Betrachtet man Spaniens katastrophale Situation, wirkt der plötzliche Rücktritt des Königs wie eine Flucht. Während Präsident Rajoy versucht, die Abdankung als „Beweis der Reife für die spanische Demokratie“ zu verkaufen und den skandalgebeutelten Monarchen gar als „bestes Aushängeschild des spanischen Königreichs“ bezeichnet, dürften die meisten seiner Untertanen wohl eher froh darüber sein, das der ungeliebte König endlich aufgibt: Zwei Drittel der Spanier hatten in jüngsten Umfragen ihrem König nahegelegt, abzudanken.
Dass Juan Carlos trotz gegenteiliger Beteuerungen nun tatsächlich vorzeitig aufgibt, ist aber weniger der große demokratische Akt, den Präsident Rajoy hineinzudeuten versucht (mehr hier). Es ist wohl eher ein letzter Rettungsversuch einer sterbenden Monarchie. Kronprinz Felipe soll das Ruder herumreißen, weil er die besseren Beliebtheitswerte hat, scheint er doch weitaus kontrollierter als sein Schürzen- und Elefanten-jagender Vater. Die Inszenierung seiner Familie mit der „Bürgerlichen“ wirkt in der Öffentlichkeit geradezu perfektionistisch.
Kein noch so glatter Monarch kann jedoch darüber hinwegtäuschen, dass nicht nur die Monarchie, sondern ganz Spanien am Boden liegt: Die Schuldenkrise hält die spanische Wirtschaft weiter fest im Griff. Tausende Familien wurden nach dem Platzen der Immobilienblase aus ihrer Wohnung geworfen, weil sie die Bankkredite nicht mehr bedienen konnten. Eine ganze Generation junger Akademiker ist arbeitslos und mittlerweile seit Jahren ohne Perspektive. Wer kann wandert aus., wer bleibt, geht auf die Straße. Bald täglich gibt es in der Hauptstadt Madrid Demonstrationen gegen die sozialen Zustände, nicht selten enden sie in Straßenschlachten mit der staatliche Polizeigewalt.
Zu allem Überfluss nimmt mit Katalonien nun auch noch eine der wirtschaftlich stärksten Regionen des Landes Anlauf, unabhängig zu werden. Die konservative Regierung steht dem geplanten Referendum machtlos gegenüber, ein parlamentarisches Verbot für die für November geplante Volksabstimmung wird von dem katalonischen Präsidenten Artur Mas einfach ignoriert. Ein Jahr vor den Parlamentswahlen ist das Signal, das von Spanien ausgeht: „Wir sinken – rette sich wer kann.“ Rajoy hat jedoch nach massiven Stimmeinbußen für seine konservative Partei bei den Europawahlen den vom Internationalen Währungsfond erneut angemahnten Sparkurs auf Eis gelegt und wahlkampfwirksam Steuersenkungen als Teil eines 6,3 Milliarden schweren Konjunkturpakets verkündet.
Aber durch die seit der Krise massenhaft durchgeführten Lohnsenkungen und Lockerungen der Arbeitnehmerrechte ist in Spanien längst eine neue Unterschicht entstanden, die nicht in der Lage ist einen Aufschwung zu tragen sondern ihren Unmut zu Recht auf die Straße trägt und damit für eine andauernde politische und damit auch wirtschaftliche Instabilität sorgt (hier).
Umso hilfloser wirkt Rajoys Aussage, die Abdankung verlaufe in institutionell gesicherten Bahnen. Seine Worte sollen beruhigen, denn ein Rücktritt ist in Wirklichkeit so nicht vorgesehen. Richter müssen nun im Schnellverfahren die Verfassung ändern, um eine vorzeitige Thronfolge für den Kronprinzen Felipe überhaupt möglich zu machen. Königin Sofia hatte vor Jahren zu aufkommenden Rücktrittsgerüchten erklärt: „Ein König tritt nicht zurück, ein König stirbt im Bett.“
So offen der König auch war, zumindest nicht seine Gesundheit vorzuschieben und sich klar zum politischen Scheitern zu bekennen – den offensichtlichsten Gedanken, nämlich die Monarchie abzuschaffen – ließ Juan Carlos so unausgesprochen wie der Rajoy. Die spanische Zeitung El Pais schlägt sogar vor, eine Volksabstimmung über die Zukunft des Königshauses abzuhalten.
Die linken Parteien haben schon zu Protesten gegen die Krone aufgerufen. Am Abend kam es in zahlreichen Städten zu Protesten. Die Zeit berichtet:
Nach der überraschenden Abdankung von König Juan Carlos sind Tausende Spanier in mehr als 20 Städten zu antimonarchistischen Kundgebungen zusammengekommen. "Morgen wird Spanien eine Republik!", rief die Menge an der Puerta del Sol in Madrid. "Keine Könige mehr, ein Referendum!", stand auf zahlreichen Plakaten. Aus Sorge vor Ausschreitungen riegelte die Polizei am späten Abend den Zugang zum Königspalast ab.