Politik

Statt in Flüchtlings-Krise zu helfen: Nato übt im Mittelmeer Kampf gegen Russland

Am Balkan und auf dem Mittelmeer erreicht die Flüchtlings-Krise historische Ausmaße. Doch statt zu helfen, hält die Nato ein gigantisches Mittelmeer-Manöver ab, bei der Kampf gegen Russland simuliert wird. 36.000 gut ausgebildete Soldaten ballern mit Platzpatronen durch die Gegend, während die freiwilligen Helfer in Deutschland vor Erschöpfung zusammenbrechen.
04.11.2015 15:55
Lesezeit: 2 min

Der bevorstehende Winter wird für hunderttausende Flüchtlinge entlang des Mittelmeers und der Balkan-Route zu einer humanitären Katastrophe. Das sagen Menschenrechtsorganisationen voraus. Zugleich herrscht in den EU-Staaten das pure politische Chaos, weil sich alle für überfordert erklären und Angela Merkel nach wie vor auf Konsenssuche für ihre Internierungslager ist. Die freiwilligen Hilfsorganisationen in Österreich und Deutschland sind mit ihren Kräften am Ende. Die Behörden haben den Überblick verloren und fürchten, dass es noch schlimmer kommt: Frontex-Chef Fabrice Leggeri sagte der Bild-Zeitung, die Grenzschutzagentur habe seit Jahresbeginn „mehr als 800.000 irreguläre Grenzübertritte“ an den EU-Grenzen registriert. Immer noch machten sich viele Menschen aus Krisenregionen auf den Weg.

Und was macht die Nato – die ja auch von den europäischen Steuergeldern finanziert wird? Jede normale Armee würde zu einem humanitären Assistenzeinsatz ausrücken. Die Nato könnte alle Kräfte sammeln und entlang der Balkan-Route, vor allem aber in den Nato-Staaten Türkei, Griechenland und Italien eine provisorische Hilfe für die Trecks der Vertriebenen errichten. Sie könnte, wie es die Bundeswehr im Katastrophenfall machen würde, alles unternehmen, um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Sie könnte zugleich der unterfinanzierten und hilflosen Frontex-Truppe helfen, endlich mit der Sicherung der EU-Außengrenzen zu beginnen.

Doch stattdessen tut die Nato, dieser Staat im Staate, so, als ginge sie das alles nichts an – und hält im Mittelmeer das größte Manöver seit einem Jahrzehnt ab: Insgesamt 36.000 Soldaten, 3000 Marines und Spezialkräfte, 140 Flugzeuge, 60 Schiffe und sieben U-Boote üben unter dem bombastischen Namen „Trident Juncture“ den Kampf gegen Russland, während in der unmittelbaren Nachbarschaft Europa zerbricht und Angela Merkel vor militärischen Konflikten vor unserer Haustür warnt.

So definiert der Bundeswehr General Hans-Lothar Domröse weiter „den Russen“ als Gegner, währen die EU-Staaten hoffen, dass Wladimir Putin seinen gescheiterten US-Kollegen Obama in Syrien herauspaukt und die Welle der Vertreibung endlich ein Ende nimmt. Domröse sinniert in einem Reuters-Interview über die neue Weltbedrohung durch die Russen:

„Allein in den vergangenen zwei Jahren brachte Russland bei drei Alarmierungsübungen jeweils mehr als 80.000 Soldaten auf die Beine. Zusammen mit der massiven Aufrüstung der Armee mit modernsten Waffen bereiten diese auch als „snap exercises“ bezeichneten unangekündigten Manöver der Nato große Sorge. Sie bildeten unter anderem den Auftakt zur Annexion der Krim. „Was machen wir denn, wenn der plötzlich 'snappt' und dann nicht mehr aufhört?“ fragt Domröse rhetorisch. In der Ukraine seien die Russen einfach weitergerollt. Zudem könnte Russland mit seinen vorgeschobenen Basen in Kaliningrad, Syrien und auf der Krim womöglich die Verbindung zu den Nato-Verbündeten im Baltikum und der Türkei abschneiden, was für die Allianz inakzeptabel wäre.“

