Etwa 200.000 Kurden flüchten aus der Südost-Türkei. Seit dem August wurden in insgesamt 17 Städten Ausganssperren verhängt. Etwa 10.000 Polizisten und Soldaten sind in dem Gebiet im Einsatz.
Die Betroffenen vor Ort beschreiben kriegsähnliche Zustände. Zahlreiche Opfer sind zu beklagen. Die Geflüchtete Derya T. sagte der Zeitung Today’s Zaman: „Wir hatten kein fließendes Wasser mehr und die Stromtransformatoren sind explodiert. Ich habe sieben Kinder, sie können nicht mehr die Schule besuchen. Sie sind verstört. Wir mussten das Wasser trinken, das wir normalerweise auf der Toilette benutzen. Meine Kinder sind erkrankt, einschließlich des Jüngsten, der noch in den Windeln liegt. Ich konnte sie nicht ins Krankenhaus bringen. Schließlich habe ich Kinder bei verschiedenen Verwandten untergebracht. Unsere Häuser sind voll von Einschusslöchern.“
Die Geflüchtete Ekrem Ş. berichtet Today’s Zaman, dass seine 11-jährige Tochter von einer Kugel getroffen wurde, als sie Brot holen ging. Ihr Körper soll 15 Minuten am Boden gelegen sein, bevor jemand zu ihr gehen konnte. Denn die Menschen trauen sich nicht mehr auf die Straße. „Ich habe jetzt nur noch zwei Kinder. Wir befinden uns in einer schlimmen Lage“, so der Mann. Er hätte seine Familie schon längst aus dem Konfliktgebiet weggeschafft. Doch ihm fehlen die finanziellen Mittel.
Die Situation in der Region hat sich verschärft, nachdem es in der jüngeren Vergangenheit zu schweren Zusammenstößen zwischen der PKK und türkischen Sicherheitskräften gekommen ist. Mitte Oktober gab es in Ankara einen Bombenanschlag gegen eine kurdische Friedensdemo. Mindestens 100 Personen starben.
Der ehemalige Generalstabschef der türkischen Streitkräfte, Ilker Başbuğ, hatte sich bereits im November zu den Zusammenstößen im Südosten der Türkei geäußert.
Die Regional-Zeitung Haber Diyarbakir zitiert Başbuğ: „Der Kampf gegen den Terrorismus muss ohne Zweifel entschieden weitergeführt werden. Doch parallel dazu müssen Ursachen, die den Zulauf zu Terror-Organisationen fördern, präventiv beseitigt werden. Ich bin zutiefst beunruhigt über die Vorkommnisse in den Städten des Südostens und wir alle müssen uns die Frage stellen: Wie konnte es soweit kommen?“
Mit Tränengas und Wasserwerfern ist die türkische Polizei am Dienstag gegen eine Demonstration gegen die Ausgangssperre in Diyarbakir vorgegangen. Wie ein AFP-Fotograf berichtete, hatten mehrere tausend Demonstranten versucht, in den umkämpften Stadtteil Sur vorzudringen. Die Polizei riegelte den Stadtteil jedoch ab. Als einige Demonstranten Steine auf die Polizisten warfen, setzten die Beamten Tränengas und Wasserwerfer gegen die Protestierenden ein. Unter den Demonstranten waren auch mehrere Abgeordnete.
Für das Stadtviertel Sur, wo es seit Tagen heftige Gefechte zwischen der türkischen Armee und Kämpfern der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gibt, gilt seit Ende November eine strikte Ausgangssperre. Damals war dort der prominente prokurdische Menschenrechtsanwalt Tahi Elci erschossen worden.
Die türkische Armee hatte vor einer Woche eine neue Großoffensive gegen die PKK im Südosten des Landes gestartet, die zu heftigen Kämpfen in Städten wie Diyarbakir, Cizre und Silopi führte. Bei den Gefechten in Sur wurden nach Armeeangaben am Montag acht PKK-Kämpfer und ein Soldat getötet. Insgesamt seien damit seit Beginn der Offensive 15 kurdische Aufständische in Sur getötet worden. In Cizre in der benachbarten Provinz Sirnak wurden den Angaben zufolge binnen einer Woche 103 "Terroristen" getötet.
Kurdische Aufständische hatten im Jahr 1984 im Südosten der Türkei einen Kampf um größere Autonomierechte begonnen. Der Konflikt der Regierung in Ankara mit der PKK eskalierte im Juni wieder, der vor drei Jahren eingeleitete Friedensprozess kam zum Erliegen. Auslöser waren mehrere blutige Anschläge der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) auf Kurden. In dem Konflikt wurden in den vergangenen 30 Jahren etwa 45.000 Menschen getötet.