Die Financial Times, einflussreiches Sprachrohr der Finanzbranche, kommt zu einem vernichtenden Urteil über den Betrugsfall bei VW: Niemand installiere irrtümlich eine ausgefuchste Software, die dazu dient, die Aufsichtsbehörden zu täuschen. VW-Chef Martin Winterkorn habe sich selbst immer damit gelobt, als Ingenieur die Technologie zu verstehen und daher bessere Autos zu bauen.
Nun aber sei aufgeflogen, dass VW bewusst in Kauf genommen habe, Kunden und Passagiere in seinen Autos zu gefährden. Die FT listet akribisch auf, dass die giftigen Gase, die VW verharmlost hat, Atemprobleme und eine erhöhte Sterberate wegen Herz- oder Lungenerkrankungen seien die Folge. Gifte wie die in Frage stehenden seien für zehntausende Todesfälle verantwortlich.
VW habe Kunden und Regulatoren bewusst betrogen – und damit die Marke vermutlich auf Jahre hinaus beschädigt. Außerdem habe VW mit seinem kriminellen Verhalten die in Europa als sauber gepriesene Diesel-Technologie schwer beschädigt.
Die Berichterstattung in den USA lässt keine Zweifel zu: Über den Skandal wird berichtet, indem die VW-Produkte im Zusammenhang mit dem Skandal über alle Bildschirme flimmern (Video am Anfang des Artikels).
Die FT fordert ungewöhnlich unverhohlen den Rücktritt Winterkorns, dem sie vorwirft, eine Kette von Befehlsentscheidungen zu verantworten, die zu dem Skandal geführt habe.
Die FT fordert die VW-Investoren auf, harte Fragen zu stellen.
Die US-Behörden haben strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Erste Medien berichten vom bevorstehenden Rücktritt Winterkorns. Die Aktie sackte am Dienstag zeitweise erneut um 20 Prozent ab.
Doch Winterkorn will weitermachen und lehnt einen Rücktritt ab: Es wäre falsch, wenn wegen der schlimmen Fehler einiger weniger, die ehrliche Arbeit von 600.000 Menschen unter Generalverdacht gerät, sagte Winterkorn in einem Video-Statement, das auf der Webseite des Konzerns veröffentlicht wurde. "Deshalb bitte ich um ihr Vertrauen auf unserem weiteren Weg."
Erst im September hatte die deutsche PR-Branche den Kommunikationschef von VW, Stephan Grühsem, für seine "herausragende Arbeit bei der internen wie externen Positionierung des Unternehmenszum PR-Mann des Jahres gekürt". Laudator war Martin Winterkorn, Grühsems Chef. Die Trophäe, die die PR-Profis traditionell jene überreichen, die ihren Spin am geschicktesten in den Medien platzieren, ist traditionell ein Seismograph. Wie erfolgreich Grühsem bei der Positionierung Winterkorns in den Medien war, kann man in der Zeitung Die Welt nachlesen. Das Blatt schreibt im April 2015 nter dem Titel "Warum es Irrsinn ist, Winterkorn zu entmachten":
Selbst als Vorstandschef legte Winterkorn so oft wie möglich selbst Hand an. Alle zwei Wochen landen in Wolfsburg auf dem sogenannten Schadenstisch der Entwicklung Komponenten, die nicht funktionieren, wie sie sollen. Der Metallphysiker Winterkorn greift dann zum Werkzeug, dem sogenannten "Winterkorn-Besteck". Das umfasst Feuerzeug, Nagel, verschiedene Schraubenzieher und -schlüssel. Mit solchen Utensilien traktiert der pingelige Physiker die Bauteile.
Diese Involvierung in Details könnte Winterkron nun zum Verhängnis werden. Es dürfte schwer fallen, die Gerichte und die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass ausgerechnet ein solch essentielles Detail wie die Manipulation der Abgas-Werte an dem für seine straffe Führung bekannten Manager vorbeigeschmuggelt worden sein soll. Der Seismograph war offenkundig nicht Teil des Winterkorn-Bestecks.