Nach mehr als zehn Jahren zähen Ringens gibt es eine Einigung im Streit über das iranische Atomprogramm. „Dies ist ein historischer Moment“, sagte Irans Außenminister Mohammad Dschawad Sarif am Dienstag in Wien. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini erklärte, das Abkommen könne ein neues Kapitel der internationalen Beziehungen eröffnen. Die geplante Aufhebung der Sanktionen gegen den einst fünftgrößten Öl-Produzenten dürfte im Iran nach Einschätzung von Experten einen Wirtschaftsboom auslösen, von dem Deutschland und viele andere Staaten profitieren werden. Allein die deutsche Wirtschaft macht sich Hoffnung auf milliardenschwere Geschäfte. Der Ölpreis sackte unmittelbar nach der Einigung um mehr als einen Dollar ab. Israel kritisierte das Abkommen scharf.
Das in Wien ausgehandelte Abkommen sieht vor, dass der Iran seine atomaren Aktivitäten auf lange Dauer begrenzt. Im Gegenzug heben die USA, die EU und die Vereinten Nationen ihre Sanktionen gegen das Land auf, das nach der Islamischen Revolution 1979 von einem engen Verbündeten des Westens zu einem Paria geworden war. Verstößt der Iran gegen die Vereinbarung, könnten einige Strafmaßnahmen nach Angaben von Diplomaten binnen 65 Tagen wieder in Kraft treten. Das UN-Waffenembargo gegen den Iran werde für die kommenden fünf Jahre aufrechterhalten, hieß es in Wien. Der Kauf von Raketenteilen bleibe dem Iran acht Jahre lang untersagt.
Die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) will ihre verbleibenden Differenzen mit dem Iran nun bis zum Jahresende klären. Dazu sei ein Fahrplan vereinbart worden, teilte die IAEA mit. Das Abkommen der fünf UN-Veto-Mächte und Deutschlands mit dem Iran hängt davon ob, ob die IAEA die Möglichkeit zur Inspektion iranischer Atomanlagen erhält und ob der Iran die Fragen der Behörde dazu beantwortet, welche militärischen Absichten er mit seiner Atomforschung verfolgt.
Die Einigung ist ein Erfolg sowohl für US-Präsident Barack Obama als auch für den iranischen Präsidenten Hassan Ruhani, der vor zwei Jahren vor allem wegen des Versprechens gewählt wurde, die wirtschaftliche Isolation seines Landes zu beenden. Viele der 77 Millionen Iraner leiden massiv unter den Sanktionen. Beide Präsidenten müssen aber mit Widerstand von Hardlinern im eigenen Land rechnen. Der US-Kongress hat 60 Tage Zeit, um die Vereinbarung zu überprüfen. Lehnen die Abgeordneten das Abkommen ab, kann Obama sein Veto gegen dieses Votum einlegen. Das Veto könnte der Kongress in einer neuerlichen Abstimmung nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit aus dem Weg räumen. Dazu müssten sich demokratische Abgeordnete auf die Seite der Republikaner schlagen.
Die deutsche Wirtschaft hofft dagegen auf milliardenschwere Geschäfte mit dem Iran. "Innerhalb von zwei Jahren können sich unsere Exporte dorthin auf rund fünf Milliarden Euro verdoppeln", sagte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, der Nachrichtenagentur Reuters. "Mittelfristig ist ein Handelsvolumen im zweistelligen Milliarden-Bereich möglich." Voraussetzung dafür sei aber, dass neben dem Wegfall der Sanktionen auch die Finanzierung von Geschäften erleichtert wird, sagte Treier, der sich derzeit in Teheran aufhält.
Dem DIHK zufolge sind zurzeit 80 deutsche Unternehmen mit Niederlassungen in der Islamischen Republik vertreten. Weitere 1000 haben Vertretungen dort. Der Iran sei wegen der vielen hoch qualifizierten Arbeitnehmer für deutsche Unternehmen auch als industrieller Fertigungsstandort interessant.
Der Ölpreis geriet nach der Meldung über die Einigung unter Druck. Ein Barrel (159 Liter) der Nordseesorte Brent verbilligte sich um rund 1,6 Prozent auf 56,94 Dollar, US-Öl der Sorte WTI verlor sogar 3,3 Prozent auf 50,48 Dollar. Eine Einigung im Atom-Streit erhöht Börsianern zufolge die Wahrscheinlichkeit einer baldigen Wiederaufnahme der iranischen Erdöl-Exporte.