Wirtschaft

EU will russisches Gas systematisch in die Ukraine umleiten

Die EU will Russland bei den Gaslieferungen an die Ukraine ins Abseits stellen - allerdings mit genau jenem Trick, der den Zorn der Russen bereits im Gas-Streit mit der Ukraine erregt hatte. Russisches Erdgas, das für die EU bestimmt ist, soll in die Ukraine zurückgeleitet werden. Moskau dürfte dies als Provokation werten, die Russland mit einer Drosselung der Gaslieferungen kontern könnte.
22.11.2014 22:54
Lesezeit: 2 min

Die politischen Vertreter aus Kiew und Brüssel waren am vergangenen Wochenende darauf Bedacht, ihre energiepolitischen Beziehungen aufzubessern. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wurde auf dem Gipfel der Visegrád-Gruppe in Bratislava herzlich empfangen. Dort stand er in Konsultationen mit seinen Amtskollegen aus Tschechien, Polen, der Slowakei und Ungarn.

Die Mitglieds-Staaten der Visegrád-Gruppe sind Tschechien, Polen, die Slowakei und Ungarn. Das Hauptanliegen dieser Gruppe ist es, ihre wirtschaftliche Integration in die EU anzukurbeln.

In Bratislava erhielt Poroschenko eine Garantie dafür, dass die Ukraine durch Reverse-Lieferungen jährlich insgesamt 21 Milliarden Kubikmeter Erdgas zu erhalten. Diese Menge soll aus der Slowakei kommen und würde nahezu den gesamten jährlichen Energieimport-Bedarf der Ukraine decken.

Im April wurde zwischen Ungarn und der Slowakei eine 111 Kilometer lange Erdgasleitung eingeweiht, das Erdgas in beide Richtungen liefern soll. Bis zu 500.000 Kubikmeter Gas können stündlich aus der Slowakei nach Ungarn und 200.000 Kubikmeter aus Ungarn in die Slowakei gepumpt werden. Die Pipeline kommt Anfang 2015 zum Einsatz, berichtet die Budapester Zeitung.

Reverse-Lieferungen erfolgen innerhalb eines gemeinsamen Energiemarkts, die innerhalb der EU ausgebaut werden soll. Dadurch erhalten EU-Mitglieder die Möglichkeit, nicht nur Erdgas aus Russland zu erhalten, sondern das importierte russische Erdgas innerhalb des gemeinsamen Markts weiterzuleiten. Im September kam raus, dass Polen die Ukraine mit russischem Gas beliefert hatte. Gazprom-Chef Miller nennt dies einen „halb-betrügerischern Mechanismus“.

Ukrinform zitiert Oettinger in diesem Zusammenhang mit einer interessanten Auslegung der russischen Gasverträge. Ohne Angabe von Ort und Zeit, wann Oettinger sich geäußert hat, schreibt Ukrinform als wörtliches Zitat Oettingers:

“Wenn Sie in einen Carrefour Supermarkt gegen (eine beliebte Supermarkt-Kette) und dort Waren kaufen, dann gehören Ihnen diese Waren. Sie sind frei, diese Waren zu lagern, zu verwenden oder zu verkaufen – sie sind Ihr Eigentum. Wenn also Gas-Firmen Gas kaufen, gehört es nicht mehr Gazprom, und die Firmen können damit machen, was sie wollen: Sie können es verkaufen oder lagern. Wir haben strenge Regeln über den internen Gas-Markt und sie sind alle in Übereinstimmung mit den EU-Erfordernissen.”

Am vergangenen Freitag ist der EU-Vizepräsident für die Energieunion, Maroš Šefčovič, erstmals nach Kiew gereist. Er wollte damit die Solidarität der EU für die Ukraine demonstrieren. Begleitet wurde er von dem Direktor des Energie-Binnenmarkts der EU, Klaus-Dieter Borchardt. Er führte intensive Gespräche mit dem Geschäftsführer des ukrainischen Energie-Riesen Naftogaz, Zuri Vitrenko. Allerdings ist der Energiesektor der Ukraine der landesweit „korrupteste Sektor“, berichtet die Financial Times.

Derzeit kann sich die Ukraine aufgrund von IWF-Finanzhilfen in Höhe von 17 Milliarden US-Dollar über Wasser halten. Doch das Land ist immer mehr auf die Währungsreserven der Notenbank in Kiew angewiesen, um die Gazprom-Schulden in Höhe von drei Milliarden US-Dollar decken zu können.

