Facebook hat in Deutschland mit der Löschung von Inhalten begonnen. Der Chef des Unternehmens, Mark Zuckerberg, erklärte vergangene Woche, dass man ab sofort „schlechte Inhalte“ eliminieren werde. Zu diesem Zweck werden 200 Mitarbeiter tätig, die, angeleitet von der Bertelsmann-Tochter Arvato, auf Hinweise von Informanten aus dem Netz tätig werden.
In der öffentlichen Darstellung soll es dabei um Hass-Postings gehen, die gelöscht werden. Tatsächlich geht es aber auch um unliebsame Inhalte, wie die Deutsch Türkischen Nachrichten in der Nacht zum Freitag feststellen mussten: Ein Posting über die geplante Ernennung des PKK-Chefs Öcalan zum Ehrenbürger von Neapel von von Facebook als Verstoß gegen die Richtlinien gelöscht. Alle DTN-Administratoren wurden für 24 Stunden gesperrt. Erklärungen gab es keine. Nach einer wütenden Beschwerde der Kollegen bei der Pressestelle von Facebook wurde das Posting schließlich freigegeben. Begründung für die Löschung gab es keine.
Eine solche Begründung kann man allerdings bei den Facebook-internen Schulungsdokumenten finden. Der deutsch-türkische Blogger Kerem Schamberger hat diese ausgegraben. Die internen Facebook-Papiere zeigen, dass Facebook sehr wohl nach politischen Kriterien zensiert. Interessant: Die Kollegen von den DTN haben gewissermaßen einen „Volltreffer“ gelandet: Denn auf Seite 4 der „Abuse Standards“ in der Fassung 6.2 des vertraulichen „Operation Manuals For Live Content Moderators“ findet sich eine Auflistung des Inhaltes, den Facebook-Moderatoren zu sperren haben. Unter der höchsten Sicherheitsstufe („escalated“) laufen hier:
1. Holocaust-Leugner mit dem Fokus auf Hass-Rede
2. Alle Attacken auf Atatürk (visuell und Text)
3. Landkarten von Kurdistan (Türkei)
4. Brennende türkische Flagge(n)
Derartige Inhalte sind von Facebook-Moderatoren sofort zu löschen. Etwas niedriger, aber ebenfalls zur Löschung freigegeben („confirmed“), sind:
1. Jegliche Inhalte, die für die PKK Unterstützung signalisieren ohne Kontext; kurdische Flaggen ignorieren
2. Inhalte, die Abdullah „Apo“ Öcalan zeigen oder unterstützen. Hinweis: Nicht löschen, wenn die Inhalte klar gegen die PKK und/oder Öcalan sind.
Diese sehr detailreichen Hinweise finden sich in einem Umfeld für andere Löschungen, die in dem Dokument zu finden sind. Die Löschungs-Anweisungen beziehen sich auf vorwiegend formale Kriterien und versuchen tatsächlich, Kriterien für bestimmte rassistische Postings zu entwickeln: So ist es auf Facebook zwar erlaubt zu posten „I hate Obama“, nicht jedoch: „Can’t stand that nigger Obama“. Das ist alles gut gemeint - aber es ist vor allem ein breites Einfallstor für politische Vorgaben.
Interessant: Offenbar hat sich im Hintergrund von Facebook bereits eine ganze Armada von Informanten und Lösch-Arbeitern am Werk. Allerdings sind sie nicht der wichtigste Teil der Facebook-Zensur: Die Hauptarbeit erledigen Algorithmen, die so programmiert werden, dass sie die vorgegebenen Kriterien erkennen und faktisch in Real-Time eliminieren können. Die User werden nicht informiert. Völlig unklar ist, ob die betroffenen Regierungen und Sicherheitsbehörden informiert werden. Dies stellt vor allem für politische Andersdenkende und Oppositionelle in Diktaturen eine enorme Gefahr da. Wegen der mangelnden Transparenz, die bei Facebook herrscht, erfahren die Opfer nämlich nicht, von wem sie denunziert wurden. Auch die Regierungen haben keine rechtlichen Verpflichtungen, weil sie ja nicht offenlegen, ob Facebook "schlechte Inhalte" an die Behörden melden.
Auffallend ist in dem Dokument, dass die politischen Vorgaben der Türkei besonders oft und explizit erwähnt sind. Die Türkei hat eine lange Tradition der Zensur. Einschränkungen der Pressefreiheit haben unter Präsident Erdogan massiv zugenommen. Politisch Andersdenkende werden gnadenlos verfolgt und eingeschüchtert. Leitartikel können ebenso gefährlich seine, wie etwa bei der Cumhürryiet, wie poetische Tweets – wie diejenigen des weltberühmten und von Erdogan verfolgten Pianisten Fazil Say.
