Wirtschaft

Polen und Lettland: Was Unternehmer beim Eintritt in die Märkte wissen müssen

Polen und Lettland bieten Chancen, doch auch besondere Herausforderungen: von teureren Krediten über langsamere Gerichtsprozesse bis hin zu kulturellen Unterschieden, die Unternehmer bei einem Markteintritt kennen sollten.
13.10.2025 12:25
Lesezeit: 5 min
Polen und Lettland: Was Unternehmer beim Eintritt in die Märkte wissen müssen
Polen bietet enorme Marktchancen. (Foto: dpa/PAP | Pawel Supernak) Foto: Pawel Supernak

Polen lockt mit Größe, Lettland schreckt mit Risiken

Linas Armalys, Direktor des alternativen Nichtbanken-Finanzierers „Noviti Finance“, betont, dass sein Unternehmen vor allem Kleinstbetriebe mit bis zu zehn Mitarbeitern finanziert – Firmen, die in der Regel von Banken am wenigsten Beachtung finden. Diese Situation sei nicht nur in Litauen, sondern ebenso in Lettland und Polen gegeben, wo „Noviti Finance“ aktiv ist. Solche Kleinstunternehmen machen in den genannten Ländern rund 82–84 Prozent aller Firmen aus. Das vor mehr als zehn Jahren in Litauen gegründete Unternehmen ist seit sechs Jahren in Lettland und seit drei Jahren in Polen tätig. Armalys teilt seine Erfahrungen in diesen Märkten, vergleicht verschiedene Aspekte und zeigt Unterschiede auf, die Unternehmer beim Eintritt nach Lettland oder Polen beachten sollten, um ihr Geschäft reibungsloser aufzubauen und weiterzuentwickeln.

Motivation, korrekt zu handeln – begrenzt

Mit Blick auf den lettischen Markt erinnert Armalys daran, dass dieser deutlich kleiner sei als der litauische und stark vom Re-Export abhänge, insbesondere von Rohstoffen, die bis 2022 in großen Mengen aus Russland und Belarus kamen. „Der Überfall Russlands auf die Ukraine und das Wegbrechen dieses Marktes traf Lettland weit härter als unser Land. Das betraf viele Branchen, und die Folgen sind teilweise bis heute spürbar“, sagt der Chef von Noviti Finance. Er weist auch darauf hin, dass viele Unternehmer in Lettland im Gegensatz zu Litauen über minimale Einkommen und keinerlei Vermögen verfügen. „Wenn man solche Unternehmer vor Gericht bringt, lässt sich oft kaum etwas zurückholen, da sie weder Einkommen noch Eigentum haben. Das ist nicht nur beim Kreditgeschäft, sondern auch in anderen Geschäftsbeziehungen ein Risiko – etwa bei Warenlieferungen oder Dienstleistungen.“

„Unter solchen Umständen ist die Motivation mancher Unternehmer, korrekt zu handeln, begrenzt, da die Kosten für unehrliches Verhalten relativ niedrig sind. Deshalb ist es in Lettland sehr wichtig, Geschäftspartner nicht nur formal anhand von Zahlen, sondern auch informell zu prüfen – wie ist er als Mensch, ist er zuverlässig, hat er alte Schulden usw.?“, erklärt Armalys.

In Lettland ist das Risiko höher

Nach seinen Worten gibt es in Lettland weit mehr Unternehmer, die verspätet zahlen, als in Litauen. Zudem schätzten litauische Unternehmer ihren Ruf deutlich stärker. „So viele Vorwürfe wir auch an unser Rechtssystem haben – im Vergleich mit anderen würden wir erkennen, dass wir wohl deshalb kritischer sind, weil wir sehen, wo es noch besser sein könnte. In Lettland dauern juristische Prozesse viel länger: Selbst mit allen Beweisen für eine Schuld ist ein Urteil kaum in weniger als einem Jahr zu erwarten, und die Vollstreckung ist deutlich komplizierter. Deshalb ist das Risiko in Lettland größer, und Kredite sind dort teurer.“ Auch das Kreditangebot ist kleiner. Litauen hat im Vergleich zu Lettland und Polen den wettbewerbsfähigsten Finanzierungsmarkt mit den meisten europäischen und nationalen Instrumenten. In Lettland wiederum arbeitet die Investitions- und Entwicklungsagentur nicht mit Nichtbanken-Finanzierern zusammen, sondern konzentriert sich allein auf Banken. Das macht Kredite teurer. „Es ist kein Geheimnis, dass traditionelle Banken beim Kreditgeschäft mit Kleinstfirmen – insbesondere bis zehn Mitarbeiter – zurückhaltend sind. Das ist nicht ihre Priorität“, konstatiert Armalys. Der litauische Entwicklungsbank ILTE sei dagegen wesentlich aktiver im Nichtbanken-Sektor und kooperiere mit Finanzierungsplattformen.

