Politik

Abhängig von den USA: Merkel verliert ihren Instinkt für Volkes Meinung

Lesezeit: 2 min
07.05.2015 01:44
Bundeskanzlerin Angela Merkel scheint wegen der Abhängigkeit von den USA in der Spionageaffäre ihren Instinkt dafür zu verlieren, was die Bürger denken. Eine Umfrage zeigt, dass die Mehrheit der Deutschen glaubt, dass die Affäre der Kanzlerin persönlich schadet.

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Eine Umfrage des Insa-Instituts im Auftrag der Bild-Zeitung hat ergeben, dass 62 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass die Spionageaffäre der Reputation der Kanzlerin geschadet habe. Bemerkenswert: 54 Prozent der CDU Wähler sind ebenfalls der Meinung, dass Merkels Ruf wegen ihres Verhaltens in der Affäre geschadet hat. Bisher hatte sich die Kanzlerin stets für eher passive Strategien entschieden. Wesentlich für ihre Entscheidungen sind dabei Meinungsumfragen, bei denen sie ausgelotet, welche Position am zweckdienlichsten zu beziehen sei. Es ist für Merkel auch kein gutes Zeichen, dass ausgerechnet die Bild-Zeitung diese Umfrage durchgeführt hat. Die Bild-Zeitung ist bisher konsequent als Unterstützerin von Merkel aufgetreten. Erst vor wenigen Tagen hatte das Blatt sowohl Merkel als auch Innenminister Thomas de Maizière wegen der Spionageaffäre ungewöhnlich scharf kritisiert.

Doch selbst die FT zweifelt, dass diese Strategie im Falle des Ausspionierens der Verbündeten erfolgreich sein werde. Die Zeitung analysiert, dass der Skandal das Vertrauen der Deutschen in ihrer Bundeskanzlerin durchaus erschüttere.

Offenkundig verfängt Merkel Strategie nicht, in der Affäre auf Taktieren und weitere Geheimhaltung zu setzen. Merkel hatte erklärt, sie könne entsprechende Listen, die der BND dem amerikanischen Geheimdienst NSA übermittelt hatte erst nach Rücksprache mit der amerikanischen Regierung in Washington an den Deutschen Bundestag freigeben - sofern von den Amerikanern keine Einwände zu diesem Vorgehen kommen.

Doch nicht nur die Bundestagsabgeordneten interessieren sich für diese Listen. Auch Generalbundesanwalt Harald Range will die Listen einsehen, wie er im Rechtsausschuss nach Teilnehmerangaben sagte. Er habe ein Erkenntnisersuchen ans Kanzleramt gestellt. Staatlich gelenkte Wirtschaftsspionage kommt als Straftatbestand infrage.

Innenminister Thomas de Maizière hat sich in der Affäre zunächst selbst freigesprochen. «Ich habe als Kanzleramtsminister im Jahre 2008 nichts erfahren von Suchbegriffen der US-Seite, Selektoren oder ähnlichem zum Zwecke der Wirtschaftsspionage in Deutschland», sagte de Maizière. «Es wurden auch keinerlei Firmennamen genannt.» 2008 hätten die Amerikaner eine problematische Ausweitung der Kooperation gewollt. Der BND habe abgeraten. «Wir haben dann den Wunsch der amerikanischen Seite nach dieser Kooperation einvernehmlich abgeschlagen. Von daher bleibt von den gegen mich erhobenen Vorwürfen nichts übrig.»

De Maizière deutete an, die NSA habe bestimmte «Sicherungsmechanismen» fallen lassen wollen. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur sollen die Amerikaner Zugang zu einem Datenkabel in Europa angestrebt haben. Als Kanzleramtsminister habe er den Amerikanern sogar den Wunsch nach einer problematischen Geheimdienst-Zusammenarbeit mit Deutschland abgeschlagen, sagte er am Mittwoch nach einer Sitzung des Geheimdienst-Kontrollgremiums im Bundestag.

Die Opposition gibt sich mit diesen Ausführungen jedoch keineswegs zufrieden.

Der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr), André Hahn (Linke), nannte die Äußerungen de Maizières «ungenügend». Es habe keine Hinweise auf Versuche gegeben, die Spionagetätigkeit zu unterbinden. Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbelesagte: «Die Aufklärung des Falls des Ministers de Maizière ist noch offen.» Der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, forderte eine vollständige Überprüfung aller NSA-Suchmerkmale. Zumindest auf der Liste von 2000 NSA-Spionagezielen, die der BND 2013 aussortiert hat, steht nach dpa-Informationen wohl kein Unternehmen.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Affäre «vertuschen, verschleiern, aussitzen» vor. Der Linken-Abgeordnete Jan Korte hielt Merkel Arroganz vor.

Der SPD-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, Christian Flisek, forderte eine vollständige Überprüfung aller NSA-Suchmerkmale. Zumindest auf der Liste von 2000 NSA-Spionagezielen, die der BND 2013 aussortiert hat, steht nach dpa-Informationen wohl kein Unternehmen.

Die Kritik der Opposition dürfte an Merkel eher spurlos vorübergehen. Doch die deutliche Missfallenskundgebung aus dem Volk ist geeignet, die Kanzlerin nachdenklich zu machen. Allerdings dürfte es ihr schwerfallen, ihre enge Beziehung zu der Regierung in Washington aufzugeben. So könnte die Entwicklung dazu führen, dass sich Merkel schon bald in einem Gewissenskonflikt wieder findet, in dem sie entscheiden muss, ob sie sich nach den Stimmungen in der deutschen Bevölkerung oder den Interessen der US-Regierung richten soll.


Mehr zum Thema:  
Europa >

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...