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Nato will Russland in Montenegro von Europa abschneiden

Lesezeit: 6 min
29.12.2015 01:26
Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung Montenegros gegen die Mitgliedschaft der NATO ist, treibt der montenigrinische Premier Milo Djukanovic diesen Schritt voran. Dahinter steckt ein Masterplan: Die Nato will Russlands letzte Verbindung zu Europa kappen. Die USA und die EU decken dabei die kriminellen Machenschaften des Premier.
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Am 2. Dezember wurde Montenegro offiziell von der NATO zur Mitgliedschaft eingeladen. „Ein historischer Tag für Montenegro“, meint NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. „Ein historischer Tag für Montenegro“, wiederholt der montenegrinische Ministerpräsident Milo Djukanovic.

„Eine Schande für Montenegro“, ließen die Montenegriner sowohl Milo Djukanovic als auch Jens Stoltenberg fünf Wochen zuvor wissen. Bei den Protesten gegen die NATO-Mitgliedschaft am 24. Oktober haben mehrere Tausend Montenegriner vor dem eigenen Parlament in der Hauptstadt Podgorica gegen die Absicht der eigenen Regierung, eine NATO-Mitgliedschaft zu erlangen, protestiert. Die vorerst friedlichen Proteste endeten mit Randalen, Polizeieinsatz, Tränengas, Schlägereien und Verhaftungen.

Im Gegensatz zum Oktober 2015 verliefen die Proteste gegen die NATO-Mitgliedschaft Montenegros am 12. Dezember ruhig. Doch die Ruhe schien trügerisch: Offensichtlich haben die beiden Kontrahenten – die Regierung und ihre Gegner – aus den Oktober-Protesten gelernt, dass sie bei den europäischen Politikern mit Gewalt nicht punkten können.

Doch der knapp 700.000-Einwohner-Staat ist zu tiefst gespalten. Obwohl die von der montenegrinischen Regierung engagierte französische Meinungsforschung-Agentur IPSOS von 52 Prozent Montenegrinern spricht, die der NATO-Mitgliedschaft zustimmen würden, ergeben die Zahlen des „Zentrums für Demokratie und Menschenrechte“ aus Podgorica ein anderes Bild: Maximal 36,5 Prozent der Bevölkerung befürworten den NATO-Beitritt.

Djukanovic hat am Montag angekündigt, dem Parlament die Vertrauensfrage zu stellen - ein Hinweis, dass sich der Premier seiner Sache nicht mehr sicher zu sein scheint. 

Doch was ist der wahre Grund der Anti-NATO-Proteste in Montenegro? Die Montenegriner vertrauen Milo Djukanovic nicht mehr. Während Milo Djukanovics Privatvermögen von Tag zu Tag wächst, leidet die montenegrinische Bevölkerung unter Armut und Arbeitslosigkeit. Die Adriaküste ist an ausländische Interessenten bereits ausverkauft. Regierungskritische Journalisten müssen in Montenegro um das eigene Leben fürchten. Regierungsgegner werden verfolgt und verhaftet.

Ein gewaltiges Problem mit dem Montenegro seit Jahrzehnten kämpft ist Korruption. Mit dem Titel „Ein Staat als Familiengeschäft“ nehmen mehrere europäische Zeitungen den langjährigen montenegrinischen Staatschef Milo Djukanovic und seine Familie unter die Lupe.

Laut Medienberichten 2009 aus Podgorica sei Milo Djukanovic durch undurchsichtige Geschäfte zum Millionär geworden. Mit 11 Millionen Euro Privatbesitz zählt das ehemalige Mitglied der jugoslawisch kommunistischen Partei (SKJ) zu den reichsten europäischen Politikern. Die Privatkasse seines Bruders Aco sei sogar mit stolzen 150 Millionen Euro gefüllt. Gegen die Vorwürfe verteidigt sich Milo Djukanovic unverschämt: „Ich bin Zielscheibe der Erfolglosen“.

Seit 1991 ist Milo Djukanovic abwechselnd entweder montenegrinischer Premierminister oder Staatspräsident. 2006 gelang es ihm durch eine Volksabstimmung, Montenegro aus dem Staatenbund mit Serbien loszureißen.

Schon vor dem NATO-Krieg gegen Serbien und Montenegro 1999 und besonders danach wird Milo Djukanovic immer wieder mit Zigarettenschmuggel in Verbindung gebracht. Es werden auch einige Verfahren wegen organisiertem Verbrechen gegen ihn in Italien geführt und eingestellt, gibt Der Spiegel an. Als ein Serbe, der in den 1990ern den Zigarettenschmuggel in Montenegro mitorganisierte, über seine Machenschaften mit den Politikern auspacken will, wird er am 7. Oktober 2000 von zwei Killern ermordet.

