Politik

Ukraine beschließt: Schulden an „gewissenlose“ Gläubiger werden nicht mehr bedient

Lesezeit: 2 min
18.06.2015 01:38
Die Ukraine hat ein Gesetz verabschiedet, wonach Schulden an „gewissenlose“ Gläubiger nicht mehr bezahlt werden. Russland, das damit gemeint ist, spricht vom ersten Schritt in die Staatspleite. Die Milliarden der deutschen Steuerzahler, die in die Ukraine geflossen sind, sind akut gefährdet.
Ukraine beschließt: Schulden an „gewissenlose“ Gläubiger werden nicht mehr bedient

Mehr zum Thema:  
Europa >
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Europa  

Das ukrainische Parlament hat die rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, Zahlungen an ausländische Gläubiger des hochverschuldeten Landes auszusetzen. Angesichts der ins Stocken geratenen Verhandlungen über eine Umschuldung im Umfang von 23 Milliarden Dollar verabschiedeten die Abgeordneten am Dienstag mit großer Mehrheit ein entsprechendes Gesetz, welches ein Schulden-Moratorium enthält. Damit können Rückzahlungen an Gläubiger zurückgehalten werden, deren Verhalten als "gewissenlos" eingestuft wird. Die Ukraine erklärt in dem Gesetz ziemlich lapidar, dass die Bevölkerung unter der Krise leide, und daher die Gläubiger einen Beitrag leisten müssten. Die Kredite, die dem Land unter dem früheren Präsidenten Janukowitsch gewährt worden seien, seien nicht beim Volk angekommen. Daher habe die Ukraine keine Verpflichtung mehr, die Kredite zu bedienen.

Auf wen das Gesetz abzielt, ist unschwer zu erraten: Russland hat der Ukraine zu Zeiten von Janukowisch einen Kredit gewährt, für den im Juni ein Coupon zu bezahlen ist und der Ende des Jahres fällig wird. Der Kredit kann früher fällig gestellt werden, falls die ukrainische Staatsverschuldung 60 Prozent übersteigt. Vermutlich ist dieser Passus mit dem Wort "gewissenlos" gemeint. Die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS zitiert einen Kreml-Sprecher, wonach das Schulden-Moratorium aus Sicht Moskaus ein erster Schritt in die Staats-Pleite sei. Das Mitglied des Finanzausschusses der Duma,  Vladislav Reznik, sagte der TASS, dass Russland das Gesetz als den Beginn der Staatspleite interpretiere.

Doch nicht nur die Russen zittern: Der Gläubigerausschuss umfasst auch US-Finanzinvestoren wie BTG Pactual Europe LLP, Franklin Advisers Inc., TCW Investment Management Company und T. Rowe Price Associates. Sie halten zusammen 8,9 Milliarden Dollar an Krediten, wie die Gruppe am Montag in einem Statement mitteilte. Etwa 7 Milliarden Dollar entfallen davon nach Schätzungen des WSJ auf Franklin Templeton Investment. Auch George Soros hat der Ukraine in der Hoffnung auf weitere EU-Gelder Kredit gewährt - und dürfte nun ebenfalls unruhig werden.

Die Gläubiger müssten der Ukraine "nicht mit Worten helfen, sondern mit Dollars, oder eher mit Milliarden Dollars", sagte Ministerpräsident Arseni Jazenjuk vor der Abstimmung. Bloomberg berichtet, dass der IWF einen Deal verlange, um die nächste Kredit-Tranche freizugeben. Ein ehemalige Zentralbanker hatte im Atlantic Council bereits gewarnt, die Gläubiger müssten sich auf drastische Schritte einstellen.

Ein Sprecher des Gläubigerausschusses lehnte eine Stellungnahme ab. Die Gläubiger haben sich gegen einen Schuldenschnitt ausgesprochen. Das Finanzministerium kündigte unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes an, es im Interesse des ukrainischen Volkes auch anzuwenden, wenn keine gemeinsame Lösung erzielt werden könne. Zugleich äußerte sich das Ministerium hoffnungsvoll, dass rasch eine Einigung mit Gläubigern gefunden werden könne, bei denen das Land mit zehn Milliarden Dollar verschuldet ist. Die Regierung strebt unter anderem eine Verlängerung der Laufzeiten ihrer Anleihen an, macht aber klar, dass man einen Schuldenschnitt verlangen werde.

