Politik

Finanz-Experten skeptisch über Entwicklung der deutschen Wirtschaft

Finanz-Experten schätzen die wirtschaftliche Lage trotz eines guten ersten Quartals skeptisch ein. Damit stehen sie im Widerspruch zu vielen Unternehmen, die sich im laufenden Jahr gute Geschäfte erhoffen. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag korrigierte seine Prognosen für das Gesamtjahr nach einer Umfrage unter Firmen nach oben.
26.05.2016 00:21
Lesezeit: 3 min

Aktionäre und Anleger schätzen die Entwicklung der deutschen Wirtschaft im laufenden Jahr negativ ein. Das Barometer für die Erwartungen in den nächsten sechs Monaten ging im Mai überraschend um 4,8 Punkte auf 6,4 Punkte zurück, wie das Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) am Dienstag unter Berufung auf seine Umfrage unter 211 Analysten und Anlegern mitteilte. Von Reuters befragte Ökonomen hatten hingegen mit einem Anstieg auf 12,0 Punkte gerechnet.

„Das hohe Wachstum im ersten Quartal 2016 dürfte die Finanzmarktexperten überrascht haben. Dass sich die Wirtschaftslage in gleicher Geschwindigkeit weiter verbessern wird, ist aus Sicht der Experten jedoch nicht zu erwarten“, sagte ZEW-Präsident Achim Wambach.

Die deutsche Wirtschaft war dank kauffreudiger Verbraucher und steigender Investitionen gut ins Jahr gestartet: Trotz globaler Konjunkturschwäche legte das Bruttoinlandsprodukt von Januar bis März um 0,7 Prozent im Vergleich zu Ende 2015 zu. Für das zweite Quartal erwartet die Bundesbank jedoch eine Konjunkturabkühlung. Die Kaufkraft dürfte angesichts des jüngsten Anstiegs der Rohölpreise künftig nicht mehr so stark zulegen. Zudem sei nicht gesichert, dass die Exporte an die gute Entwicklung im ersten Vierteljahr anknüpfen könnten.

Die Anleger blicken mit Sorge auf die Volksabstimmung in Großbritannien am 23. Juni, die einen Austritt des Landes mit dem wichtigen Finanzstandort London aus der EU bringen könnte. „Unwägbarkeiten wie ein möglicher Brexit lassen einen optimistischeren Ausblick derzeit nicht zu“, sagte ZEW-Chef Wambach zu der Umfrage unter Finanzprofis. In einer aktuellen Telefon-Umfrage des Instituts ORB unter 800 Briten haben die Anhänger eines Verbleibs in der Europäischen Union jedoch einen Vorsprung von 13 Prozentpunkten.

Anders wird die derzeitige Lage bei den deutschen Unternehmen eingeschätzt. Diese rechnen im laufenden Jahr mit mehr als doppelt so vielen neuen Stellen wie noch zu Jahresbeginn. „Die Beschäftigung steigt in diesem Jahr zum elften Mal in Folge – und zwar um 450.000 Stellen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, am Dienstag in Berlin. Bislang war nur ein Plus von 220.000 Jobs erwartet worden. Besonders die Bauwirtschaft, aber auch die Einzelhändler und viele Dienstleister wollen mehr Mitarbeiter einstellen, wie die Verbandsumfrage unter 24.000 Unternehmen ergab.

Die Bautätigkeit stieg nicht zuletzt aufgrund der vermehrten Ausgaben für die Unterbringung von Flüchtlingen um 1,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Insgesamt wurden im ersten Quartal 84.800 Wohnungen genehmigt – so viel wie zuletzt vor 12 Jahren. Ein spezifischer Blick auf die Wohnungen in Wohnheimen zeigt ein Plus von 146,8 Prozent bei den Baugenehmigungen. „Zu dieser Kategorie zählen unter anderem Flüchtlingsunterkünfte“, so das Statistische Bundesamt.

Der DIHK erhöhte seine Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von 1,3 auf 1,5 Prozent. „Bau und Konsum tragen die Konjunktur durchs Jahr“, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben am Dienstag. Sein Verband bleibt aber vorsichtiger als die Bundesregierung: Diese rechnet mit einem Plus von 1,7 Prozent, was dem Ergebnis von 2015 entsprechen würde.

„Im langfristigen Vergleich bleibt die Stimmung aber gut, vor allem dank der Entlastung durch den niedrigen Ölpreis und attraktiver Finanzierungsbedingungen“, hieß es. Gleichzeitig blicken die Firmen optimistischer nach vorn. „Gerade Handel und konsumnahe Dienstleister sind zuversichtlich“, erklärte der DIHK.

