war – und Tony Blair.

Doch das wichtigste Thema der Konferenz war die Zukunft der Ukraine. Grundlegende Teile des Assoziierungsabkommens, nämlich das sogenannte Deep and Comprehensive Free Trade Agreement (DCFTA), wurden dort diskutiert und beschlossen. Die EU knüpfte das Abkommen jedoch an die Freilassung von Julia Timoschenko. Der damalige Präsident der Ukraine, Viktor Janukowitsch, war zwar bereit das Abkommen zu unterzeichnen, jedoch nur, wenn Timoschenko weiterhin im Gefängnis bleibt.

„Janukowitsch scheint eine beinahe irrationale Angst vor Frau Timoschenko zu haben. Seine offensichtliche Abneigung, sie aus dem Gefängnis zu entlassen, sind Grund für enorme Frustation“, beschrieb der Economist damals die Lage.

Neben Janukowitsch, der fünf Monate später aus dem Amt vertrieben wurde, war auch der spätere Präsident Petro Poroschenko anwesend. Poroschenko war schon damals einer der wichtigsten Kontaktleute der US-Geheimdienste, wie aus Wikileaks-Dokumenten hervorgeht (mehr hier).

Auch russische Vertreter waren anwesend. Der Putin-Berater Sergej Glasjew machte deutlich, dass die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommen eine rote Linie für Russland darstelle. Russland warnte die Ukraine damals vor den wirtschaftlichen Folgen des Abkommens, berichtete das Forbes Magazine.

Glasjew argumentierte, dass die Ukraine schon ein enorm hohes Handelsdefizit habe. Dazu verfüge die Ukraine über keinerlei Währungsreserven und müsse ständig neue Schulden im Ausland aufnehmen, um den Staatsbankrott abzuwenden. Das Abkommen werde zu einer Steigerung der EU-Importe in die Ukraine führen und das Land schnell an seine finanziellen Grenzen bringen. Schließlich wird die Ukraine entweder den Staatsbankrott anmelden müssen oder Rettungspakete erhalten, so Glasjew.

Zudem sagte Glasjew voraus, dass die Abkehr von Russland die russisch-stämmige Minderheit im Osten dazu bewegen könnte, eine Teilung des Landes anzustreben. Russland wäre dann dazu verpflichtet, ihnen zu helfen.

Doch die EU und die USA ignorierten die Warnungen der Russen.  Die Historikerin Diana Johnstone schreibt auf Counterpunch:

„Die westlichen Politiker waren sich darüber voll im Klaren, dass das Abkommen zu ernsthaften Problemen mit den russisch-sprechenden Ukrainern und mit Russland führen würde. Statt einen Kompromiss auszuarbeiten, entschieden sich die westlichen Politiker, weiter zu machen und die Schuld für alles, was fortan passiert, auf Russland zu schieben.“

Acht Monate nach der Konferenz von Jalta ist die Ukraine bankrott. Die EU sicherte dem Land kürzlich Kredite in Höhe von 500 Millionen Euro zu, um die Staatspleite abzuwenden (hier). Im Osten der Ukraine tobt ein Krieg mit Hunderten Toten. Das Land steht vor der Teilung (hier) - mit unabsehbaren Folgen für die Bürger der Ukraine, die von allen den strategischen Debatten hinter verschlossenen Türen nichts mitbekommen haben.

Jalta erwies sich erneut als geschichtsträchtiger Ort.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Technologie
Technologie KI als Mobbing-Waffe: Wenn Algorithmen Karrieren zerstören
13.07.2025

Künstliche Intelligenz soll den Arbeitsplatz smarter machen – doch in der Praxis wird sie zum Spion, Zensor und Karriere-Killer. Wer...

DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Keine reine Männersache – Geschlechterunterschiede beim Investieren
13.07.2025

Obwohl Frauen in sozialen Medien Finanzwissen teilen und Banken gezielt werben, bleibt das Investieren weiterhin stark männlich geprägt....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Renault: Globales KI-System soll helfen, jährlich eine Viertelmilliarde Euro einzusparen
13.07.2025

Produktionsstopps, Transportrisiken, geopolitische Schocks: Renault setzt nun auf ein KI-System, das weltweite Logistik in Echtzeit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kaffeepause statt Burn-out: Warum Müßiggang die beste Investition ist
12.07.2025

Wer glaubt, dass mehr Tempo automatisch mehr Erfolg bringt, steuert sein Unternehmen direkt in den Abgrund. Überdrehte Chefs,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Kapitalmarktunion im Rückstand: Banker fordern radikale Integration
12.07.2025

Europas Finanzelite schlägt Alarm: Ohne eine gemeinsame Kapitalmarktunion drohen Investitionen und Innovationen dauerhaft in die USA...

DWN
Immobilien
Immobilien Bauzinsen aktuell weiterhin hoch: Worauf Häuslebauer und Immobilienkäufer jetzt achten sollten
12.07.2025

Die Zinsen auf unser Erspartes sinken – die Bauzinsen für Kredite bleiben allerdings hoch. Was für Bauherren und Immobilienkäufer...

DWN
Finanzen
Finanzen Checkliste: So vermeiden Sie unnötige Kreditkarten-Gebühren auf Reisen
12.07.2025

Ob am Strand, in der Stadt oder im Hotel – im Ausland lauern versteckte Kreditkarten-Gebühren. Mit diesen Tricks umgehen Sie...

DWN
Technologie
Technologie Elektrische Kleinwagen: Kompakte Elektroautos für die Innenstadt
12.07.2025

Elektrische Kleinwagen erobern die Straßen – effizient, kompakt und emissionsfrei. Immer mehr Modelle treten an, um Verbrenner zu...