Während Volkswagen der ID-Familie von Elektrofahrzeugen den letzten Schliff verleiht, gibt Martin Sander, Vorstand für Vertrieb, Marketing und After Sales bei Volkswagen Pkw, Einblick in die Pläne des nächsten Jahrzehnts. Laut Sander wird Volkswagen den Verbrenner-Golf weltweit weiter verkaufen, solange dies möglich und wirtschaftlich sinnvoll ist – vermutlich in einzelnen Märkten sogar über das Jahr 2035 hinaus. Daneben sollen Plug-in-Hybride in den nächsten drei Jahren eine wichtige Rolle spielen werden.
ID.1 soll neue Käuferschichten ansprechen
Der ID.1, kürzlich als ID.every1-Konzept angekündigt, soll in den kommenden Jahren in Europa eine Schlüsselrolle dabei übernehmen, Fahrergruppen für die Elektromobilität zu gewinnen, die bislang wenig davon überzeugt waren. Martin Sander erläuterte uns zunächst, wie die Entwicklung des neuen Fahrzeugs, das den äußerst beliebten, aber ausgemusterten e-up! ersetzt, voranschreitet.
Bonnier/DWN: Wie sind Sie bei der Entwicklung dieses Fahrzeugs vorgegangen? Wird es sich an ein breites Kundenspektrum mit unterschiedlichen Bedürfnissen richten?
Martin Sander: Ich denke, es spricht eine wirklich breite Bevölkerungsschicht an. Einerseits ältere Menschen, die ein Stadtauto benötigen. Andererseits junge Leute, für die es das erste Fahrzeug sein wird. Ältere Menschen brauchen ein sehr praktisches Auto, mit großem Kofferraum und viel Platz im Innenraum. Jüngere Fahrer wünschen sich ein eher modernes Interieur, aber wir können noch nicht zu viel darüber verraten. Doch es muss flexibel sein, etwa für Pizzaboten und ähnliche Berufe.
Bonnier/DWN: Warum erst 2027? Warum dauert es so lange, bis der ID.1 endlich auf den Markt kommt?
Sander: Ein Auto wie der ID.1 muss zwei Bedingungen erfüllen. Es muss wirtschaftlich sinnvoll sein, denn wir sind keine Wohltätigkeitsorganisation. Wir sind ein Unternehmen, das mit dem ID.1 Gewinn erzielen muss. Die erste Voraussetzung ist, dass die Batterien erschwinglich sind – und erst jetzt kommen sie auf den Markt. Gleichzeitig benötigen wir einen Markt für solche Fahrzeuge sowie eine geeignete Infrastruktur zum Aufladen. Der größte Absatzmarkt für diese Fahrzeuge wird Südeuropa, insbesondere Italien und Spanien, sein. Dort liegt der Anteil der Elektroautos derzeit zwischen vier und fünf Prozent, was vernachlässigbar ist.
Bonnier/DWN: Warum haben Sie beschlossen, den ID.1, den kleinsten der ID-Reihe, als letztes Modell vorzustellen?
Sander: Das ist eine natürliche Entwicklung der Technologie. Neue Technologien werden zuerst in größeren, teureren Autos eingeführt. Mit ihrer Verbreitung sinken die Preise, sodass sie in kleinere, erschwinglichere Modelle integriert werden können und trotzdem noch profitabel bleiben.
Bonnier/DWN: Welche Rolle wird dieses Modell auf den außereuropäischen Märkten spielen, zum Beispiel in China?
Sander: Vorerst planen wir nicht, den ID.1 außerhalb Europas anzubieten. Es ist ein europäisches Auto – in Europa entworfen, in Europa gebaut und für Europa konzipiert. Betrachtet man andere Märkte, zeigt sich, dass dort das Interesse an solchen Fahrzeugen relativ gering ist. Deshalb wird es zunächst hier erhältlich sein, und dann werden wir sehen, wie sich die Dinge entwickeln.
Bonnier/DWN: Vor einigen Tagen hat die Europäische Kommission mildere Maßnahmen beschlossen, um das Ziel der Kohlendioxidemissionen bis Ende des Jahres zu erreichen. Was bedeutet das für Verbrennungsmotoren und deren Verbot ab 2035?
Sander: Es handelt sich um eine gesetzliche Regelung der Europäischen Union, die weiterhin in Kraft ist. Sie bildet die Grundlage unseres Zukunftsplans, und uns ist bewusst, dass sie in Zukunft bekräftigt oder möglicherweise angepasst wird. Aber ich bin überzeugt, dass Elektroautos langfristig die einzige Option für den Individualverkehr sind. Insgesamt ist der Antrieb überlegen: Er beschleunigt schneller, läuft leiser und ist auch effizienter – und genau das zählt.
Bonnier/DWN: Der Golf war im vergangenen Jahr das zweitmeistverkaufte Auto auf dem alten Kontinent, und trotz der wachsenden Beliebtheit von Crossovern bleibt das Interesse an Verbrennern ungebrochen. Was plant Volkswagen in dieser Hinsicht?
Sander: Die eigentliche Frage ist, wann Europa – ähnlich wie Norwegen – vollständig elektrisch wird. In Dänemark liegt der Anteil der Elektroautos bei Neuwagen zwischen 60 und 70 Prozent, in Schweden bei fast 50 Prozent... Für uns ist die Lage eindeutig. Wir sind der größte Automobilhersteller der Welt. Wir müssen sowohl im Zeitalter der konventionellen als auch der elektrischen Autos wettbewerbsfähig bleiben, solange es irgendwo auf der Welt eine Nachfrage nach beiden gibt. Das Jahr 2035 ist daher nicht entscheidend, denn es wird einen natürlichen Übergang geben – nicht zuletzt durch den ID.1 und ID.2, die diese Technologie einer breiten Masse zugänglich machen werden.
