Politik

Pflicht der EZB: Draghi muss Sturz Griechenlands in die Hölle verhindern

Lesezeit: 5 min
12.07.2015 10:12
Die griechische Regierung taumelt ins Chaos. Die Banken-Krise droht zum vollständigen Zusammenbruch des Finanzsystems zu führen. Sämtliche Spareinlagen könnten ausgelöscht werden. Das hat es noch nie gegeben. Das Mandat der EZB definiert ihre Pflicht, die Stabilität des Euro-Raums zu sichern. Sie muss nun tätig werden.
Pflicht der EZB: Draghi muss Sturz Griechenlands in die Hölle verhindern

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Mit dem Entscheid vom 28. Juni, die ELA-Liquidität einzufrieren, hat die EZB eine akute und historisch präzedenzlose Bankenkrise in Griechenland ausgelöst. Die Bankenkrise bringt eine umfassende Liquiditätskrise und eine rasch sich ausbreitende Lähmung aller Wirtschaftsaktivitäten mit sich. In den Bankenkrisen der 1930er Jahre in den USA brachen über lange Monate und Quartale viele Tausende kleiner lokaler rund regionaler Banken und Sparkassen zusammen, aber nicht das ganze System. In Griechenland stehen wir vor einem Totalkollaps der Banken und der gesamten Wirtschaft, wenn am Sonntag keine weit reichenden Entscheide getroffen werden. Es wäre die ultimative Katastrophe. Wer glaubt, ein Ende mit Schrecken sei besser als ein Schrecken ohne Ende, ist ein naiver Träumer – in dieser Situation ist eine absolute Hölle eine realistische Perspektive.

In Deutschland sind sich die Spitzenpolitiker wie auch die Medien nicht ganz bewusst, worum es wirklich geht. Es geht um den möglichen Totalkollaps einer ganzen Volkswirtschaft, in der fast 11 Millionen Bewohner leben. Es geht darüber hinaus um den Fortbestand und die Sicherung einer Währungsunion, die schrecklich entgleist und nahe beim Zustand der völligen Perversion angelangt ist. Die Zentralbank in dieser Union verhält sich nicht als Unterstützer der Banken und als ‚Lender of last Resort’, wenn es sie am dringendsten braucht, sondern als Exekutionsgehilfe für eine politische Strafaktion.

Die EZB hat von ihrem Auftrag her zwei primäre Aufgaben. Sie muss für Preisstabilität im Euroraum sorgen. Und sie muss für die Stabilität des Finanzsektors sorgen. Gab es in Athen das Risiko, dass eine Inflation drohte? Nein, das Land ist in einer schweren deflationären Abwärtsspirale gefangen, die es in einem eisernen Griff umklammert. Anzeichen einer Finanzpanik waren hingegen vorhanden mit den sich beschleunigenden Depositenabzügen. Daher ist es die Pflicht einer Notenbank, in einer solchen Situation das Bankensystem flüssig zu halten. Noch und noch haben Ökonomen wie Milton Friedman dies in eindrücklichen Arbeiten klar gemacht. Es gehört zum Wissen von Zentralbankiers. Mit ihrer Aktion hat die EZB ihr Mandat verletzt und gefährdet damit den primären Auftrag für eine Stabilität des Finanzsektors in der Eurozone. Wie Charles Wyplosz in einem lesenswerten Artikel auf Social Europe treffend schreibt, hat sie damit den ungeordneten, chaotischen Grexit mit kolossalen und wahrscheinlich maximalen Kollateralschäden vorbereitet. Dafür haben die Notenbankgouverneure aber gar kein Mandat.

Ein Grexit wäre eine politische Entscheidung, die in den Verträgen nicht vorgesehen ist, und müsste, wenn überhaupt, von den Staats- und Regierungschefs vorgenommen werden. In dieser Situation hat die EZB noch einen zweiten folgenschweren Fehler begangen. Sie hat die Kollateralanforderungen in der letzten Woche erheblich verschärft, so dass die Liquiditätskrise der griechischen Banken sich drastisch ausgeweitet hat. Was auffällt: Diejenigen, die sonst aufheulen, wenn Verträge und Mandate verletzt werden, sind mäuschenstill. Etwas derartig Perverses wie die Haltung der EZB hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Eine Notenbank, die Teile ihres eigenen Bankensystems bewusst und vorsätzlich in den Ruin treibt, ohne dafür ein Mandat zu haben, und eine ganze Wirtschaft zerschmettert.

