Die Entscheidung von Karlsruhe ist keine Überraschung. Durch die Zustimmung Deutschlands zum unbegrenzten EZB-Ankauf von Staatsanleihen sind allerdings ohnehin alle Schleusen in Richtung Schuldenunion geöffnet. Weil es in Deutschland keine euro-skeptische Partei gibt, werden sich die Hoffnungen der ESM-Gegner auf einen ESM-Stopp bei der kommenden Bundestagswahl nicht erfüllen. Allerdings könnte allen Rettern die Zeit davonlaufen.
Die Auflagen aus Karlsruhe für den ESM sind kryptisch: So müsse die Bundesregierung sicherstellen, dass die Zustimmung des Bundestags bei Erhöhungen völkerrechtlich sichergestellt wird. Das ist eine komplexe Forderung, weil sie innerdeutsche Fragen mit Vertretungsfragen vermischt.
Was sich nun zeigen muss, ist, ob der ESM-Vertrag noch einmal aufgeschnürt werden muss und erneut durch den Bundestag geht. Der Blog Open Europe vermutet dies in einer ersten Analyse (mehr hier).
Dann könnte die europäische Schuldenproblematik zum Wahlkampfthema werden. Allerdings sollten sich die ESM-Gegner hier keine Illusionen machen: SPD und Grüne sind bedingungslos dafür. Wenn die FDP marginalisiert wird, wird es eine große Koalition geben, und diese wird den ESM ohne Rücksicht auf Verluste durch den Bundestag peitschen.
Dies ist zwar demokratiepolitisch schlimm. Noch viel problematischer ist jedoch die Aushöhung der Demokratie durch den EZB-Beschluss von vergangener Woche (mehr hier). Denn die EZB ist bei ihrer Entscheidung, die Schuldenunion herbeizukaufen, niemandem Rechenschaft schuldig. Sie wird, wenn sie das Programm einmal eingeleitet hat, Staatsanleihen kaufen, um die Zinsen zu drücken. Darüber wird es keine Transparenz geben, keine Berechenbarkeit, und niemanden, der dazu zur Rechenschaft gezogen werden kann. Mario Draghi wird genau dann die gesetzlich verankerte Unabhängigkeit der EZB aus der Tasche ziehen, wenn er sich mitten im Vollzug der Einführung einer europäischen Schuldenunion als Handlanger der Politik betätigt. Fürwahr eine groteske Vorstellung.
Allerdings könnte allen Beteiligten die Zeit davonlaufen: Denn die Notwendigkeit, den demokratischen und nationalstaatlichen Schein zu wahren, kostet Zeit. Nichts kann in Europa schnell geschehen. Auch nicht die Umsetzung der durchaus gefinkelten Vorgaben für den ESM durch das Bundesverfassungsgericht.
Denn gerade in der Schuldenkrise gilt: Money talks. Dies vor allem dann, wenn es fehlt. Die europäischen Staaten lechzen nach Geld und werden es in den kommenden Monaten aufnehmen müssen. Zu welchen Bedingungen diktieren nicht die Aktien-Roboter (hier), sondern jene Investoren, die die Risiken für ihre Investments abschätzen müssen. Ihre Devise: Je komplizierter, desto schlechter. Das Urteil von Karlsruhe wird ihnen ihre Entscheidung nicht erleichtern.