Am 23. Oktober 2008 wird ein weiterer Journalist durch eine Bombe ermordet: der Kroate Ivo Pukanic. Er ist Mitbesitzer der Zeitschrift Nacional und veröffentlicht regelmäßig Berichte über den Zigarettenschmuggel in Montenegro. Die Killer und ihre Unterstützer wurden verhaftet und auch verurteilt. Der Auftraggeber des Mordes bleibt bis heute unbekannt.

Bei dem Prozess rund um das Attentat gegen den Journalisten Ivo Pukanic in Zagreb sagt der langjährige Vertraute und Trauzeuge von Milo Djukanovic, Ratko Knezevic: „Pukanic hat mir erzählt, es wurde ihm Geld angeboten, damit er über die Zigarettenmafia und ihre Verbindungen mit Montenegro nicht mehr schreibt – zuerst zwei und dann auch fünf Millionen Euro.“ Die Drohungen seien, laut Knezevic, von Djukanovics Vertrauten ausgesprochen worden.

Ratko Knezevic war in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein Berater von Djukanovic und später auch ein wichtiger Player der Handelsvertretung Montenegros in den USA. Allein in der Zeit von 1999 und 2000 soll der Zigarettenschmuggel mehrere Milliarden Euro eingebracht haben, meinte Knezevic.

Während des Prozesses stellt sich durch Knezevics Aussagen heraus, dass mindestens acht ungelöste Mordanschläge auf montenegrinische und serbische Polizeifunktionäre auf das Konto der Zigarettenmafia gehen. Ein weiteres Opfer soll auch der vor Jahren ermordete montenegrinische Journalist und Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Dan, Dusko Jovanovic, gewesen sein. Laut der österreichischen Zeitung Der Standard, war er als möglicher Zeuge der italienischen Justiz gehandelt worden.

Am 30. August 2005 wurde auch der Polizeiermittler Slavoljub Scekic ermordet. Er war federführender Ermittlungsbeamter in zwei Morden gegen hohe Polizeibeamte und den Journalisten Jovanovic. Aus Mangel an Beweisen wurden die damaligen Ermittlungen eingestellt.

Dass regierungskritische Journalisten in Montenegro geschlagen, bedroht und unter Druck genommen werden ist nach wie vor gängige Praxis in der kleinsten ex-jugoslawischen Republik. Im Dezember 2013 beispielsweise explodiert vor der Redaktion der Tageszeitung Vijesti eine Bombe. Im Januar 2014 wird eine Reporterin der Tageszeitung Dan verprügelt. Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ reiht Montenegro in ihrer Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 114 von 180, was Medienfreiheit angeht, hinter Uganda, Nigeria und Katar.

Warum wird der kleine Adria-Staat von den Weltmächten so umworben? Warum sind die westlichen Politiker dem montenegrinischen Autokraten Milo Djukanovic so wenig kritisch? Weil die USA im Djukanovic einen wichtigen Verbündeten haben sind ihnen seine Machenschaften und dunkle Geschäfte egal. Ganz im Gegenteil – die USA und EU decken den montenegrinischen Nationalisten und sorgen dafür, dass ihm auch die europäischen Medien mit Samthandschuhen begegnen.

Bis zur Abspaltung Montenegros von Serbien stellte sich die ethnische Frage, wer Montenegriner und wer Serbe sei, nicht. Erst nach 2006 versucht Milo Djukanovic mit Ach und Krach eine Trennung zwischen Montenegrinern und Serben seinem Volk aufzuzwingen. Das Resultat: 45 Prozent der Einwohner sehen sich als Montenegriner, 29 Prozent als Serben, den Rest machen Bosniaken, Albaner, Muslime, Roma und Kroaten aus. Das sind die Zahlen der Volkszählung von 2011.

Djukanovics separatistischer Wahn gipfelt 2007 in der Ernennung der montenegrinischen Sprache als eigene und Amtssprache des jungen Balkanstaates. Bei der Volkszählung 2011 wurde angegeben: 43 Prozent der Bevölkerung in Montenegro sprechen Serbisch und 37 Prozent sprechen Montenegrinisch. Bis zur Abspaltung Montenegros von Serbien war Serbisch die offizielle Sprache Montenegros.

Von der Regierung unterstützt wurde 1993 die selbstständige montenegrinische Kirche gegründet, die jedoch bis heute von der orthodoxen Kirche kanonisch nicht anerkannt wird. 72 Prozent der Montenegriner gehören der serbisch-orthodoxen Kirche an.

Ein Land mit wenig Bodenschätzen in dem 88 Prozent des BMI vom Tourismus erwirtschaftet werden und betroffen von 20 Prozent Arbeitslosigkeit, stellt alles andere als eine stabile moderne Wirtschaft dar. Noch in den 1990ern wurden die meisten und wertvollsten Immobilien von russischen Investoren abgekauft.