Bonnier/DWN: Und wie geht es konkret mit dem Golf weiter?
Sander: Erst letztes Jahr haben wir den neuen, überarbeiteten Golf eingeführt. Es ist ein modernes Fahrzeug, und das Interesse daran ist groß. Das einzige Problem derzeit: Wir können die hohe Nachfrage nicht bedienen. Die Auftragsbücher sind voll, und das Auto verkauft sich hervorragend. Deshalb werden wir den Golf mit klassischem Antrieb noch viele Jahre im Programm behalten – mindestens bis 2035 und, sofern es die europäische Gesetzgebung erlaubt, sogar noch länger. Er ist essenziell für den Erfolg der Marke und bleibt verfügbar, solange irgendwo auf der Welt Nachfrage besteht. Und natürlich wird es auch einen elektrisch betriebenen Golf geben, der lange Zeit parallel existieren kann.
Bonnier/DWN: Kommt eine neunte Generation?
Sander: Das bleibt abzuwarten. Es hängt stark von der Gesetzgebung ab. Wahrscheinlich müssen wir die Zahl der konventionell betriebenen Modelle bis 2035 reduzieren, sodass die achte Generation bis dahin weiterlaufen könnte. Falls jedoch das Verbot klassischer Motoren aufgehoben wird und das Interesse an Verbrennern in der zweiten Hälfte des kommenden Jahrzehnts wächst, müssen wir möglicherweise eine neue Generation in Betracht ziehen. Noch ist alles offen. Aber wir werden alles daransetzen, den Golf wettbewerbsfähig und modern zu halten – schließlich ist er eine echte Ikone, und ich glaube nicht, dass wir eine andere Wahl haben.
Bonnier/DWN: Ich habe gehört, dass Sie kürzlich die Produktion aus Wolfsburg abgezogen haben?
Sander: Noch nicht, aber das werden wir tun – nach Mexiko. Denn wir müssen die Produktionskapazitäten in Wolfsburg für die nächste Generation von Elektroautos freihalten.
Bonnier/DWN: Wie sieht es bei Ihnen mit den Kohlendioxid-Emissionen aus? Wie weit sind Sie noch von den 95 Gramm pro gefahrenem Kilometer entfernt, die die EU vor nicht allzu langer Zeit gefordert hat?
Sander: Wir sind auf einem guten Weg, dieses Ziel zu erreichen. Auch wenn es eine Herausforderung bleibt, könnten wir das Ziel auf Konzernebene noch schaffen. Das ist natürlich eine positive Entwicklung.
Bonnier/DWN: In Slowenien und anderen europäischen Ländern haben Händler verschiedener Marken, darunter Volkswagen, die Preise für Diesel und Plug-in-Hybride angeglichen. Was erwarten Sie in diesem Bereich? Wann wird der Höhepunkt der Plug-in-Hybride erreicht, und welche Rolle spielen sie in den kommenden Jahren?
Sander: Plug-in-Hybride sind eine Übergangstechnologie zwischen konventionellen Antrieben und reinen Elektroautos. Wir sehen, dass die elektrische Reichweite zunimmt, was sie immer attraktiver macht und das Interesse daran weiter steigen lässt. Wir bieten diese Technologie im Passat, im neuen Tiguan und sogar im Golf an – mit einer elektrischen Reichweite von über 100 Kilometern, teilweise bis zu 140 Kilometern. Gerade bei kleineren Modellen haben wir die besten Plug-in-Hybride auf dem Markt. Ich denke jedoch, dass die Nachfrage nach Plug-in-Hybriden zwar groß ist, aber in zwei bis drei Jahren ihren Höhepunkt erreicht haben wird und sie dann nach und nach durch reine Elektroautos ersetzt werden.
Bonnier/DWN: Wie hoch ist der Marktanteil von Plug-in-Hybriden an den Verkäufen bestimmter Modelle, beispielsweise des Tiguan?
Sander: Etwa 20 Prozent – was natürlich ein beachtlicher Wert ist.
Bonnier/DWN: Was ist mit E-Kraftstoffen und synthetischem Benzin?
Sander: Diese Technologie wird auch in anderen Bereichen, etwa der Luftfahrt, eine wichtige Rolle spielen. Sie kann zudem dazu beitragen, Millionen von Fahrzeugen zu dekarbonisieren, die derzeit noch mit fossilen Brennstoffen fahren. Das werden wir in den kommenden Jahren angehen. Doch das gesamte Konzept halte ich für problematisch. Die Herstellung dieser Kraftstoffe ist extrem energieintensiv, und letztlich würden sie in Autos mit ineffizienten Verbrennungsmotoren genutzt. Deshalb bin ich überzeugt, dass Strom die bessere und effizientere Lösung ist.
Infos zur Person:
Martin Sander wurde 1967 in Hildesheim geboren und schloss sein Maschinenbau-Studium an der Technischen Universität Braunschweig als Diplom-Ingenieur (TU) ab. Er blickt auf eine 25-jährige Karriere in der Automobilindustrie zurück. Bei der Audi AG hatte Martin Sander eine Reihe verschiedener Führungspositionen in Nordamerika und Europa inne. Hierunter fallen unter anderem Positionen als Senior Vice President of Sales für Europa, Deutschland, Amerika und UK. Der Diplom-Ingenieur war zuletzt Vorsitzender der Geschäftsführung der Ford-Werke GmbH sowie General Manager Ford Model e für Ford of Europe. Martin Sander ist seit dem 1. Juli 2024 Vorstand für Vertrieb, Marketing und After Sales bei Volkswagen Pkw.