Politik

CSU frontal gegen Merkel: Andere Flüchtlings-Politik oder andere Kanzlerin

Lesezeit: 2 min
20.01.2016 22:09
Die CSU-Abgeordneten haben Angela Merkel mit Vorwürfen und Kritik zur Flüchtlings-Politik überschüttet. Parteichef Seehofer ergeht sich in dunklen, noch vagen Drohungen. Doch ein CSU-Mann stellt ganz offen die Autorität von Merkel als Kanzlerin in Frage.
CSU frontal gegen Merkel: Andere Flüchtlings-Politik oder andere Kanzlerin

Christoph Trost von der dpa liefert einen sehr aufschlussreichen Korrespondenten-Bericht aus Wildbad Kreuth:

Die Kanzlerin muss gewusst haben, dass es kein einfacher Termin werden würde. Dass es auf der Klausur der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth anders zur Sache gehen würde als bei den Bundestagsabgeordneten zwei Wochen zuvor. Aber gleich so?

Tatsächlich tritt der Streit zwischen CSU und Kanzlerin über die Flüchtlingspolitik am Mittwoch so offen zutage wie selten zuvor. Merkel erteilt der Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge erneut eine Abfuhr - und wird mit Kritik überschüttet. Finanzminister Markus Söder etwa sagt nach Teilnehmerangaben: «Die Lage ist aus dem Ruder gelaufen.» Die Grenzen offen zu lassen, sei ein «schwerer Fehler». Ein Abgeordneter mahnt, man könne nicht auf Dauer gegen die Mehrheit der Bevölkerung regieren. Und andere CSU-Politiker berichten von Menschen, die sagten, sie könnten Merkel nun nicht mehr wählen.

Nicht nur der Schnee draußen vor der Tür, auch der Ärger in der CSU türmt sich inzwischen viel höher auf als noch vor zwei Wochen. Der Zorn ist immens unter den Abgeordneten. Deutlich wie nie fordern sie endlich einen sofortigen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik, eine Obergrenze für die Zuwanderung: «Für das Jahr 2016 liegt für uns die verträgliche Obergrenze bei 200 000», heißt es in einem Papier, das die Fraktion vor Merkels Ankunft einstimmig beschlossen hat. Eine Gruppe von Abgeordneten hat zudem einen langen, deutlichen Brief an die Kanzlerin geschrieben. Die Handlungsfähigkeit der Politik müsse dringend wiederhergestellt werden, heißt es darin unter anderem.

Auch Parteichef Horst Seehofer hat den Druck vorab noch einmal erhöht - und von Merkel einen Kurswechsel binnen weniger Wochen verlangt. Er will sich nicht länger «abspeisen» lassen und ist fest entschlossen, notfalls gegen den Bund zu klagen. Seehofer warnte die Abgeordneten sogar schon: «Es können schwere Entscheidungen auf uns zukommen.»

Merkel aber lehnt die CSU-Forderung nach einem schnellen Kurswechsel samt Festlegung einer nationalen Obergrenze weiter klar ab: «Worin wir uns einig sind, ist, dass wir die Zahl der ankommenden Flüchtlinge spürbar und nachhaltig reduzieren wollen», sagt sie - betont dann aber, hier sollte man bei den Fluchtursachen ansetzen und eine europäische Lösung finden. Vor den Abgeordneten betont sie, sie könne nicht gleichzeitig international verhandeln und parallel dazu nationale Maßnahmen ergreifen. Über einen «Plan B» spreche sie nicht.

Dass es zu einer wirksamen europäischen Lösung kommt, das glauben in der CSU-Fraktion indes nur noch wenige. Eine solche Lösung zu finden sei jedenfalls in kurzer Zeit nicht möglich, betont Fraktionschef Thomas Kreuzer. Deshalb brauche es eine nationale Obergrenze.