Seit Juni 2012 laufen EU-Beitrittsverhandlungen mit Montenegro. Am 2. Dezember 2015 lud die NATO Montenegro offiziell dazu ein, dem nordatlantischen Bündnis beizutreten. Die NATO-Expansion in Richtung Russland ist fast zu Ende: Mit der militärisch umkämpften Ukraine im Osten sind nur noch wenige Staaten am Balkan übrig geblieben, die der NATO noch nicht beigetreten sind. Montenegro und Serbien zählen dazu. Im Herbst 2013 versucht das russische Außenministerium, die montenegrinische Regierung für den Bau einer Marinebasis im Hafen der Adriastadt Bar zu überreden. Zwei Jahre später im Januar 2015 wird der russische Wunsch definitiv von Montenegro abgelehnt. Die USA versuchen Russland scheinbar mit aller Kraft aus Europa zu vertreiben.

Wenn Montenegro dem westlichen Militärbündnis beitritt, bleibt als Russlands Verbündeter in Europa nur noch Serbien über. Durch die Kriege in den 1990ern und die darauffolgenden politischen und wirtschaftlichen Krisen wurde Serbien in der Zwischenzeit an die Wand gestellt: Seit Jahren wird der völlig verarmte Balkan-Staat von der EU regelrecht erpresst, auf einen Teil seines staatlichen und kulturellen Territoriums zu verzichten und dem US-Plan – den Kosovo unbedingt als selbstständigen Staat durchzusetzen – zuzustimmen.

Wie wichtig der Kosovo für die USA ist, beweist unter anderem das Militärcamp nahe der Stadt Urosevac. Unmittelbar nach der Kapitulation der jugoslawischen Armee 1999, bauten die USA auf 386 Hektar eines der größten Militärcamps der Welt, um sowohl den Serben als auch den Russen klar zu machen, dass man im Kosovo zu bleiben gedenkt, wohl um weiter in Richtung russische Grenze zu marschieren.

Gerade dabei hatte Montenegro eine seiner wichtigsten Aufgaben im Sinne der US-Militärpolitik zu handeln, erfüllt: Als letzter Verbündeter Serbiens hat der ehemalige Bruderstaat 2008 die Selbständigkeit Kosovos anerkannt. Wenn Montenegro nun der NATO beitritt, wird Serbien noch weiter isoliert als es ohnehin schon ist. Wenn Serbien in die totale Isolation fällt, wird dieses Land bald auch nicht mehr in der Lage sein, dem wirtschaftlich-politischen Druck der USA und der EU standzuhalten. Für Russland würde das eine Isolation von der westeuropäischen Seite bedeuten. Damit wäre der US-NATO-Plan, Russland aus Europa zu vertreiben und die NATO-Truppen bis an der russischen Grenze zu postieren, erfüllt.

Darum ist das autokratische Treiben des montenegrinischen Ministerpräsidenten Milo Djukanovic sowohl den USA als auch der EU egal. Darum wurde im vergangenen Oktober in den europäischen Medien kaum über die montenegrinischen Proteste gegen die NATO berichtet, geschweige denn in differenzierter Art und Weise. Weil die Protestierenden serbische und russische Flaggen trugen, bot es sich für Milo Djukanovic geradezu an, die Proteste als ein böses Werk von Russen und Serben zu erklären. Die westlichen Medien übernahmen es und titelten, Putin sei Serbe – Tausende protestierten in Montenegro gegen NATO-Beitritt“, berichtet das Wirtschaftsblatt.

Die CDU-Politikerin und ehemalige EU-Parlamentarierin Doris Pack war eine von wenigen, wenn nicht die einzige europäische Politikerin, die nicht die Protestierenden, sondern den Premierminister Milo Djukanovic kritisierte: „#Montenegro-weeks of demonstrations NOT against #NATO but against Djukanovic! His resignation +elections under the new rule inevitable“, schreibt Doris Pack per Twitter.

Wie die Proteste gegen den NATO-Beitritt in Montenegro weiter verlaufen werden, hängt vor allem von der Bereitschaft der USA und der EU ab, die politisch-wirtschaftliche Realität Montenegros zu akzeptieren und nicht wegen eigener Interessen ein weiteres Balkan-Land in einen Bürgerkrieg zu treiben.

***

Zoran Dobric ist Redakteur bei Österreichischen Rundfunk (ORF). Er erhielt 2009 den renommierten Robert-Hochner-Preis der österreichischen Journalistengewerkschaft für seine investigative Arbeit. 2011 erhielt Dobric für sein langjähriges journalistisches Eintreten für die Rechte sozialer Minderheiten den Claus-Gatterer-Preis.


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