Politik

US-Geheimdienst: Terror in Frankreich wird Europa destabilisieren

Der private US-Geheimdienst Stratfor erwartet, dass der Terror in Paris der Anfang einer tiefen Entfremdung zwischen den Muslimen und dem Rest der Bevölkerung sein könnte. Der Grund: Die Muslime seien in Europa in Ghettos gedrängt, in denen eine Radikalisierung leicht möglich sei. Die USA werden dagegen von dem Kampf der Kulturen verschont bleiben, weil die Muslime dort in die Gesellschaft integriert seien.
10.01.2015 00:47
Lesezeit: 3 min

Nach Angaben des privaten US-Geheimdiensts Stratfor wurde das Attentat auf das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ und die Geiselnahmen von einer Gruppe und nicht von Einzelgängern verübt. Die Bedrohung in Europa sei anders zu werten als in den USA, weil es Unterschiede zwischen europäischen und amerikanischen Muslimen gebe. So entstünden Netzwerke, die zu politischen Gewalttaten eingesetzt werden können. Wer die Killer von Paris beauftragt und bezahlt hat, ist völlig unklar. Weil alle Täter im Zuge der Fahndung erschossen wurden, ist es unwahrscheinlich, dass die Drahtzieher der Verbrechen ausfindig gemacht werden.

Der Konflikt zwischen Muslimen und dem Rest der Gesellschaft werde in Europa ausgetragen, weil die Muslime in den europäischen Staaten nicht integriert seien. Sie leben in Ghettos und bilden oft Parallelgesellschaften. In den Ghettos wie etwa in den französischen Banlieues sei die soziale Lage besonders schlecht. Dadurch seien Muslime leicht für radikale Aktionen zu gewinnen – gegebenfalls gegen Bezahlung. Die verschiedenen globalen War-Lords aus dem Umfeld verschiedener islamischer Strömungen beschäftigen heute schon ganze Heere von Söldnern.

In den USA seien die Muslime dagegen Teil der Gesellschaft und es sei unwahrscheinlicher, dass sie in gesonderten Stadtbezirken isoliert werden. Wenn eine Radikalisierung stattfindet, sei dies lediglich das Resultat einer Selbstradikalisierung. Die Radikalisierung erfolge häufig durch das Internet. Ihre Gefangennahme sei relativ leicht, weil sie sich arglos Hilfe bei FBI-Agenten oder Polizei-Informanten suchen. Doch in Europa sei die muslimische Bevölkerung „entrechtet“, berichtet Stratfor.

Deshalb sei es nicht schwer für Radikale, sich Verbündete zu suchen, die keine Polizei-Informanten seien. So seien diese „unfähigen“ radikalen Gruppen-Mitglieder eingebettet in eine Gemeinschaft von Freunden und Verwandten, die entweder im Ausland gekämpft haben oder zuvor in gewaltsame Akte verwickelt waren. Dies galt beispielsweise für den Attentäter von Toulouse, Mohammed Merah. Obwohl Merah seine Taten alleine verübte, war er Teil einer militanten Gemeinschaft und war in Länder wie Pakistan oder Afghanistan gereist, um sich ausbilden zu lassen.

Das Attentat auf „Charlie Hebdo“ fände zu einer Zeit statt, in der die Rolle der muslimischen Minderheit in Frankreich hitzige Debatten nach sich ziehe. Zudem genieße der Front National angesichts der Anti-Einwanderungs-Debatte einen großen Zuspruch in der Bevölkerung. Marine Le Pen werde eine ernste Anwärterin für die Präsidentschaftswahl 2017. Doch auch in Deutschland werde die Rolle der Muslime kontrovers diskutiert, was zu Anti-Islam-Protesten geführt hat. In den Niederlanden wiederum schlägt die „rechtsextreme“ Partei für die Freiheit strengere Einwanderungsgesetze vor, so Stratfor.

Europa stecke in einer politischen Krise. Das Attentat auf „Charlie Hebdo“ habe eine strategische Intention: In Europa soll das Verhältnis zwischen den EU-Staaten und seinen muslimischen Bürgern nachhaltig gestört werden. Zudem soll die französische Politik beeinflusst und weitere radikale Kämpfer rekrutiert werden.

Die „Dschihadisten“ zielen darauf ab, eine Kurzschluss-Reaktion des Westens gegen seine muslimischen Minderheiten auszulösen, um sich in dem Vorwurf bestätigt zu sehen, dass der „Westen den Muslimen den Krieg erklärt“ habe.

Derselbe Konflikt fände auch im Nahen Osten statt. Radikale greifen westliche Einrichtungen und der Westen ziehe gegen muslimische Länder ins Feld. Dieses Problem untergräbt die Bemühungen von moderaten und progressiven Muslimen, den Begriff der Freiheit auf der Basis eines islamischen Ethos voranzutreiben. Die inner-muslimische Debatte gibt den Radikalen einen großen Spielraum, um „ihre Wahrheiten“ in ihre Bevölkerungsteile zu tragen.

Der Westen könne den Extremismus nicht besiegen. Der Sieg über derartige Ideen könne nur im Rahmen einer inner-muslimischen geistigen Auseinandersetzung stattfinden. Hier seien die Muslime selbst gefragt.

Doch der Nahe Osten wird von einer Reihe von Autokratien regiert. Saudi Arabien gehört zu den umstrittensten Staaten. Gleichzeitig handelt es sich bei dem Königreich um einen der engsten Verbündeten der USA und des Westens. Die Saudis finanzieren zahlreiche bewaffnete radikale Gruppen, die sich in Syrien, im Irak, im Kaukasus und in Afrika betätigen. Dazu gehört vor allem der Salafismus, deren Auswüchse in Europa zu beobachten sind.

In einem Wikileaks-Dokument klassifiziert das US-Außenministerium saudische Spender als die „bedeutendste Finanzierungs-Quelle für weltweite sunnitische Terror-Gruppen“. Es müsse mehr Druck aus Saudi Arabien ausgeübt werden, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Zu jenen Gruppen gehört auch der salafistische Islamische Staat (IS).

Riad ist maßgeblich an der Finanzierung von internationalen Söldnern beteiligt, die auf dem gesamten Globus zum Einsatz kommen. Unter den IS-Kämpfern befinden sich zahlreiche junge Männer, die mit lukrativen Gehältern gelockt werden.

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