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Donald Trump hat seine Rivalin Hillary Clinton in einer neuen Meinungsumfrage überholt: In einer am Dienstag veröffentlichten Erhebung des Senders CNN und des Meinungsforschungsinstituts ORC sprachen sich 45 Prozent der Befragten für Trump als Präsident aus, während 43 Prozent Clinton bevorzugten. Bislang hatte die Demokratin Clinton in den meisten Umfragen vor dem Republikaner Trump gelegen, doch war der Abstand zuletzt geschmolzen.
Die Umfrage ist bemerkenswert, weil CNN offen Hillary Clinton unterstützt. Viele politische Beobachter rätseln, was Trump so populär macht. Die meisten Medien verbeißen sich in die Idee, Trump sei ein Ausländerfeind und Islam-Hasser und erhalte daher so viel Zuspruch.
Doch die Amerikaner haben ein ganz anderes Problem, vor allem eine der größten Wählergruppen: Die Baby-Boomer erkennen, dass sie für das Alter nicht vorgesorgt haben. Ihre Renten sind mickrig, viele Firmenrenten wegen der Niedrigzinsen sogar in Gefahr. Zugleich haben sich die meisten Mit-Fünfziger bis ins hohe Alter verschuldet und erkennen nun, dass sie bis ans Lebensende für ihren Schuldendienst arbeiten müssen. Da bietet es sie geradezu an, einen Sündenbock zu finden: Und der dürfte für viele bei dieser WAhl das "Establishment" sein, jene undurchschaubare Mischung aus Banken, Regierung und Unternehmen, für deren Interessen Hillary Clinton steht und gegen das Trump mit großer Meisterschaft wettert - obwohl er als Milliardär selbstverständlich nicht zu jenen "kleinen Leute" gehört, mit denen er sich jetzt bei jeder Wahlveranstaltung ostentativ solidarisiert.
Trump profitiert von der Tatsache, dass es den Baby-Boomern jetzt dämmert: Unser Eltern haben es besser gehabt als wir, wir haben es schlecht, und unseren Kindern wird es noch schlechter gehen. In einer ausgesprochen lesenswerten Reportage schildert der Boston Globe den realen Abstieg vieler Amerikaner und ihres Landes: Überschuldung, unsichere Renten und der vermeintliche Verfall traditioneller Werte belasten eine ganze Generation - und treiben sie fast automatisch in das Lager von Trump.
Am Beispiel einer Highschool-Abschlussklasse aus dem Jahr 1976 illustriert der Boston Globe in einer Reportage den wirtschaftlichen Abstieg, der große Bevölkerungsschichten in den USA inzwischen ergriffen hat. Dazu führte die Zeitung mit mehr als einem Dutzend Absolventen Interviews, welche die Enttäuschung und Ängste jener US-Bürger schildern, die heute Ende 50 sind und kurz vor dem Eintritt in das Rentenalter stehen.
Daten des Pew Research Center zufolge beträgt die Anzahl dieser sogenannten „Baby-Boomer“ – also von Bürgern zwischen 51 und 69 Jahren – in den Vereinigten Staaten derzeit etwa 75 Millionen und damit etwas weniger als ein Viertel der US-amerikanischen Gesamtbevölkerung.
Wie der Boston Globe schreibt, fühlten sich vieler dieser Menschen inzwischen von der Politik alleingelassen. „Viele von ihnen fühlen sich heute abgekämpft, verschlissen, verwirrt, wütend. Sie wurden dazu erzogen, hart zu arbeiten, ohne sich zu beschweren. Aber solch ein Gleichmut ist schwer, wenn der Lebenstraum – von dem sie dachten, dass er ihrer wäre – vor ihren Augen zusammenbricht und mit ihm die Zuversicht, dass das Land und seine politische Führung ihre Misere verstehen oder etwas dagegen unternehmen wollen.“
Insbesondere die wachsende Unsicherheit über die Rente ist für viele der um 1950 geborenen Angehörige der geburtenstarken Jahrgänge eine Belastung. „Viele bedauern ihre früheren Entscheidungen, dass sie nicht schon früher mehr Geld zur Seite gelegt haben, und hadern damit, dass sie jetzt weiterarbeiten müssen“, schreibt der Boston Globe.
Gleichzeitig sind die meisten Amerikaner auch noch im höheren Alter schwer verschuldet und müssen viel mehr verdienen, um ihre Immobilien- oder Auto-Kredite zu bedienen. Sie haben beim Abschluss ihrer Kreditverträge schlicht nicht bedacht, dass die Last auch bei niedrigen Zinsen lange auf ihren Schultern liegen wird. Daher müssen sie etwas dazuverdienen - weil sie nicht gespart, sondern Schulden gemacht haben. Die schlechte Wirtschaftslage verschärft diese Situation. Die meisten neuen Jobs, die von der Regierung gefeiert finden, helfen den Baby-Boomern überhaupt nicht: Es sind "hire-and-fire" Jobs im Niedriglohnbereich, bei denen die Mittfünfziger weder physisch noch psychisch mithalten können.