Davon könnten auch die europäischen Steuerzahler betroffen sein: Die Ukraine ist bei der EU mit 11 Milliarden Euro in der Kreide. Hinzu kommen noch bilaterale Kredite. So hatte der deutsche Steuerzahler der Ukraine erst vor wenigen Wochen einen neuen Kredit in der Höhe von 100 Millionen Euro gewährt.

Die ukrainische Regierung betont zwar, dass bilaterale Kredite weiter bedient werden. Angesichts der leeren Kassen dürfte dies jedoch nur möglich sein, wenn zur Bedienung der Kredite neue Kredite von der amerikanischen und europäischen Steuerzahlern nach Kiew fließen. Außerdem genießt der IWF bevorzugten Gläubigerstatus - seine Kredite müssen auf jeden Fall bedient werden. Wenn jedoch bis Juni keine Einigung mit den Gläubigern zustande kommt, müsste die Internationale Derivate- und Swap-Organisation offiziell die Pleite ("credit event") erklären. Dann wären auch die europäischen Steuergelder in akuter Gefahr.

Das Gesetz tritt erst in Kraft, wenn es vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko unterzeichnet wird.

Der Fall stellt eine interessante Parallele zur Argumentation der Syriza-Regierung Griechenlands dar. Auch die griechische Regierung fühlt sich nicht an die Vereinbarungen der Vorgänger-Regierungen gebunden. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hatte den Griechen darauf beschieden, dass in der EU der eiserne Grundsatz gelte, dass Verträge einzuhalten seien. Eine vergleichbare Aussage zur Ukraine steht noch aus.


Mehr zum Thema:  
Europa >

Anzeige
DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Yulin Delegation - Erfolgreich veranstaltetes Wirtschafts- und Handelsaustauschtreffen in Berlin

Am 25. April 2024 organisierte eine Delegation aus der chinesischen Stadt Yulin ein erfolgreiches Wirtschafts- und Handelsaustauschtreffen...

DWN
Politik
Politik Heimatschutz: Immer mehr Bürger dienen dem Land und leisten „Wehrdienst light"
01.05.2024

Ob Boris Pistorius (SPD) das große Ziel erreicht, die Truppe auf über 200.000 Soldaten aufzustocken bis 2031 ist noch nicht ausgemacht....

DWN
Immobilien
Immobilien Balkonkraftwerk mit Speicher: Solarpaket könnte Boom auslösen - lohnt sich der Einbau?
01.05.2024

Balkonkraftwerke aus Steckersolargeräten werden immer beliebter in Deutschland. Insgesamt gibt es aktuell über 400.000 dieser sogenannten...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Weltweite Aufrüstung verschärft Knappheit im Metallsektor
01.05.2024

Die geopolitischen Risiken sind derzeit so groß wie seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr. Gewaltige Investitionen fließen in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nachhaltigkeit als Schlüsselfaktor für Unternehmenserfolg
01.05.2024

Die Studie „Corporate Sustainability im Mittelstand“ zeigt, dass der Großteil der mittelständischen Unternehmen bereits Maßnahmen...

DWN
Finanzen
Finanzen Private Pflegezusatzversicherungen: Wichtige Absicherung mit vielen Varianten
01.05.2024

Die gesetzliche Pflegeversicherung reicht oft nicht aus, um die Kosten im Pflegefall zu decken. Welche privaten Zusatzversicherungen bieten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 22-Prozent unbezahlte Überstunden: Wenn Spitzenkräfte gratis arbeiten
01.05.2024

Arbeitszeit am Limit: Wer leistet in Deutschland die meisten Überstunden – oft ohne finanziellen Ausgleich? Eine Analyse zeigt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Die größten Kostenfallen: So sparen Sie bei Fonds, Aktien und Co.
01.05.2024

Viele Anleger unterschätzen die Wirkung von Anlagekosten. Dabei sind Fondsgebühren, Orderkosten und Co. auf lange Sicht enorm...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Konsumstimmung steigt: Die Deutschen shoppen wieder
01.05.2024

Laut aktuellen Erhebungen der GfK steigt die Konsumstimmung in Deutschland für den Mai auf ein Zwei-Jahres-Hoch. Ausschlaggebend sind...