Einmischen oder zurückhalten? Diese beiden Möglichkeiten gibt es für die außenpolitischen Rolle Deutschlands. Seit Joachim Gaucks Auftritt bei der Münchner Sicherheitskonferenz, bei der er ein stärkeres außenpolitisches Engagement Deutschlands in der Welt gefordert hat, schließen sich immer mehr Politiker diesem Aufruf an. Am Donnerstag kündigte etwa Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier an, dass er Waffenlieferungen an den Irak nicht mehr ausschließe (mehr dazu hier).
Während die Politik auf mehr Engagement drängt, ist die überwiegende Mehrheit der Deutschen gegen eine stärkere außenpolitische Präsenz:
„Als Hauptgründe für ihren Wunsch nach einer stärkeren Zurückhaltung geben in der aktuellen Umfrage 73 Prozent an, dass Deutschland genug eigene Probleme habe, um die es sich zuerst kümmern sollte. 50 Prozent begründen ihre Zurückhaltung mit der deutschen Geschichte – insbesondere Befragte ab 60 Jahren argumentieren so. 37 Prozent finden, Deutschlands Einfluss in der Welt sei zu gering, um etwas bewirken zu können“, so das Ergebnis der Umfrage „Einmischen oder zurückhalten?“ zur Sicht der Deutschen auf die Außenpolitik, durchgeführt im Mai 2014 von der Körber-Stiftung.
Dieses Verhältnis zwischen Politik und Gesellschaft und dem Wunsch nach einem stärkeren Engagement hat sich in den vergangen 20 Jahren diametral geändert. Vor zwanzig Jahren wollten noch zwei Drittel der Deutschen ein stärkeres außenpolitisches Engagement, heute nur noch ein Drittel:
„Mitte der 1990er-Jahre dominierten fast täglich erschreckende Kriegsbilder aus Bosnien die Abendnachrichten . Es gab allgemein das Gefühl, dass gegen diese Gräuel etwas getan werden muss. Heute stellt sich die internationale Lage in Europa weniger dramatisch da. Ich selber habe so eine starke Umkehr der öffentlichen Meinung allerdings auch nicht erwartet“, so Thomas Paulsen, Leiter Internationale Politik der Körber-Stiftung, zu den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.
Eine zweite Erklärung für den Meinungswandel sei, dass sich Deutschland seit 1994 bereits stärker in der Welt engagiert hat, etwa in Afghanistan, Kongo oder am Balkan, so Paulsen.
Der Wunsch der Mehrheit nach Zurückhaltung bedeutet nicht, dass die Politik sich daran hält: „Das beste Beispiel ist Afghanistan. Eine Mehrheit der Deutschen war gegen die Präsenz der Bundeswehr am Hindukusch, doch Bundesregierung und Bundestag haben den Einsatz Jahr für Jahr verlängert. Das war nur möglich, weil die Außenpolitik nicht so eine wichtige Rolle für die Bürger spielt wie andere Politikfelder, beispielsweise die Gesundheitspolitik. Es wäre sehr viel schwieriger, in diesem Bereich eine Politik gegen die Mehrheit der Bevölkerung solange durchzuhalten“, sagt Paulsen.
Für den Schutz der Menschenrechte oder Frieden in der Welt ist die gesellschaftliche Bereitschaft höher, einzugreifen. 66 Prozent halten diese Aufgabe für wichtig - 27 Prozent mehr als im Jahr 1994. „Werden die Bürger allgemein und abstrakt befragt, ist die Ablehnung höher. Werden sie konkret gefragt, etwa ob das Engagement zur Verhinderung eines Völkermordes oder zur Erhaltung des Friedens in Europa führen soll, ist die Bereitschaft der Bürger höher, einem Einsatz zuzustimmen.“ Wirtschaftliche Interessen sind hingegen kein Argument, um ein stärkeres Engagement zu fordern.
Vor allem die Jüngeren sind für eine größere außenpolitische Rolle Deutschlands. Liegen massivste Menschenrechtsverletzungen vor, etwa bei Völkermord, sollte Deutschland auch ohne internationales Mandat die Bundeswehr schicken, so die Meinung dieser Altersgruppe. „Viele der älteren Bürger haben den Zweiten Weltkrieg noch miterlebt. Vermutlich sind sie deshalb zurückhaltender“. Die Jungen seien sowohl idealistischer als auch internationalistischer.
Für die Bürger gibt es klare Vorstellungen darüber, wie ein internationaler Einsatz auszusehen habe: Humanitäre Hilfe und diplomatische Verhandlungen sollen verstärkt werden. Militär-Einsätze und Waffenlieferungen werden von 80 Prozent der Befragten abgelehnt.
Trotz der gegenwärtigen Spannungen erkennen Deutsche weiterhin die Notwendigkeit, mit Russland zusammenzuarbeiten: „Es gibt in Deutschland eine hohe traditionelle Wertschätzung gegenüber Russland und lange gewachsene Verbindungen. Das umfasst fast alle Bereiche wie Kultur, Handel und Politik. Die Wertschätzung Russlands ist aber nicht gleichbedeutend mit einer Wertschätzung Putins“, so Paulsen.