Der geplante Flüchtlingspakt zwischen der Europäischen Union und der Türkei stößt zunehmend auf Kritik. Der UN-Menschenrechtskommissar bezeichnete die geplanten Massenabschiebungen aus Griechenland am Donnerstag als „illegal“. Auch Österreich, Belgien und Luxemburg äußerten Vorbehalte. Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Kanzleramtsminister Peter Altmaier (beide CDU) verteidigten dagegen die geplante Vereinbarung.
Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Zeid Raad al-Hussein, warnte in Genf, „kollektive und willkürliche Abschiebungen“ von Flüchtlingen in die Türkei wären „illegal“. Einreisebeschränkungen ohne Prüfung der einzelnen Flüchtlinge seien eine „Verletzung internationalen und europäischen Rechts“. Am Dienstag hatte sich bereits UN-Flüchtlingskommissar Filippo Grandi „zutiefst besorgt“ über die Pläne gezeigt.
Die Türkei hatte Anfang der Woche angeboten, alle neu ankommenden Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen. Für jeden abgeschobenen Syrer soll die EU dabei einen der 2,7 Millionen Syrer in der Türkei auf legalem Weg aufnehmen. Im Gegenzug fordert Ankara weitere Hilfen, Visafreiheit für seine Bürger und die Eröffnung neuer Kapitel bei den EU-Beitrittsverhandlungen.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) machte deutlich, dass aus Griechenland abgeschobene Syrer keine Möglichkeit erhalten sollen, über das Umsiedlungsprogramm legal aus der Türkei nach Europa zu kommen. Ziel sei es, das „Geschäftsmodell der Schlepper kaputt zu machen“, sagte er beim Innenministertreffen in Brüssel.
Neben Zeid äußerten aber auch mehrere EU-Regierungen Kritik an den Plänen. Der Plan müsse „juristisch, politisch, aber auch menschlich“ geprüft werden, sagte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Die Türken seien „sehr entfernt von den Werten und Prinzipien Europas“, sagte der belgische Innenminister Jan Jambon mit Blick auf einen EU-Beitrittswunsch der Türkei.
Sie stelle sich „die Frage, ob wir unsere Werte letztendlich über Bord werfen“, sagte Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Es sei „äußerst fragwürdig“, wenn Ankara eine regierungskritische Zeitung unter Zwangsverwaltung stelle und nun mit Visafreiheit belohnt werde. Pressefreiheit ist wichtiger denn je.
Kanzleramtschef Altmaier sagte der „Welt“, die Türkei sei als Partner in der Flüchtlingskrise verlässlicher als einige EU-Staaten. Daher sei es richtig, mit ihr zusammenzuarbeiten. Die Türkei habe sich in dieser Lage „europäischer verhalten als so manches Land in Europa“. Der aktuelle Plan biete „die konkrete Chance, die Flüchtlingskrise zu lösen, ohne unsere humanitären Ansprüche aufzugeben“.
Merkel verteidigte die geplanten Hilfen von sechs Milliarden Euro für die Türkei als „fairen Interessenausgleich“. Zu den Erfolgsaussichten eines EU-Beitritts der Türkei äußerte sie sich in der „Mitteldeutschen Zeitung“ dagegen zurückhaltend. „Der Beitrittsprozess wird ergebnisoffen geführt. Wir sind weit davon entfernt, wesentliche Verhandlungskapitel zu schließen“, sagte Merkel. „Das alles braucht noch sehr viel Zeit.“
Die jüngsten Spannungen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Gipfelchef Donald Tusk haben Besorgnis im Kreis der EU-Partner ausgelöst. Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sagte am Donnerstag in Brüssel, in der derzeitigen Lage sei es wichtig, zusammenzustehen und „Zerknirschungen“ an der Spitze der EU zumindest nicht nach außen hin zu zeigen. Gemeinsam müsse man daran arbeiten, „dass Herr Tusk und auch Frau Merkel sich noch immer wohl fühlen in dem Verein, der Europäische Union genannt wird“, kommentierte Asselborn.
Die Kanzlerin und der EU-Ratspräsident hatten zuletzt unter anderem über den Kurs der EU in der Flüchtlingskrise gestritten. In den Entwurf für die Abschlusserklärung des Gipfels am vergangenen Montag ließ Tusk gegen den Willen Merkels einen Satz schreiben, mit dem die Balkanroute für „geschlossen“ erklärt wurde. In der Endfassung fehlte diese Formulierung. Sie wurde durch den kryptischen Satz „Bei den irregulären Migrationsströmen entlang der Westbalkanroute ist nun das Ende erreicht“ ersetzt.
Tusk ließ es sich am Tag nach dem Gipfel nicht nehmen, die Balkan-Route erneut für geschlossen zu erklären – nicht ohne eine unübersehbare Genugtuung, denn die Slowenen und Kroaten setzten sich über die Forderung Merkels hinweg, die Grenzen offen zulassen.