Klaus-Dieter Borchardt wörtlich:

„Es wird eine zusätzliche Finanzierung geben. Die Ukraine hat eine Anfrage für weitere Finanz-Hilfen in Höhe von zwei Milliarden Euro gestellt. Wir haben schon zwei laufende Programme. Nun hat Kiew nach einem dritten Programm gebeten, was derzeit von der EU-Kommission geprüft wird. Eine endgültige Entscheidung wird zu Beginn des kommenden Jahres getroffen.“

Die Ukraine werde noch im aktuellen Jahr weitere 500 Millionen Euro von der EU erhalten. Mit den Geldern sollen vor allem Gasrechnungen bezahlt werden. Kiew erwartet zusätzliche Tranchen vom IWF, der Weltbank, den Internationalen Finanzierungsinstitutionen (IFI) und der Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE).

Für Borchardt hängt die Energiesicherheit der EU von der Energiesicherheit der Ukraine ab. „Wenn ukrainische Konsumenten ihr Gas nicht erhalten, werden auch EU-Konsumenten ihr Gas nicht erhalten“, so der Direktor des Energie-Binnenmarkts der EU.

Die EU hatte eine kurzzeitige Einigung zwischen Kiew und Moskau ausgehandelt. Danach verpflichtet sich Russland, der Ukraine über die gesamten Wintermonate Erdgas ohne Unterbrechungen zukommen zu lassen. Naftogaz-Chef Vitrenko sagt, dass es ihm vor allem darauf ankomme, „faire Preise“ von Gazprom zu erhalten.

Er stehe für eine Normalisierung der Beziehungen ein. Andernfalls werde ein Stockholmer Schiedsgericht über den Preis-Streit mit den Russen entscheiden. Naftogaz hingegen steht vor der Zahlungsunfähigkeit.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik EU im Abseits: Trump bevorzugt London und Peking – Brüssel droht der strategische Bedeutungsverlust
12.05.2025

Während Washington und London Handelsabkommen schließen und die USA gegenüber China überraschend Konzessionen zeigen, steht die EU ohne...

DWN
Panorama
Panorama Nach Corona nie wieder gesund? Die stille Epidemie der Erschöpfung
12.05.2025

Seit der Corona-Pandemie hat sich die Zahl der ME/CFS-Betroffenen in Deutschland nahezu verdoppelt. Rund 600.000 Menschen leiden inzwischen...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Machtkampf der Tech-Eliten: Bill Gates attackiert Elon Musk – „Er tötet die ärmsten Kinder der Welt“
12.05.2025

Ein milliardenschwerer Konflikt zwischen zwei Symbolfiguren des globalen Technologiekapitalismus tritt offen zutage. Der frühere...

DWN
Politik
Politik Pflege am Limit? Ministerin fordert Reform für mehr Eigenverantwortung
12.05.2025

Pflegekräfte sollen mehr dürfen und besser arbeiten können – das fordert Gesundheitsministerin Nina Warken zum Tag der Pflegenden....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Milliarden ungenutzt: Irischer Top-Investor fordert Einsatz von Pensionsgeldern zur Stärkung europäischer Technologie
12.05.2025

Die europäische Technologiebranche droht im globalen Wettbewerb ins Hintertreffen zu geraten. Der Grund: Staatlich geförderte...

DWN
Politik
Politik Geheime Waffenlieferungen: Kritik an Intransparenz – Ukrainischer Botschafter lobt Merz’ Kurs
12.05.2025

Die neue Bundesregierung unter Friedrich Merz hat entschieden, Waffenlieferungen an die Ukraine künftig wieder geheim zu halten – ein...

DWN
Politik
Politik SPD-Spitze im Umbruch: Bas spricht von historischer Verantwortung
12.05.2025

Die SPD steht nach dem desaströsen Wahlergebnis von 16,4 Prozent bei der Bundestagswahl vor einem umfassenden Neuanfang. In Berlin haben...

DWN
Politik
Politik Beamte in die Rente? SPD und Experten unterstützen Reformidee
12.05.2025

Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas erhält Unterstützung aus der SPD für ihren Vorschlag, künftig auch Beamte, Selbstständige und...