Finanzen

Deutschland: Der Wettlauf an die Börse

Lesezeit: 2 min
26.06.2015 09:41
Allein in Deutschland wetteifern gerade fünf Börsenkandidaten um die Gunst der Anleger. In ganz Europa gingen vor kurzem annähernd 30 Anwärter gleichzeitig auf Werbetour bei Fonds, Versicherern und anderen Investoren.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Eigentlich hätten Investmentbanker derzeit genügend Ausreden, warum Flaute herrscht bei Börsengängen. Die Unsicherheit um Griechenland schreckt Investoren ab, die starken Ausschläge an den Börsen erschweren die Preisfindung. Doch die Realität straft alle Pessimisten Lügen: Allein in Deutschland buhlen gerade fünf Börsenkandidaten um die Gunst der Anleger, in ganz Europa gingen vor kurzem annähernd 30 Anwärter gleichzeitig auf Werbetour bei Fonds, Versicherern und anderen Investoren. Und für das zweite Halbjahr wird die Liste der Börsenkandidaten länger und länger.

Der Hunger der Anleger auf Rendite scheint größer als die Angst vor dem Absturz. "Der Markt strotzt vor Liquidität. Der Risikoappetit ist gestiegen", erklärt Martin Steinbach von der Unternehmensberatung EY (Ernst & Young) den Börsen-Boom. Er geht von bis zu 15 Börsenneulingen in Deutschland in diesem Jahr aus. Die Hoffnung, dass es im Ringen um Griechenland zu einer Lösung kommt, lebt - oder das Risiko, dass es doch zum Grexit kommt, wird verdrängt. "Entweder es kracht. Dann werden wohl eine Reihe von Börsengängen verschoben. Oder die Krise löst sich zumindest temporär in Wohlgefallen auf", sagt Christian Gärtner von Bank of America Merrill Lynch.

Zum ersten Mal seit der Finanzkrise stoßen nicht nur Wohnimmobilienfirmen oder Kabelgesellschaften auf Interesse. "Gefragt sind auf Wachstum ausgerichtete Geschäftsmodelle, die tradierte Vertriebsmodelle aufmischen oder ersetzen können", sagt Steinbach. Seit Rocket Internet und Zalando den Weg geebnet haben, finden auch Start-ups wie Windeln.de oder der Online-Schmuck-Händler Elumeo Käufer. "Investoren suchen in diesem Umfeld Aktien, die besser abschneiden können als der Index", sagt Joachim von der Goltz, der für Credit Suisse Börsengänge begleitet. "Damit sind Wachstumswerte gefragt, auch wenn das Risiko größer sein kann."

Fünf Unternehmen haben im ersten Halbjahr den Sprung an die Frankfurter Börse geschafft und 1,4 Milliarden Euro eingesammelt - obwohl der größte Hoffnungsträger, die Drogeriekette Douglas, einen Rückzieher machte und stattdessen für 2,9 Milliarden Euro an den Finanzinvestor CVC weiterverkauft wurde.

Die Anleger haben gute Erfahrungen mit den Börsenneulingen gemacht. Am besten hat bisher der Geldverleiher Ferratum abgeschnitten, der den Aktionären seit Februar ein Plus von 42 Prozent beschert hat. Beim Kabelanbieter Tele Columbus - mit 510 Millionen Euro die größte Emission - sind es seit Januar 28 Prozent. Der Kurs des Siliziumscheiben-Herstellers Siltronic ist innerhalb von drei Wochen um 16 Prozent gestiegen. Nur über den Kursverlust von 37 Prozent beim Online-Babyausstatter Windeln.de breiten die Banker lieber den Mantel des Schweigens. "Zu aggressiv gepreist", heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Nun hoffen die Banker vor allem, dass aus den avisierten Milliarden-Emissionen wie Covestro (Bayer Material Science) oder dem Zughersteller Bombardier Rail rasch etwas wird. "Unternehmen, die sich überlegt haben, ob sie 2015 oder 2016 an die Börse gehen sollen, bereiten sich darauf vor, den Schritt noch in diesem Jahr durchzuziehen", weiß Armin Heuberger von der UBS. Dazu gehören der Baustoffkonzern Xella ("Ytong") und der Verpackungshersteller Mauser.

Beide gehören Finanzinvestoren. Private-Equity-Firmen sehen endlich die Chance, Firmen loszuwerden, die sie teuer vor der Finanzkrise gekauft hatten. "Sie bekommen zurzeit an der Börse oft bessere Bewertungen als beim Verkauf an einen Konkurrenten oder eine andere Private-Equity-Gesellschaft", sagt Ralf Darpe, der das Emissionsgeschäft von Societe Generale in Deutschland leitet. "Deshalb versuchen viele, ihre Börsenkandidaten möglichst zeitnah auf die Schiene zu bringen." Jeder siebte Ausstieg von Finanzinvestoren mündete in diesem Jahr nach einer Erhebung von EY in ein Listing - der höchste Wert seit zehn Jahren. Normal waren zuletzt nur fünf bis zehn Prozent.

Was die Kandidaten drängt, ist auch die Angst, dass der Boom 2016 ein jähes Ende finden könnte. Dahinter steckt nämlich die Geldschwemme der Europäischen Zentralbank (EZB). CS-Investmentbanker von der Goltz: "Wir sehen wieder erhebliche Zuflüsse von US-Investoren in europäische Aktien, die sich noch im Herbst 2014 aus Europa zurückgezogen hatten." Im September 2016 dürfte EZB-Präsident Mario Draghi den Geldhahn zudrehen, selbst wenn die Zinsen dann immer noch bei quasi null Prozent stehen. "Die Börsen könnten einige Monate vor dem Ende durchaus nervös werden", unkt UBS-Banker Heuberger.


Mehr zum Thema:  

Jede Anlage am Kapitalmarkt ist mit Chancen und Risiken behaftet. Der Wert der genannten Aktien, ETFs oder Investmentfonds unterliegt auf dem Markt Schwankungen. Der Kurs der Anlagen kann steigen oder fallen. Im äußersten Fall kann es zu einem vollständigen Verlust des angelegten Betrages kommen. Mehr Informationen finden Sie in den jeweiligen Unterlagen und insbesondere in den Prospekten der Kapitalverwaltungsgesellschaften.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...

DWN
Politik
Politik Verfassungsschutz weist auf russische Sabotageversuche hin
26.07.2024

Der deutsche Inlandsgeheimdienst beobachtet schon länger verstärkte russische Geheimdienstaktivitäten. Neue Hinweise veranlassen ihn...