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Gregor Gysi: Wir brauchen keine Revolution gegen den Kapitalismus

Lesezeit: 2 min
07.06.2015 14:58
Gregor Gysi wird im Herbst nicht wieder als Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag kandidieren. Zum Abschied sagte er, dass die Gesellschaft keine Revolution brauche, weil man in einer Demokratie den Wandel mit gewaltfreien Mitteln erreichen müsse.
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Greogr Gysis Abschiedsrede im Wortlaut (gekürzt):

«Heute spreche ich letztmalig als Vorsitzender unserer Bundestagsfraktion auf einem unserer Parteitage. Die Legislaturperiode des Fraktionsvorstandes endet im Herbst 2015. Ich werde nicht erneut kandidieren, da die Zeit gekommen ist, den Vorsitz unserer Fraktion in jüngere Hände zu legen. (...)

Da ich in Berlin-Treptow/Köpenick direkt für vier Jahre in den Bundestag gewählt worden bin, ist auch klar, dass ich nach dem Ausscheiden aus dem Fraktionsvorstand Mitglied des Bundestages bleibe. (...) Die Frage, ob ich 2017 versuche, erneut für den Bundestag zu kandidieren, kann ich heute noch nicht beantworten. Ich werde diese Entscheidung im Jahr 2016 treffen. Selbstverständlich ist, dass ich meine Verantwortung als Fraktionsvorsitzender bis zum 13. Oktober 2015 vollständig wahrnehmen werde. Und ebenso selbstverständlich ist für mich, dass ich dann die Verantwortung wirklich abgebe, das heißt nicht heimlich versuchen werde, die Fraktion auf indirekte Art weiter zu leiten. (...)

Noch nie war die Zustimmung zu mir in der Fraktion so groß wie jetzt. Übrigens hat ein Abgeordneter - das hat mir auch gefallen - zu mir gesagt, dass ich für ihn das kleinere Übel sei und deshalb unbedingt bleiben solle. Ich bin ihm dankbar, denn jetzt weiß ich endlich, was das kleinere Übel ist - nämlich ich. Und ich weiß auch, dass die Partei und ich in der Gesellschaft einen nicht ganz unbeachtlichen Akzeptanzschub genommen haben. All das freut mich wirklich sehr. (...) Aber ich glaube, dass man gerade in einer solchen Phase und mit 67 Jahren eine solche Verantwortung abgeben sollte und nicht erst, wenn ihr seit geraumer Zeit denkt, wann ich endlich aufhöre. (...)

In den ersten Jahren meiner politischen Tätigkeit begegneten mir fast nur Extreme. Entweder wurde ich geliebt, fast angebetet, oder gehasst. Beides ist sehr anstrengend. Hass deshalb, weil man mit sich selbst nicht klarkommt, ich verstand die Ablehnung nicht. Ich wusste nicht, was ich den Leuten getan hatte. Aber die tiefe Zuneigung war noch schlimmer, weil ich wusste, dass ich die Wünsche der Menschen nicht erfüllen konnte, und es tat mir so weh, sie enttäuschen zu müssen. Ihr werdet euch wundern, aber damals war es für mich im Westen leichter, obwohl wir dort ziemlich chancenlos waren, vielleicht auch, weil wir dort chancenlos waren. (...)

Wir brauchen ein zutiefst kritisches Verhältnis zum Staatssozialismus, also auch zur DDR. Wir müssen die Einschränkungen von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit deutlich herausarbeiten und so glaubhaft wie möglich garantieren, dass wir ein Höchstmaß an Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit anstreben. (...)

Wenn wir sozialistisch bleiben wollen, müssen wir erklären, was uns und warum am Kapitalismus stört, auch was uns nicht stört, sondern im Gegenteil gut ist und wie man das Störende überwinden und das andere erhalten kann. Gegen eine kapitalistische Diktatur ist die Anwendung von Gewalt gerechtfertigt, um sie zu überwinden, braucht man eine Revolution. Wir aber leben in einer politischen Demokratie. Deshalb kommt für uns nur der gewaltfreie Weg der Transformation in Frage. Wir müssen versuchen, eine Mehrheit der Menschen in unserem Land von unserem Weg zu überzeugen. Wenn uns das nicht gelingt, haben wir nicht das Recht, sie zu unserem Weg zu zwingen. (...)

Es gibt bei uns viele, die eine Regierungsverantwortung anstreben und es gibt solche, die sie nicht wollen. Letztere können das aber nicht zugeben und werden nur für sehr viele rote Haltelinien streiten, die man auf gar keinen Fall unterschreiten dürfe, in der Hoffnung, dass SPD und Grüne schon an der zweiten Haltelinie scheitern. Wir können und sollten auch auf Bundesebene regieren wollen, und zwar selbstbewusst, mit Kompromissen, aber ohne falsche Zugeständnisse. (...)»


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