Politik

Kiel: Keine Verfolgung bei Bagatell-Delikten, wenn Identität des Täters nicht klar ist

Lesezeit: 2 min
29.01.2016 01:27
Die Behörden in Schleswig-Holstein hatten offenbar Anweisung, kleine Delikte nicht zu verfolgen, wenn die Identität der Täter nicht festgestellt werden kann. Bei schwereren Straftaten wie Körperverletzung sollen die Beamten Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft halten. Die Landesregierung rudert nun zurück.
Kiel: Keine Verfolgung bei Bagatell-Delikten, wenn Identität des Täters nicht klar ist

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft in Kiel gibt es offenbar Absprachen über den Umgang mit Flüchtlingen bei Bagatelldelikten wie Ladendiebstahl oder Sachbeschädigung. Auslöser ist eine vorläufige Vereinbarung aus dem Oktober 2015, in solchen Fällen bei Ersttätern auf die erkennungsdienstliche Behandlung zu verzichten, wenn die Identität des Täters nicht klar ist. Zur erkennungsdienstlichen Behandlung gehören üblicherweise Fotos und die Abnahme von Fingerabdrücken.

Bei schwereren Straftaten wie Körperverletzung und besonders schweren Fällen von Diebstahl sollen die Beamten Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft halten, so die Anweisung.

Probleme machen den Beamten straffällig gewordene Flüchtlinge, die keinen Ausweis oder ein anderes Personaldokument bei sich haben, heißt es in dem Papier, das der dpa vorliegt. „Ein Personenfeststellungsverfahren oder erkennungsdienstliche Behandlung scheidet in Ermangelung der Verhältnismäßigkeit und aus tatsächlichen Gründen (Identität kann nicht zeitgerecht festgestellt werden...) bei einfachen/niedrigschwelligen Delikten (Ladendiebstahl/Sachbeschädigung) regelmäßig aus.“

Nach Bekanntwerden der Leitlinie meldet sich die politischen Vertreter aus Schleswig-Holstein: Innenminister Stefan Studt (SPD) sowie die Staatsanwaltschaft und Polizei in Kiel haben Berichte über den angeblichen Stopp der Strafverfolgung allerdings zurückgewiesen. „In jedem Fall sind Strafanzeigen erstellt und strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet worden“, erklärte Studt am Donnerstag. Ein Staatsanwaltschafts-Sprecher sagte: „Für jeden Ladendiebstahl wird eine Anzeige gefertigt. Dazu sind wir gesetzlich verpflichtet.“

Doch offenbar hat es tatsächlich so eine Anweisung gegeben: In dem Schreiben wurden dem Sprecher der Staatsanwaltschaft zufolge rein vorsorglich bestimmte Abläufe für den Fall einer starken Zunahme bestimmter Kleinstdelikte in Verbindung mit dem Zuzug von Flüchtlingen zwischen der Anklagebehörde und der örtlichen Polizei im Raum Kiel festgelegt.

Faktisch seien diese allerdings „so gut wie gar nicht“ zum Tragen gekommen, weil es keinen signifikanten Anstieg gegeben habe, sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Das Fallaufkommen sei 2015 genau so hoch gewesen wie 2014.

Das vorsorglich abgesprochene Verfahren sah demnach vor, bei kleinen Diebstählen durch Flüchtlinge, die das erste Mal dabei ertappt wurden, bei der Anzeige eventuell auf eine Überprüfung der Identität zu verzichten, da dies in der Praxis ohnehin kaum möglich sei. Bearbeiter sollten mit den Angaben des Beschuldigten arbeiten.

Außerdem sollte auf eine erkennungsdienstliche Behandlung in Form von Fingerabdruck- und Fotodokumentation verzichtet werden, weil dies nach der Strafprozessordnung den Eintritt in eine neue Stufe markiert. Dabei hätte dem Betroffenen etwa rechtliches Gehör angeboten werden müssen, was wiederum Dolmetscher erforderlich gemacht hätte.

Greifen sollte dieses Verfahren nur bei Diebstählen geringwertiger Alltagsgegenstände wie einer Packung Kekse oder einer Mütze, betonte der Sprecher. Diebstähle von Waren wie Alkohol oder Parfüm, bei denen Verkaufsabsicht unterstellt werden könnte, sollten ausgenommen bleiben. Es habe zudem nur für erstmalig erwischte Personen gelten sollen.

Das „Risiko“, dass Wiederholungstäter durch Angabe eines anderen Namens im Einzelfall erneut als Ersttäter durchgehen könnten, sei dabei selbstverständlich gesehen worden, betonte er. Es sei in der damaligen Situation aber als „akzeptabel“ eingestuft worden.

Ermittlungen von geringfügigen Ladendiebstählen bei Ersttätern würden in Deutschland durch Staatsanwaltschaften und Gerichte später ohne Anklage routinemäßig eingestellt, betonte der Sprecher weiter. Das gelte für sämtliche Beschuldigten, egal ob es sich um Flüchtlinge handle oder nicht. „Das Verfahren wird wie bei jedem anderen durchgeführt.“

 


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...