Verschiedene deutsche Ökonomen wie Hans-Werner Sinn haben argumentiert, dass ohne das Kappen der ELA-Fazilität ein weiteres Verlustrisiko für die EZB-Notenbank entstehen würde. Die Aufgabe der Notenbank ist es, für Systemstabilität zu sorgen, und nicht Verlustrisiken zu minimieren. Das Ganze ist auch nicht durchdacht. Ein maximales Verlustrisiko für die Notenbank und im Übrigen für alle Steuerzahler der Gläubigerländer entsteht durch den am Montag bevorstehenden Zusammenbruch des griechischen Bankensystems und der ganzen griechischen Wirtschaft. Dann sind alle ihre Milliarden weg, ein und für alle Mal und unwiderruflich. Ein korrektes Vorgehen wäre gewesen, einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs einzuberufen, und, falls so bestimmt, einen geordneten Grexit mit einem Fahrplan und den wichtigen Etappen vorzubereiten.

Nur schon die Tatsache, dass man einen ungeordneten Grexit fahrlässig in Kauf nahm, ist verwerflich. Es zeigt eine fast perverse Gesinnung, einen blinden Straf- und Vernichtungswillen. Um es ganz klar zu sagen. Wer den griechischen Banken die Liquidität am Wochenende endgültig abstellt, vernichtet die wirtschaftliche Existenz von Millionen von Menschen, auch solchen die beim Referendum ja gestimmt haben. Auch solvente, gut geführte Firmen werden rasch pleite gehen. Es wird für Jahrzehnte keine Zukunft mehr in Griechenland geben. Europa wird wieder Mauern um sich herum errichten, weil Hunderttausende oder eher Millionen von Flüchtlingen nach Westeuropa kommen wollen. Auf dem Balkan braut sich ohnehin eine explosive Mischung zusammen. Nebenbei verbrennt der ungeordnete Grexit noch rund 360 Milliarden Euro und sorgt für weitere endlose Zahlungen im Rahmen von sogenannt humanitärer Hilfe.

Für tiefer schürfende Schuldzuweisungen ist jetzt keine Zeit. Für den heutigen Tag geht darum, das katastrophale sich anbahnende Unheil einzugrenzen, welches für die ganze griechische Bevölkerung und für Europa droht. Die Entscheider in der Eurozone haben ganz verschiedene Wissenstände und Agenden: Die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank haben immerhin den Ernst der Lage zu begreifen begonnen. Sie befürworten ein drittes Rettungspaket, zu dem auch der IMF steht. Sie begründen dies auch explizit mit Systemrisiken. Sie haben auch erkannt, dass es zur Rekapitalisierung der Banken grössere Summen braucht. Die Rede ist bisher von 24 Milliarden Euro. Sie werden rasch herausfinden, dass es um deutlich grössere Summen geht. Die Eurogruppe der Finanzminister dagegen steht herrlich neben den Schuhen. Sie sind noch in voller Montur und in Bunkermentalität im Kampf gegen die griechische Regierung. Sie wollen nicht nur die alten Forderungen mit drastischen Erhöhungen der Mehrwertsteuern. Diese sind durch die Bankenkrise ohnehin endgültig sinnlos geworden. Nein sie wollen mehr.

Sie wollen noch härtere Austerität als vertrauensbildende Maßnahmen. Der Harakiri als Zeichen der Seriosität und Vertrauensbildung. Dieses Gremium hat sich für schwierige Fälle und akute Krisen diskreditiert. In einer Situation einer akuten Liquiditäts- und Bankenkrise braucht es nur eines nicht: Die Ankündigung weiterer scharfer Austeritätsmassnahmen. An diesem Gipfel kann es nur um zwei Punkte gehen. Ein Teil der Teilnehmer, so der deutsche Finanzminister Schäuble, wollen ganz offen den Grexit. Auch andere Länder dürften in die gleiche Kerbe hauen, so wahrscheinlich die Niederlande, Finnland und einige der baltischen Länder. Andere Länder wollen das ganz klar nicht. Dazu dürften Frankreich und Italien gehören. Ein Gipfel ist immer unklar im Ausgang, es kann eine unerwartete Dynamik geben.

