Balazs Koranyi und Paul Taylor von der Nachrichtenagentur Reuters haben eine interessante Analyse geschrieben. Daraus geht hervor, dass Bundesbankpräsident Jens Weidmann auf Schmusekurs mit Mario Draghi eingeschwenkt ist. Ob Weidmann seine Positionen sanfter formuliert, weil er hofft, Draghi als EZB-Chef zu beerben, geht aus der Analyse nicht hervor. Sie zeigt jedoch ganz klar: Die Bundesbank hat als Anwalt der Sparer in Deutschland kapituliert.
Mitten im Sturm heftiger Angriffe deutscher Politiker gegen seine Geldpolitik hat EZB-Präsident Mario Draghi einen unerwarteten Verbündeten gefunden: Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Sonst ein Kritiker vieler Beschlüsse im EZB-Rat, hat er sich demonstrativ hinter Draghi gestellt. Einen grundsätzlichen Wandel der Bundesbank bedeute Weidmanns Fürsprache dennoch nicht, sagen hochrangige Notenbanker und Personen aus dem Umfeld des EZB-Rats zur Nachrichtenagentur Reuters. Manche Insider stellen allerdings eine Änderung im Tonfall bei Weidmann fest. Womöglich versuche der Bundesbank-Chef, mehr Einfluss vor den nächsten großen EZB-Entscheidungen zu gewinnen.
Weidmann hatte unlängst die Unabhängigkeit der Notenbank verteidigt und die ultra-lockere Haltung in der Geldpolitik in Schutz genommen. Attacken deutscher Politiker aus den Reihen der Union gegen die EZB und ihren Präsidenten hatten zuvor deutlich an Schärfe zugenommen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte der EZB-Niedrigzinspolitik sogar eine Mitschuld für das Erstarken euroskeptischer Kräfte gegeben. Und aus der CSU waren laute Rufe ertönt, der nächste EZB-Präsident müsse ein Deutscher sein.
Weidmann zeige einige Anzeichen, zur Mehrheitsansicht zurückzukehren, und fange an, die EZB gegen politische Angriffe aus Deutschland zu verteidigen, so einer der Insider. Durch seine Opposition gegen viele geldpolitische Initiativen der EZB habe er aber solchen Angriffen den Boden bereitet. Das Verhältnis zwischen der EZB-Führung und deutschen Ratsmitgliedern war in den vergangenen Jahren nie frei von Spannungen. Weidmanns Amtsvorgänger Axel Weber und der damalige EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark waren 2011 aus Protest über die lockere Geldpolitik von Draghis Vorgänger Jean-Claude Trichet sogar zurückgetreten. Und auch Weidmann sah sich mit seinen Positionen seit Amtsantritt im Mai 2011 bei wichtigen Entscheidungen häufig in der Minderheit im EZB-Rat.
Ganz erfolglos blieb Weidmanns Kritik allerdings nicht. So wurden beim Design des von ihm abgelehnten billionenschweren Anleihen-Kaufprogramms Haftungsrisiken nur zu einem geringen Teil vergemeinschaftet. Und auch der jüngste EZB-Beschluss, den 500-Euro-Schein aus dem Verkehr zu ziehen, enthält einige Vorstellungen der Bundesbank. Er bleibt beispielsweise gesetzliches Zahlungsmittel.
Ungewöhnlich finden manche Beobachter, dass sich in den jüngsten Reden und Interviews von Weidmann viele zustimmende Passagen zur Niedrigzinspolitik der EZB finden. So bezeichnete er die expansive Geldpolitik vor dem Hintergrund des sehr geringen Preisdrucks im Währungsraum als „angemessen“. Und auch von Handlungsbedarf für die EZB ist nun die Rede - trotz Bekräftigung seiner Kritik an den Staatsanleihen-Käufen. Die Debatte in Deutschland sei zudem viel zu einseitig: Bürger seien nicht nur Sparer, sondern auch Arbeitnehmer, Steuerzahler und Schuldner und würden als solche auch von den niedrigen Zinsen profitieren.
Noch im Dezember hatte Weidmann unter Hinweis auf die starke Bedeutung des Energiepreisrutsches weitere Lockerungsschritte der EZB für unnötig gehalten. Doch die Inflationsrate im Währungsraum ist mittlerweile erneut ins Minus abgerutscht – inzwischen rechnet die EZB für 2016 nur noch mit einer Mini-Teuerung von 0,1 Prozent. „Viele der im Oktober und Dezember dargelegten Risiken sind eingetroffen und Weidmann hat erkannt, dass die EZB nicht falsch darin lag, dass sie handelte“, sagt ein EZB-Ratsmitglied. Natürlich werde er niemals sagen, dass die Euro-Notenbank völlig richtig gelegen habe. Aber er habe angesichts der raschen Eintrübung des Ausblicks akzeptiert, dass die Position der Bundesbank, nichts zu machen, unhaltbar geworden sei.
Fallende Preise gelten als gefährlich, weil Verbraucher sich dann in der Erwartung zurückhalten, Produkte bald noch billiger zu bekommen. Firmen verdienen dann weniger, schieben Investitionen auf und entlassen Mitarbeiter. Eine Abwärtsspirale kommt in Gang, die nur schwer zu stoppen ist. Deshalb strebt die EZB knapp zwei Prozent Inflation an – denn das schafft einen ausreichenden Sicherheitsabstand.
Laut einer mit den Überlegungen von Weidmann vertrauten Person wurde für den Bundesbank-Präsidenten mit den jüngsten Attacken auf Draghi und die EZB schlichtweg eine rote Linie überschritten. Deshalb sei sein klarer Hinweis auf die Unabhängigkeit der Notenbank nötig gewesen. Trotz der Wahrnehmung eines insgesamt milderen Tonfalls habe sich aber an seinen zentralen Argumenten gegen das Anleihen-Kaufprogramm und an seiner Betonung der Gefahren einer langanhaltenden ultra-lockeren Geldpolitik nichts geändert. Die Änderung im Tonfall sei zu begrüßen – das ändere aber die deutsche Linie nicht, so ein weiteres EZB-Ratsmitglied.
Die Bundesbank warnt seit längerem vor Risiken und Nebenwirkungen wie etwa Übertreibungen an den Finanzmärkten. Zudem könnten sich Länder zu sehr an die niedrigen Zinsen gewöhnen. Und je mehr Staatsanleihen gekauft werden, um so größer wird laut Bundesbank die Gefahr, dass die Grenze zur verbotenen Staatsfinanzierung überschritten wird.
Insidern zufolge könnte die Änderung im Tonfall von Weidmann aber auch auf mögliche Koalitionsbildungen und Bündnisse vor wichtigen Entscheidungen hindeuten. So läuft das inzwischen auf 1,74 Billionen Euro angelegte Anleihen-Kaufprogramm bereits seit März 2015 und soll noch bis Ende März 2017 fortgesetzt werden. Irgendwann davor muss der EZB-Rat sich unweigerlich mit der Frage befassen, ob noch einmal nachgelegt oder ob ein Ausstieg vorbereitet werden muss. Und dann sind im obersten Entscheidungsgremium wieder Mehrheiten gefragt.
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