Ein weiterer Unterschied: In Lettland sind fast alle Kreditnehmer in Riga konzentriert, wo etwa die Hälfte der Bevölkerung und die Mehrheit der Unternehmen sitzt. Litauen ist kein „Ein-Stadt-Land“ – Geschäfte laufen auch in Kaunas und Klaipėda, während Städte wie Šiauliai oder Panevėžys keineswegs mit Daugavpils vergleichbar sind. Bestimmte Branchen sind zusätzlich in lettischen Häfen wie Ventspils gebündelt.

Erfolgreicher Einstieg in Lettland

Unternehmer, die in Lettland aktiv werden möchten, sollten sich vorab ein möglichst genaues Bild von ihren potenziellen Partnern machen. Neben der Analyse von Zahlen sind informelle Informationen entscheidend – etwa durch Gespräche mit anderen Unternehmern, Branchenkontakten oder Handelskammern. Empfehlenswert ist zudem, Zahlungsvereinbarungen schriftlich festzuhalten und Lieferungen an neue Partner zunächst nur gegen Teilvorauszahlung anzubieten. Auch die Absicherung durch lokale Rechtsberatung kann helfen, spätere Konflikte zu vermeiden.

Da die Konzentration der Wirtschaft auf Riga hoch ist, lohnt es sich außerdem, dort frühzeitig Netzwerke aufzubauen und Verbindungen zu Verbänden und Kammern zu pflegen.

Mythen über polnische Unternehmer

„Polen ist im Vergleich zu Litauen und Lettland ein sehr großer Markt mit fast 40 Mio. Einwohnern. Fragt man in Litauen nach der Größe, denken viele, Polen sei etwa wie Schweden. Tatsächlich ist der Markt viermal so groß. Deshalb sollte man bei einem Markteintritt nicht das ganze Land auf einmal ins Visier nehmen, sondern gezielt eine Region“, sagt Armalys.

Oft werde geglaubt, polnische Unternehmer seien stark nationalistisch. „Dieser Mythos hält sich, weil das Land groß ist und viele Geschäftsleute wenig Fremdsprachen sprechen. Ähnlich wie in Spanien oder Frankreich reicht vielen das Geschäft im Inland, es fehlt der Anreiz für Fremdsprachen. Wer Polnisch spricht, hat große Vorteile. Anders als in Litauen finden die meisten Konferenzen nicht auf Englisch, sondern auf Polnisch statt.“ Doch selbst ohne Sprachkenntnisse würden Ausländer in Polen freundlich aufgenommen. „Natürlich prüfen sie, ob ein Partner zuverlässig ist und was er besser macht als lokale Firmen. Aber dasselbe passiert in Litauen mit ausländischen Unternehmern. Fragen wir uns: Ist es für einen Rumänen oder Bulgaren leicht, hier Fuß zu fassen? Polen ist weder besser noch schlechter.“

So gelingt der Markteintritt in Polen

Wer in Polen ein Unternehmen gründen oder Geschäfte anbahnen will, sollte nicht das gesamte Land gleichzeitig anvisieren, sondern sich auf eine wirtschaftlich starke Region konzentrieren – etwa Schlesien, Großpolen oder Masowien. Es lohnt sich, persönliche Kontakte zu Entscheidungsträgern zu pflegen, da Beziehungen oft mehr Gewicht haben als Verträge.

Polnische Geschäftspartner legen Wert auf persönliche Präsenz: Ein direkter Austausch – etwa bei Konferenzen oder Branchenevents – schafft Vertrauen. Unternehmer sollten außerdem Zahlungsvereinbarungen klar definieren und Vorleistungen vermeiden, bis eine stabile Partnerschaft entstanden ist.