So noch ein Rest von Verstand bei den Staats- und Regierungschefs vorhanden ist, können sie keine finale Entscheidung treffen. Sie müssen eine Entscheidungsgrundlage haben, wo die Pro’s und Kons einer Grundsatzentscheidung deutlich und klar herausgearbeitet sind, inklusive der grundlegenden Fahrpläne und der finanziellen Konsequenzen. Diese Entscheidungsgrundlage muss von der Troika und der griechischen Regierung herausgearbeitet werden.. Nur diese haben einigermassen den Überblick. Allenfalls müssen externe Experten herbeigezogen werden. Dies darf maximal zwei Wochen, allenfalls bis Ende Juli dauern. Es ist die einzige Chance, um das katastrophale Krisenmanagement beider Seiten ohne Plan B, ohne klar herausgearbeitete Alternativen und vordefinierten operativen Abläufe auf eine einigermassen professionelle Grundlage zu heben. Dafür sind drei Berichte notwendig: Ein Bericht, wie eine Lösung für einen Verbleib Griechenlands aussieht. Ein Bericht und Massnahmenplan für den Grexit. Und ein Bericht, der die beiden Alternativen vergleicht, ihre Pro’s und Kon’s herausarbeitet und allenfalls eine Empfehlung abgibt.

Für diese kurze Zwischenzeit gilt es, keinerelei Einzelmassnahmen festzulegen. Solche dürften schon vom Ansatz her fehlerhaft sein. Die Gipfelteilnehmer müssen sich erst einmal klar darüber werden, was für eine Katastrophe ganz akut in Griechenland droht. Sie müssen auch einen detaillierten Plan für den Grexit ausarbeiten lassen, weil so etwas offensichtlich nicht vorhanden ist. Erst dann können sie einen kohärenten und sinnvollen Massnahmenplan beschliessen. Diese Grundsatz-Entscheidung muss es der ohnehin schwer verirrten EZB erlauben, den Rahmen für die ELA sofort und massiv wieder aufzustocken.

Nach aller Evidenz, welche bisher in der Presse durchgesickert ist, ist ein grosser Teil der in Griechenland noch vorhandenen Einlagen durch die Einlagensicherung von 100.000 Euro abgesichert. In der Presse gehen Zahlen von rund 100 Milliarden Euro um, welche dies betrifft. Die restlichen 30 Milliarden betreffen vor allem Konten kleiner und mittlerer Unternehmen. Eine Vorentscheidung müssen die Gipfelteilnehmer sofort nehmen. Die Einlagensicherung darf nicht angetastet werden, sonst ist eine sich anbahnende Banken-Panik in Europa so gut wie sicher. Das ganze Gerede über eine Bankenunion wäre dann restlos diskreditiert. Die Beträge für die Privaten müssen sofort auf deutlich über 60 Euro pro Tag angehoben werden. Die Konti für die Kleinunternehmen müssen ebenfalls im grösseren Mass freigegeben werden, damit die Zahlungen fliessen, und die Liquiditätskrise nicht zum vollständigen Zusammenbruch der Wirtschaft führt.

Treffen die Gipfelteilnehmer andere Entscheidungen, so riskieren sie, für ein giganisches Zerstörungswerk verantwortlich zu sein. Wird die Liquiditätshilfe nicht sofort angehoben, haben sie 360 Milliarden versenkt und außerdem ein Land irreversibel zerstört. Einen Entscheid pro Grexit jetzt zu treffen, ohne die Konsequenzen zu kennen, ist ebenfalls völlig unverantwortlich. Den Verbleib Griechenlands aufgrund einer Racheagenda zu beschliessen, ist per se sinnwidrig. Jetzt wird sich zeigen, ob Frau Merkel noch einen Funken von Verstand und ein Gespür für professionelle Krisenmanagement hat. Oder ob sie von der nationalistischen Hetzstimmung in den deutschen Medien in eine Katastrophe für Deutschland hineinmanövrieren lässt.

Welche Option die teuerste wird, ist leicht zu beantworten. Wenn man den ganzen produktiven Apparat einer Volkswirtschaft vorgängig zerstört, gibt es Schrecken ohne Ende. Es wird unzählige Opfer geben. Die benötigte humanitäre Hilfe wird finanziell ins Unermessliche steigen.


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