In einer turbulenten Sitzung hat das brasilianische Parlament den Weg für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Staatspräsidentin Dilma Rousseff frei gemacht. Die nötige Zweidrittelmehrheit von 342 Stimmen wurde am späten Sonntagabend (Ortszeit) in Brasília deutlich überschritten. Zuvor hatte Rousseffs linke Arbeiterpartei (PT) bereits ihre Niederlage eingeräumt. Nach dem Votum im Abgeordnetenhaus entscheidet nun der Senat über die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen die 68-Jährige.
„Die Verschwörer des Staatsstreichs haben hier gewonnen“, sagte der Fraktionschef der linken Arbeiterpartei (PT), José Guimaraes, laut AFP noch während der Abstimmung im Parlament. Rousseffs Regierung erkenne die „vorübergehende Niederlage“ an, sagte er. „Aber das bedeutet nicht, dass der Krieg vorbei ist. Der Kampf wird auf der Straße und im Senat weitergehen.“
Für die Einleitung des Verfahrens waren im Abgeordnetenhaus die Stimmen von mindestens 342 der 513 Parlamentarier nötig. Als die Marke nach mehreren Stunden der Abstimmung erreicht wurde, brach Jubel im Lager der Rousseff-Gegner aus. Insgesamt stimmten 367 Abgeordnete für eine Amtsenthebung Rousseffs und 137 Abgeordnete dagegen. Sieben Parlamentarier enthielten sich, zwei blieben der Abstimmung fern.
Die Unterhausdebatte hatte am Freitag begonnen. Die entscheidende Sitzung am Sonntag wurde von Parlamentspräsident Eduardo Cunha, einem vehementen Gegner Rousseffs, in einer aufgeheizten Stimmung eröffnet. Abgeordnete brüllten durcheinander, einige sangen patriotische Lieder, andere hielten Spruchbanner hoch, in denen sie die geplante Amtsenthebung als „Putsch“ verurteilten.
Auch die letzten Redebeiträge der Parteichefs vor der Abstimmung wurden immer wieder auf diese Weise unterbrochen. Einige Abgeordnete sangen Parodien auf Rousseff. Ein Parlamentarier feuerte sogar eine Konfetti-Kanone ab.
Nach dem grünen Licht des Unterhauses wird sich nun voraussichtlich im Mai das Oberhaus mit dem Fall befassen. Eine einfache Mehrheit im Senat würde genügen, um das Amtsenthebungsverfahren in Gang zu bringen. Rousseffs Amtsführung würde dann vorübergehend für bis zu 180 Tage ausgesetzt. Ihr derzeitiger Vertreter Michel Temer müsste dann die Amtsgeschäfte übernehmen.
Temers rechtsliberale Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) hatte die Koalition mit Rousseffs linker Arbeiterpartei aufgekündigt und will die Absetzung der Präsidentin erreichen. Die frühere Guerillakämpferin wird unter anderem für Korruption und die schlechte wirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich gemacht. Zudem wird ihr zur Last gelegt, Haushaltszahlen geschönt zu haben. Laut Umfragen sind inzwischen mehr als 60 Prozent der Brasilianer für eine Amtsenthebung Rousseffs.
Die Abstimmung war begleitet von Demonstrationen beider Lager in mehreren brasilianischen Städten. In der Hauptstadt Brasília trennte ein Metallzaun die Gegner und Unterstützer der Präsidentin, tausende Polizisten waren im Einsatz. Vor dem Parlamentsgebäude verfolgten Zehntausende die live auf Leinwänden übertragene Sitzung. Die Polizei gab die Zahl der Rousseff-Gegner mit 53.000 an, die der Anhänger mit 26.000.