Politik

Merkel will Grexit vermeiden, um Nato-Südflanke nicht zu gefährden

Lesezeit: 2 min
15.03.2015 01:00
Die Bundesregierung ist bereit, unkonventionelle Lösungen zu befürworten, um zu verhindern, dass Griechenland das Geld ausgeht und es zu einem „Grexit“ oder „Graccident“ kommt. Erstmals wird in Berlin offen eingeräumt, dass die Entwicklung in Griechenland vor allem unter militärischen Gesichtspunkten alternativlos ist: Das Nato-Mitglied soll keinesfalls aus der Militär-Allianz herausgebrochen werden.
Merkel will Grexit vermeiden, um Nato-Südflanke nicht zu gefährden

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Das politische Pokerspiel um den Verbleib Griechenlands in der Eurozone hat nicht nur den finanziellen Aspekt, nämlich dass in jedem Fall – ob das Land nun einen „Grexit“ oder „Graccident“ erleidet oder nicht – die Steuerzahler bluten werden, sondern auch einen äußerst brisanten geopolitischen Hintergrund.

Die USA werden auch künftig darauf pochen, dass Griechenland als Stützpfeiler der Südost-Flanke der NATO als fester Bestandteil im Euroraum bleibt, koste es die europäischen Steuerzahler was es wolle.

Aus Sorge um die Instabilität an der Südost-Flanke der NATO ist offenbar auch Kanzlerin Merkel darum bemüht eine Situation zu vermeiden, in der Griechenland die Eurozone verlässt, heißt es aus dem Umfeld der Kanzlerin in Berlin – trotz aller medial verbreiteten gegenseitigen Vorwürfe und politischen Spannungen, wie Euro Insight berichtet.

Griechenland leistet sich die teuerste Armee in ganz Europa. Nur zwei europäische Länder haben dem damaligen NATO-Generalsekretär Rasmussen zufolge mehr als zwei Prozent ihres BIPs für Militärausgaben verwendet. Eines ist davon Griechenland.

„Es ist eine politische Entscheidung, dass es keinen ‚Graccident‘ geben wird“, ist laut Euro Insight aus Berliner Regierungskreisen zu hören. Der Begriff „Graccident“ beschreibt einen finanziellen „Unfall“ aufgrund von Missverständnissen und politischen Spannungen, auch, wenn nicht rechtzeitig genug Gelder nach Griechenland fließen, um fällige Kredittranchen und Zinsen zu begleichen oder Staatsbeamte zu bezahlen.

Verbal wird auch in anderen Hauptstädten der Eurozone verbreitet, die Eurozone sei inzwischen „gut gerüstet“, wenn Griechenland kein Mitglied der Währungsunion mehr sei. Andererseits werden intern die möglichen geopolitischen Konsequenzen diskutiert, wonach die südliche Balkan-Region destabilisiert werden und Griechenland als Mitglied der NATO unter russischen Einfluss fallen könnte.

Folglich sei die Bundesregierung bereit, unkonventionelle Lösungen zu befürworten, um zu verhindern, dass Griechenland das Geld ausgeht, so Euro Insight. Dazu gehöre die Erweiterung der ELA-Kredite durch die EZB, temporäre Kapitalverkehrskontrollen bei einem „Bank-Run“, desgleichen eine Verzögerung der Rückzahlungen der Schulden an den IWF. Die Regierung möchte im Grunde vermeiden, dass es dazu kommt. Sie will aber auch nichts ausschließen, falls es keine andere Möglichkeit gibt, Griechenland im Euro-Währungsgebiet zu halten.

Mario Draghi hatte in der vergangenen Woche den Notfall-Kreditrahmen um 600 Millionen Euro auf 69,4 Milliarden erweitert. Die griechischen Banken liehen sich von der Zentralbank und mithin von der EZB mit Stand Ende Februar 104,3 Milliarden Euro.