Die Gründe, warum Facebook sich aktiv an der Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit sowie an der Beschneidung der Menschenrechte beteiligt, dürfte in zwei Richtungen zu suchen sein: Zum einen ist Facebook auf vielfältige Weise mit den US-Geheimdiensten verbunden, wie der Sprecher der Deutschen Polizeigewerkschaft schon vor Jahren öffentlich und unwidersprochen gesagt hat (Video am Anfang des Artikels). Damit ist klar, dass Facebook als Instrument der geopolitischen Interessen der US-Regierung zum Einsatz kommt. Der scheinbare Abwehrkampf von Apple gegen das Entsperren eines iPhones ist ein reiner Schaukampf, der den Konsumenten vorgaukeln soll, dass die US-Technologiekonzerne den staatlichen Stellen Widerstand entgegensetzen.
Natürlich leistet Facebook gegen keine Regierung dieser Welt Widerstand: Denn der Deal, der zwischen den Regierungen und den Technologiekonzernen besteht, sieht einen klaren Abtausch der Interessen vor: Die Unternehmen geben der Regierung, was sie an Daten will. Dafür lassen die Regierungen die US-Unternehmen auf ihre Märkte – wo sie dann Geld verdienen können.
Kerem Schamberger, der wegen mehrfacher PKK-Postings auf Facebook gesperrt wurde und sich folgerichtig aus dem Netzwerk verabschiedet hat, analysiert auf seinem Blog sehr scharfsinnig:
„Es stellt sich jetzt die Frage, warum Facebook so sehr auf die türkische Regierungspolitik zugeht und in vorauseilendem Gehorsam pro-kurdische Inhalte zensiert?
In der Türkei nutzen 40 Millionen (von 75 Millionen Einwohnern) Menschen Facebook, damit steht das Land auf Platz 7 der Rangliste der meisten Facebook-Nutzer, noch vor Deutschand (28 Millionen) und Frankreich (30 Millionen) und hinter USA (188 Millionen), Indien (122 Millionen), Brasilien (98 Mllionen), Indonesien, Mexiko und den Philippinen. 89% aller Computer-Nutzer in der Türkei sind mit Facebook verbunden. Ergo: Die Türkei ist für Facebook ein riesiger, schnell wachsender Markt für Werbeanzeigen, private Daten usw.
Damit sich der türkische Daten/Werbe-Markt für Facebook also nicht schließt, gehorcht der Zuckerberg-Konzern lieber dem türkischen Staat und wird zum willfährigen Zensurmeister. Interessantes Detail ist dabei, dass die südkurdische Fahne explizit aus den Zensur-Vorgaben ausgenommen ist. Dies passt ins Bild, ist Südkurdistan unter dem Barzani-Clan doch einer der besten Handelspartner der Türkei und Erfüllungsgehilfe der USA.“
Das Beispiel der Türkei zeigt, dass es also ganz klare Zusammenhänge zwischen den kommerziellen Interessen von Facebook, einer repressiven Regierung und den geopolitischen Interessen der US-Regierung gibt.
In dieser Hinsicht ist die Tatsache, dass sich Facebook nun Deutschland „vorknöpft“ von einiger Bedeutung: Denn man kann davon ausgehen, dass der Mechanismus der Kooperation auch in Deutschland funktioniert. Was für Erdogan recht ist, kann für Angela Merkel nur billig sein. Schließlich ist auch Deutschland Nato-Partner und engster Verbündeter. Facebook kann gegenüber den EU-Staaten einen zusätzlichen Nachteil: Das Unternehmen zahlt nur minimale Steuern in Deutschland und den anderen EU-Staaten, weil alle Geschäfte über Steuer-Oasen abgewickelt werden. Die Regierungen in Europa versuchen immer wieder, von den Technologiekonzernen hohe Einmalzahlungen für den routinemäßigen Steuerbetrug zu kassieren. Diese Summen will sich Facebook ersparen und kooperiert daher mit der Bundesregierung – die ihre Hände wiederum in Unschuld waschen kann, weil ja nicht sie selbst zensuriert, sondern ein Bertelsmann-Unternehmen im Auftrag von Facebook. Das Bertelsmann-Unternehmen ist zur strengsten Verschwiegenheit verpflichtet.
Somit kann die Bundesregierung sicher sein, dass Facebook nach ihren Vorgaben löscht, was der Bundesregierung als „schlechte Inhalte“ erscheint. Das Türkei-Beispiel zeigt, dass es beileibe nicht nur um Rechtsextremismus geht. Im Grunde kann die Bundesregierung jeden Inhalt und jede Website auf den „Index“ setzen – und trotzdem mit einem freundlichen Gesicht das Grundgesetz rezitieren, wonach eine „Zensur nicht stattfindet“.
Anmerkung der Redaktion: Genau aus diesem Grund posten wir keine Artikel-Snippets mehr auf Facebook. Artikel allerdings, von denen wir meinen, dass sie auch für den virtuellen Zensor von Interesse sind, werden wir weiterhin auf Facebook posten (wie diesen Artikel).
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