Die Zeitung zitiert einen Juwelier, dessen Geschäft früher in der Innenstadt lag und welches sich mittlerweile in einem großen Einkaufszentrum befindet. Dieser sagte, dass er wahrscheinlich niemals in Rente gehen könne weil er es sich einfach nicht vorstellen kann, jemals genug Geld dafür zu haben: „Ich liebe mein Land und ich hasse die Regierung. Ich sehe, wie das großartige Land, dass es einst war, vor meinen Augen zusammenfällt. Ich denke, es ging seitdem ziemlich den Bach runter. Wirtschaftlich und moralisch.“
Der Globe zitiert eine andere Mit-Fünfzigerin, die neidvoll auf ihre Eltern blickt: Während sie in Florida ihre Rente genießen, muss sie arbeiten - "bis zum Begräbnis", wie er bitter zu Protokoll gibt.
Die Angst vor dem Rentenalter sei Teil eines landesweiten Phänomens, dass die Mittelschicht besonders hart trifft, schreibt die Zeitung. Einer aktuellen Studie des Center for a secure Retirement zufolge glauben 7 von 10 Amerikanern nicht, dass sie genug Geld verdient haben, um bis zum Alter von 85 Jahren komfortabel zu leben. 8 von 10 haben demnach Schulden und mehr als ein Viertel muss noch immer Hypotheken bedienen, die noch mehr als 20 Jahre andauern werden.
Der National Retirement Risk Index bildet das Risiko von angehenden Rentnern ab, ihren Lebensstandard im Alter nicht halten zu können. 1989 betrug deren Anteil noch 30 Prozent, im Jahr 2013 hingegen schon 52 Prozent. Die Folge ist, dass immer mehr ältere Menschen freiwillig weiterarbeiten. Im August arbeiteten fast 19 Prozent der US-Bürger im Alter von 65 oder höher noch, wie aus Daten des Bureau of Labor Statistics hervorgeht. 1985 waren dies noch rund 10 Prozent.
Donald Trump wirkt vor diesem Hintergrund auf die meisten zwar nicht als optimaler Kandidat, aber als optimale Alternative zum bestehenden Establishment. Natürlich würde Trump manchmal peinliche Dinge von sich geben und sei eine riskante Wahl, sagte ein Befragter, aber er sei besser als die Alternative. „An diesem Punkt in meinem Leben, und in Anbetracht des schlechten Zustandes des Landes, gebe ich lieber einem Unbekannten meine Stimme als jemandem, der Teil einer Maschinerie ist, die ich nicht mag und mit der ich nicht einverstanden bin.“
Ein anderer „Baby-Boomer“ sagte: „Er (Trump – Red.) sagt manchmal vielleicht etwas Dummes, aber wen stört das schon? Wir brauchen einen Typen wie Andrew Jackson, jemanden, der durchgreift. Trump sagt nicht genau, wie er das Land wieder auf Vordermann bringen wird, aber das brauch er auch gar nicht. Manchmal muss man einfach daran glauben. Man muss einfach hoffen.“
US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton hat offenkundig noch nicht erkannt, warum viele Amerikaner Trump wählen wollen: "Um es grob zu verallgemeinern, die Hälfte von Trumps Anhängern könnte man in etwas stecken, was ich Korb der Bedauernswerten nenne", sagte sie am Freitagabend in New York.
Bei einer Spendenveranstaltung vor Verfechtern von Homosexuellenrechten sagte Clinton mit Blick auf Trumps Anhänger, diese seien "Rassisten, Sexisten, Homophobe, Ausländerfeinde oder Islamfeinde". Sie nannte diese Leute "hoffnungslos". "Aber zum Glück sind sie nicht Amerika". Die andere Hälfte der Anhänger von Trump fühle sich vom Staat oder von der Wirtschaft im Stich gelassen und wolle dringend einen Wandel. Mit diesen müsse geredet werden.
"Wow, Hillary Clinton war SO BELEIDIGEND gegenüber meinen Unterstützern, Millionen beeindruckender, hart arbeitender Menschen", schrieb Trump am Samstag im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Ich denke, das wird sie in den Umfragen einiges kosten." Bei dem Online-Dienst verbreitete sich Clintons Attacke als Diskussionsstoff rasend schnell. Der Begriff "Korb der Bedauernswerten" (Basket of Deplorables) breitete unter dem Hashtag #Deplorables aus. In vielen Kommentaren wurde Clinton scharf angegriffen.
Die Kandidatin äußerte am Samstag Bedauern über ihre Wortwahl: "Gestern Abend habe ich mich grob verallgemeinernd geäußert", erklärte die 68-Jährige. "Ich bedaure, von der 'Hälfte' (der Anhänger) gesprochen zu haben - das war falsch", fügte die frühere US-Außenministerin hinzu - um dann eine Reihe "bedauernswerter" Vorfälle in Trumps Wahlkampf aufzuzählen.