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es bei einigen Militärs mangels politischer Beaufsichtigung „gesnappt“ hat: Wir haben in der EU ein reales, aktuelles Existenzproblem, dass das Leben von hunderttausenden Flüchtlingen und gleichzeitig die gesamte innere Sicherheit der EU bedroht und an den Rand des Kollaps‘ bringt. Während in München, Passau, Freising und in hunderten anderen Städten die Freiwilligen mit hängender Zunge für die Flüchtlinge arbeiten, tummeln sich 36.000 bestens ausgerüstete Soldaten im Mittelmeerraum und „spielen“ Krieg. Was für eine Verschwendung von Ressourcen, welch eine Fehlplanung, was für eine inhumane Arroganz. „Wir schaffen das“, sagt Angela Merkel. Die Nato fühlt sich nicht angesprochen. Die deutschen Politiker streiten darüber, ob sie die Haftanstalten für Flüchtlinge ohne Perspektive „Transitzonen“ oder „Einreiselager“ nennen sollen. Europa taumelt in immer finstere Zeiten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Mit einem Fondsdepot mehr aus dem eigenen Geld machen

Wer vor zehn Jahren 50.000 Euro in den Weltaktienindex investiert hat, kann sich heute über mehr als 250.000 Euro freuen! Mit der...

DWN
Politik
Politik Wie wähle ich bei der Bundestagswahl? Deutschland verweigert wahlberechtigten Auslandsdeutschen ihre Stimme abzugeben
22.02.2025

Mehrere Auslandsdeutsche berichten, zu spät oder bislang noch gar keine Wahlunterlagen erhalten zu haben. Nun drohen die Stimmen dieser...

DWN
Politik
Politik Rente mit 63: Wer wirklich von der abschlagsfreien Rente profitiert
22.02.2025

Die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren ist für Menschen gedacht, die beruflich sehr stark belastet sind. Doch aktuelle DIW-Zahlen...

DWN
Politik
Politik Alternativen zu Trumps Appeasement-Politik gegenüber Russland
22.02.2025

US-Präsident Donald Trump sagt, er wolle der Ukraine Frieden bringen. Aber sein Ansatz kann nicht funktionieren, weil er das Problem der...

DWN
Panorama
Panorama Deutschland "kaputt": Münchaus düstere Prognose für die Wirtschaft
22.02.2025

Deutschland steckt in der Krise – und es gibt kaum Hoffnung auf Besserung. Der deutsch-britische Autor Wolfgang Münchau sieht das Land...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Kündigung rechtssicher zustellen: So vermeiden Sie teure Fehler
22.02.2025

Wie Sie eine Kündigung korrekt übermitteln – von der persönlichen Übergabe bis zum Gerichtsvollzieher. Welche Methoden wirklich...

DWN
Panorama
Panorama Kaffee bald Luxus? Wie durch ein EU-Gesetz, Abholzung und das Wetter die Preise explodieren
22.02.2025

Der Preis für Kaffee ist an den Börsen in den letzten fünf Jahren um das Vierfache gestiegen. Die Ursachen für die Rekordpreise, die...

DWN
Technologie
Technologie Mobilfunk Bahn: Empfang unterwegs verbessert sich endlich
22.02.2025

Wer im Zug telefoniert oder surft, stößt oft auf Funklöcher und langsames Internet. Jetzt verbessert eine neue Technik die Verbindung...

DWN
Politik
Politik 630 Sitze, 29 Parteien, 4.506 Kandidaten: Zahlen zur Wahl
22.02.2025

Die Bundestagswahl 2025 bringt große Veränderungen mit sich: weniger Kandidaten, ein neues Wahlrecht und eine alternde Wählerschaft. Wer...