Sollte es zu einer politischen Einigung zwischen Griechenland und der Eurogruppe kommen, die ein klares Bekenntnis zur Umsetzung von Reformen und die Annahme der etablierten „Bail-out“-Regeln erfordert, würde Deutschland ein drittes finanzielles Kredit-Paket unterstützen, um Finanzierungslücken in den kommenden Jahren zu decken, heißt es laut Euro Insight aus dem Umfeld der Kanzlerin.

Auch sei die Bundesregierung bereit, sich auf einen niedrigeren primären Haushaltsüberschusses zu einigen, um Griechenland mehr Spielraum zu lassen, wenn es um die Definition und Umsetzung von Reformen und – zu einem späteren Zeitpunkt – zu einer Verringerung seiner Schuldenlast gehe.

Dennoch bestünde in der deutschen Regierung die Ansicht, dass es bei den Verhandlungen mit Griechenland grundlegende Differenzen geben könnte, die nicht überbrückbar wären. In diesem Fall wäre Deutschland bereit, Griechenland gehen zu lassen. Angeblich habe man im Finanzministerium an Notfallplänen gearbeitet für den Fall, dass Griechenland die Eurozone verlässt. In diesem Szenario würde Deutschland die Nutzung von EU-Instrumenten zur Unterstützung des Landes außerhalb des Währungsraums nennen.

Bei Investoren herrscht jedoch die Auffassung, dass das Land in der Eurozone verbleibt. Eine kürzlich veröffentlichte Einschätzung der Ratingagentur Standard & Poors konstatiert, ein „Grexit“ entspreche nicht seinem Base-Case-Szenario.

Dies entspricht eher der Wahrnehmung aus den USA, die nach wie vor Griechenland und die EU zu einer Einigung im Schuldenstreit mit der Euro-Gruppe und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) drängen, damit das Land unangefochten als geopolitischer Eckpfeiler im Südosten Europas in der Nato verbleibt.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Putin fördert intensivere Geschäftspartnerschaften mit China
18.05.2024

Putin hat während seines Staatsbesuchs in China eine Stärkung der wirtschaftlichen Kooperation betont und die Sanktionen des Westens...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Überraschende Wende: China nicht mehr Deutschlands Top-Handelspartner
18.05.2024

Für eine beträchtliche Zeit war die Volksrepublik Deutschland der primäre Handelspartner. Jetzt besteht die Möglichkeit, dass China...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nike schnappt Adidas die Nationalmannschaft weg: Der DFB kennt keine Gnade
18.05.2024

Über 70 Jahre waren sie eine Einheit – die deutsche Nationalmannschaft in ihren Adidas-Trikots und ihren Schuhen mit den drei Streifen....

DWN
Finanzen
Finanzen Günstiger Urlaub? Versteckte Kosten, die Sie unbedingt im Blick haben sollen!
18.05.2024

Sie haben Ihren Sommerurlaub bestimmt schon geplant und freuen sich darauf, eine schöne Zeit am Strand zu verbringen und sich zu...

DWN
Finanzen
Finanzen Schulden-Restrukturierung: Ukraine braucht weitere Zugeständnisse von internationalen Investoren
18.05.2024

Die Ukraine will möglichst schnell ihre Finanzierung über den Kapitalmarkt neu aufstellen. Es geht um bereits am Markt platzierte...

DWN
Politik
Politik Für immer beschützt von Uncle Sam? Warum Europa nicht mehr auf die Hilfe der USA zählen sollte
18.05.2024

Sinkt das Interesse der USA an Europa? Für Jahrzehnte galt es als gesichert, dass die Vereinigten Staaten von Amerika Westeuropa vor...

DWN
Panorama
Panorama Studie: Klimawandel führt zu weniger Ertrag und Qualität bei Reis
18.05.2024

Japanische Forscher wollten herausfinden, wie sich der Klimawandel auf die Reisernte auswirkt. Dafür haben sie mehrere Szenarien...

DWN
Unternehmen
Unternehmen DWN-Kommentar: 4-Tage-Woche und Work-Life-Balance - das ist doch ein unternehmerischer Alptraum!
17.05.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...