Gemischtes

Türken in Grenzstadt Kilis wollen keine Syrer mehr aufnehmen

Die Stimmung an der türkisch-syrischen Grenze kippt zu Ungunsten der syrischen Flüchtlinge. Die türkische Bevölkerung fürchtet einen Massenexodus, der das Leben aus den Fugen bringen könnte. Sie fordern: Der Staat muss sich zuerst um seine eigenen Bürger kümmern.
09.02.2016 01:15
Lesezeit: 2 min

Vor einem Krankenhaus in der türkischen Grenzstadt Kilis bringt die junge Krankenschwester Tugba Kaya die Sorge vieler Einwohner auf den Punkt: „Ich hab das Gefühl, nicht mehr in der Türkei zu leben“, sagt sie mit Blick auf die vielen syrischen Flüchtlinge, die inzwischen in Kilis leben. „Es ist, als wären wir in Syrien. Auf Schritt und Tritt trifft man auf Syrer.“

Vor dem Bürgerkrieg lebten in der südostanatolischen Stadt fünf Kilometer nördlich der Grenze zu Syrien knapp 100.000 Menschen. Nun sind in und um Kilis nach Angaben der türkischen Behörden 120.000 Syrier untergebracht, 34.000 von ihnen in Lagern.

Das klappte bislang noch ganz gut. Aber da sich wegen der Offensive der syrischen Armee in der Region Aleppo zehntausende neue Flüchtlinge auf den Weg gemacht haben und auf Einlass in die Türkei hoffen, droht die Stimmung zu kippen. „Das Leben würde gelähmt, wenn der Massenexodus hier eintrifft“, sagt Kaya.

„Arbeitslosigkeit und Hunger in der türkischen Bevölkerung haben durch die vielen Syrer zugenommen. Die Mieten sind in die Höhe geschossen“, sagt Yasar Mavzer. „Der Staat muss sich zuerst um seine eigenen Bürger kümmern.“ Der Bewohner von Kilis fordert, dass die Flüchtlinge in einer Sicherheitszone jenseits der Grenze – also auf syrischer Seite – versorgt werden sollen.

Mehmet Zeytcioglu sieht es genauso. „Unser Kilis ist eine kleine Stadt, sie schafft es nicht, so viele Menschen aufzunehmen“, sagt der Lebensmittelhändler. „Soll Allah ihnen helfen.“

Die Sorgen und der Unmut der einheimischen Bevölkerung seien „ganz natürlich“ und müssten von der Regierung ernstgenommen werden, meint Murat Erdogan, der das Institut für Migration und Politikforschung an Ankaras Universität Hacettepe leitet. Zwar gebe es auch durchaus positive Entwicklungen. So sei der Handel erblüht und viele Anwohner hätten Jobs in den Flüchtlingslager gefunden. Doch könne man die Augen vor den Problemen nicht verschließen: „Die öffentlichen Dienstleistungen werden immer wieder unterbrochen, die Kriminalität könnte steigen.“ Dass von jenseits der Grenze immer wieder Artilleriefeuer zu hören ist, verstärke das Gefühl der Bedrohung.

Die Syrer, die bereits in Kilis angekommen sind, versuchen, sich eine neue Existenz aufzubauen. Mohammed Hamidi war in seiner Heimat Anwalt. Mit dem Geld, mit dem er geflüchtet ist, hat er sich ein Café gemietet. „Seit 2013 arbeite ich jetzt hier“, sagt er, während arabische Musik aus den Lautsprechern dudelt. „Viele Türken kommen regelmäßig in mein Café. Die Gemeinde hat uns gut aufgenommen. Die Türken behandeln uns besser als die Jordanier oder Libanesen.“

Sabah Al-Ali lebt mit ihren Kindern in Kilis. Sie ist dem türkischen Staat dankbar, dass er ihr Schutz vor der Gewalt bietet. Dennoch sehnt die Syrerin ihre Rückkehr nach Aleppo herbei. „Wir leben hier, aber wir fühlen uns nicht Zuhause“, sagt die Mutter. „Unsere Heimat ist uns kostbar, dort gehören wir hin.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Der deutsche Markt konzentriert sich auf neue Optionen für XRP- und DOGE-Inhaber: Erzielen Sie stabile Renditen aus Krypto-Assets durch Quid Miner!

Für deutsche Anleger mit Ripple (XRP) oder Dogecoin (DOGE) hat die jüngste Volatilität am Kryptowährungsmarkt die Herausforderungen der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen KI-Schäden: Wenn der Algorithmus Schaden anrichtet – wer zahlt dann?
05.07.2025

Künstliche Intelligenz entscheidet längst über Kreditvergaben, Bewerbungen oder Investitionen. Doch was passiert, wenn dabei Schäden...

DWN
Panorama
Panorama Was Autofahrer über Lastwagen wissen sollten – und selten wissen
05.07.2025

Viele Autofahrer kennen das Gefühl: Lkw auf der Autobahn nerven, blockieren oder bremsen aus. Doch wie sieht die Verkehrswelt eigentlich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung 2024: Mit diesen 8 Steuertipps können Sie richtig viel Geld rausholen
05.07.2025

Viele Menschen drücken sich vor der Steuererklärung, weil diese manchmal etwas kompliziert ist. Doch es kann sich lohnen, die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaftskriminalität: Insider-Betrug kostet Millionen - Geschäftsführer haften privat
05.07.2025

Jede zweite Tat geschieht im eigenen Büro - jeder fünfte Schaden sprengt die fünf Millionen Euro Marke. Wer die Kontrollen schleifen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Microsoft kippt den Bluescreen, doch das wahre Problem bleibt
05.07.2025

Microsoft schafft den berühmten „Blauen Bildschirm“ ab – doch Experten warnen: Kosmetische Änderungen lösen keine...

DWN
Panorama
Panorama So bleiben Medikamente bei Sommerhitze wirksam
05.07.2025

Im Sommer leiden nicht nur wir unter der Hitze – auch Medikamente reagieren empfindlich auf hohe Temperaturen. Doch wie schützt man...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Bahn: Sanierung des Schienennetzes dauert länger – die Folgen
05.07.2025

Die Pläne waren ehrgeizig – bis 2030 wollte die Bahn mit einer Dauerbaustelle das Schienennetz fit machen. Das Timing für die...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt H&K-Aktie: Rüstungsboom lässt Aufträge bei Heckler & Koch explodieren
04.07.2025

Heckler & Koch blickt auf eine Vergangenheit voller Skandale – und auf eine glänzende Gegenwart und Zukunft. Der Traditionshersteller...