Bedeutung persönlicher Beziehungen

„Viele Polen sind sehr kommunikativ, deshalb ist es ratsam, persönliche Kontakte zu knüpfen. Solange diese fehlen, fühlen sie sich nicht verpflichtet – sie sagen Treffen kurzfristig ab, reagieren nicht auf E-Mails. Wer sie nicht kennt, genießt keine moralische Verbindlichkeit“, so Armalys. „Wer in Polen den in Litauen üblichen Ethik-Standard wahren will, sollte persönliche Treffen und informelle Beziehungen suchen. Das ist typisch für ein großes Land mit höherem Risiko: Man will genau wissen, mit wem man arbeitet. Nach dem Treffen ändert sich der Umgang spürbar. Nur Politik sollte man meiden, da die Menschen dort sehr polarisiert sind.“ Eng damit verbunden sei das Risiko verspäteter Zahlungen. „Statistisch liegt Polen europaweit vorn, wenn es um Zahlungsverzögerungen geht. Normalerweise zahlt ein Pole zuerst die Rechnung eines ‚bekannten‘ Partners, egal ob Pole oder Litauer.“

Risiken minimieren und Vertrauen aufbauen

Polnische Unternehmer achten stark auf persönliche Verlässlichkeit. Wer langfristig erfolgreich sein möchte, sollte regelmäßig vor Ort präsent sein und Versprechen stets einhalten. Auch lokale Sprachkenntnisse oder ein polnischsprachiger Ansprechpartner erhöhen das Vertrauen erheblich.

Um Zahlungsausfälle zu vermeiden, empfiehlt sich eine stufenweise Vertragsstruktur mit klar definierten Zahlungszielen und Sicherheiten. Eine enge Zusammenarbeit mit lokalen Rechtsberatern kann helfen, kulturelle Missverständnisse oder bürokratische Verzögerungen zu vermeiden.

„Schuldner fühlen sich wohl“

„Daher sollte man genau prüfen, bevor man Vorleistungen erbringt. Wer in Polen noch kein ‚Bekannter‘ ist, geht ein hohes Risiko ein“, warnt Armalys. „Zudem dauern Gerichtsverfahren zur Schuldeneintreibung dort zwei bis drei Jahre – mindestens zehn Jahre hinter Litauen zurück. Das ist teuer und ineffizient. Solche ‚Schuldner‘ fühlen sich sehr komfortabel.“

In Polen gibt es ganze Industrien von Rechtsdienstleistern, die Unternehmern helfen, Schulden zu umgehen. „Wenn man ohne Folgen stehlen kann, gibt es deutlich mehr, die es tun. Dazu kommt weniger Transparenz, was Schuldnern hilft, anonym zu bleiben. Bargeschäfte sind weit verbreitet. Manche Firmen arbeiten sogar ohne Bankkonto weiter, wenn dieses blockiert ist – das verstärkt den Schattensektor“, so Armalys. Auch die Nutzung elektronischer Signaturen ist selten, notarielle Verträge erfolgen fast immer physisch. Viele polnische Firmen beschäftigen Menschen nicht als Angestellte, sondern als freie Vertragspartner, um Abgaben zu sparen. So ist es üblich, dass in einer Firma offiziell nur ein Mitarbeiter registriert ist, tatsächlich aber Dutzende arbeiten. Das macht die Finanzlage unklar und vermischt Privat- mit Unternehmensfinanzen. All diese Faktoren und der Einfluss der nationalen Währung führen dazu, dass Kleinstunternehmen in Polen um 3 bis 5 Prozentpunkte teurer finanzieren als in den baltischen Staaten.

Chancen nutzen, Risiken realistisch einschätzen

Der Eintritt in Märkte wie Lettland oder Polen bietet Chancen – erfordert aber Sorgfalt, persönliche Präsenz und kulturelles Fingerspitzengefühl. Unternehmer sollten frühzeitig Netzwerke aufbauen, rechtliche Beratung einholen und Partnerschaften sorgfältig prüfen. Wer lokale Gegebenheiten respektiert und langfristig denkt, kann selbst in schwierigen Märkten erfolgreich Fuß fassen. Gerade kleine und mittlere Unternehmen, die sich anpassen und flexibel bleiben, profitieren von Nischen und regionalen Wachstumschancen.

 

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