Weil niemand an ein schnelles Einlenken der Kanzlerin glaubt, wird unter den Abgeordneten in Kreuth lebhaft diskutiert - freilich nicht in großer Runde. Etwa darüber, was mit den «schweren Entscheidungen» gemeint sein könnte, von denen Seehofer gesprochen hat. Die zentrale Frage: Was tun, wenn Merkel nicht einlenkt? Sogar über die völlige Eskalation wird gesprochen: den Austritt aus der Berliner Koalition, ein mögliches bundesweites Antreten der CSU. Doch zumindest bei diesen Punkten sind sich die allermeisten einig: Kommt nicht infrage.

Denn das ist das Dilemma, in dem die CSU steckt, und das sich auch nicht auflösen lässt: Sie hat keinen direkten Hebel, um Merkel zur Kehrtwende zu zwingen. Die CSU hängt auf Gedeih und Verderb mit drin in der Koalition. Würde das Bündnis platzen, würde es zu Neuwahlen kommen - die Union müsste mit einem desaströsen Ergebnis rechnen.

Der CSU bleibt deshalb nichts anderes, als den Druck auf Merkel immer weiter zu erhöhen. Wobei für viele Christsoziale längst zweitrangig ist, ob Merkel Kanzlerin bleibt oder jemand anderes das Ruder übernimmt. Viele Abgeordnete sagen inzwischen, wenn Merkel ihre Politik nicht korrigieren wolle, müsse sie ihr Amt abgeben.

Seehofer selbst packt die gesamte Stimmung in einen diplomatisch formulierten Satz, den er Merkel schon vor zwei Wochen gesagt habe: «Wir wollen mit Dir eine Lösung - die Betonung liegt aber auf: Wir wollen eine Lösung. Das ist entscheidend.» Am deutlichsten wird Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich. Er sagt zu Merkel nach Teilnehmerangaben: «Wenn es nicht in absehbarer Zeit eine andere Flüchtlingspolitik gibt, dann gibt es bald eine andere Kanzlerin.»

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Weltweite Aufrüstung verschärft Knappheit im Metallsektor
01.05.2024

Die geopolitischen Risiken sind derzeit so groß wie seit den Hochzeiten des Kalten Krieges nicht mehr. Gewaltige Investitionen fließen in...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nachhaltigkeit als Schlüsselfaktor für Unternehmenserfolg
01.05.2024

Die Studie „Corporate Sustainability im Mittelstand“ zeigt, dass der Großteil der mittelständischen Unternehmen bereits Maßnahmen...

DWN
Finanzen
Finanzen Private Pflegezusatzversicherungen: Wichtige Absicherung mit vielen Varianten
01.05.2024

Die gesetzliche Pflegeversicherung reicht oft nicht aus, um die Kosten im Pflegefall zu decken. Welche privaten Zusatzversicherungen bieten...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 22-Prozent unbezahlte Überstunden: Wenn Spitzenkräfte gratis arbeiten
01.05.2024

Arbeitszeit am Limit: Wer leistet in Deutschland die meisten Überstunden – oft ohne finanziellen Ausgleich? Eine Analyse zeigt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Die größten Kostenfallen: So sparen Sie bei Fonds, Aktien und Co.
01.05.2024

Viele Anleger unterschätzen die Wirkung von Anlagekosten. Dabei sind Fondsgebühren, Orderkosten und Co. auf lange Sicht enorm...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Konsumstimmung steigt: Die Deutschen shoppen wieder
01.05.2024

Laut aktuellen Erhebungen der GfK steigt die Konsumstimmung in Deutschland für den Mai auf ein Zwei-Jahres-Hoch. Ausschlaggebend sind...

DWN
Politik
Politik Steinmeier unter Feuer: Kontroverse um Ukraine-Hilfen und Taurus-Lieferungen
30.04.2024

Bundespräsident Steinmeier steht wegen seiner Aussagen zur Ukraine-Hilfe in der Kritik. Politiker werfen ihm vor, seine Rolle nicht...

DWN
Unternehmen
Unternehmen SAP Stellenabbau: Abfindungsangebote stehen, 2600 Jobs sollen wegfallen
30.04.2024

Im Rahmen der weltweiten Umstrukturierung von SAP sollen 2600 Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut werden. Nun wurden...