Dagegen trübten sich die Exporterwartungen ein. „Derzeit fehlen weltweit die Wachstumstreiber“, erklärte die Kammer. „Die Weltwirtschaft ist durch politische Krisen und Rezessionen in einigen Ländern geprägt.“ Der DIHK senkte seine Exportprognose deshalb von 3,2 auf 2,0 Prozent. Sonderfaktoren wie der vergleichsweise schwache Euro-Kurs und die Entlastung durch den niedrigen Ölpreis stützten hingegen die globale Nachfrage.

Besonders der Außenhandel mit einigen wichtigen Schwellenländern entwickelt sich derzeit schwächer, sagte der Außenhandelsexperte des DIHK zu den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Russland stecke durch den Verfall der Öl- und Gaspreise sowie durch den Vertrauensverlust und die Sanktionen infolge des Konflikts mit der Ukraine in einer tiefen Wirtschaftskrise. „Die deutschen Unternehmen mit Russlandgeschäft warten derzeit ab – sie stellen weniger Mitarbeiter ein und tätigen weniger Investitionen.“

Auch der Handel mit China schwächelt. Die Importe des Landes aus Deutschland waren im letzten Jahr bereits rückläufig. Der angekündigte Umbau zur Hochtechnologie- und Dienstleistungsökonomie komme nur schleppend voran, eine Zunahme protektionistischer Maßnahmen sei zu befürchten. Zusätzliche Risiken sind die ungünstige Demografie und fehlende Reformen, beispielsweise bei Privatisierungen und Marktöffnungen. „Auch China gegenüber zeigen sich die Unternehmen eher abwartend. Unseren Umfragen zufolge erwartet knapp ein Drittel der deutschen Firmen schlechtere Geschäftsbedingungen – nur etwa 17 Prozent gehen dieses Jahr von einer Verbesserung aus. Der größte Teil geht von ähnlichen Bedingungen wie im Vorjahr aus“, sagte der Experte des DIHK.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Der deutsche Markt konzentriert sich auf neue Optionen für XRP- und DOGE-Inhaber: Erzielen Sie stabile Renditen aus Krypto-Assets durch Quid Miner!

Für deutsche Anleger mit Ripple (XRP) oder Dogecoin (DOGE) hat die jüngste Volatilität am Kryptowährungsmarkt die Herausforderungen der...

DWN
Unternehmen
Unternehmen KI-Schäden: Wenn der Algorithmus Schaden anrichtet – wer zahlt dann?
05.07.2025

Künstliche Intelligenz entscheidet längst über Kreditvergaben, Bewerbungen oder Investitionen. Doch was passiert, wenn dabei Schäden...

DWN
Panorama
Panorama Was Autofahrer über Lastwagen wissen sollten – und selten wissen
05.07.2025

Viele Autofahrer kennen das Gefühl: Lkw auf der Autobahn nerven, blockieren oder bremsen aus. Doch wie sieht die Verkehrswelt eigentlich...

DWN
Finanzen
Finanzen Steuererklärung 2024: Mit diesen 8 Steuertipps können Sie richtig viel Geld rausholen
05.07.2025

Viele Menschen drücken sich vor der Steuererklärung, weil diese manchmal etwas kompliziert ist. Doch es kann sich lohnen, die...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Wirtschaftskriminalität: Insider-Betrug kostet Millionen - Geschäftsführer haften privat
05.07.2025

Jede zweite Tat geschieht im eigenen Büro - jeder fünfte Schaden sprengt die fünf Millionen Euro Marke. Wer die Kontrollen schleifen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Microsoft kippt den Bluescreen, doch das wahre Problem bleibt
05.07.2025

Microsoft schafft den berühmten „Blauen Bildschirm“ ab – doch Experten warnen: Kosmetische Änderungen lösen keine...

DWN
Panorama
Panorama So bleiben Medikamente bei Sommerhitze wirksam
05.07.2025

Im Sommer leiden nicht nur wir unter der Hitze – auch Medikamente reagieren empfindlich auf hohe Temperaturen. Doch wie schützt man...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Bahn: Sanierung des Schienennetzes dauert länger – die Folgen
05.07.2025

Die Pläne waren ehrgeizig – bis 2030 wollte die Bahn mit einer Dauerbaustelle das Schienennetz fit machen. Das Timing für die...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt H&K-Aktie: Rüstungsboom lässt Aufträge bei Heckler & Koch explodieren
04.07.2025

Heckler & Koch blickt auf eine Vergangenheit voller Skandale – und auf eine glänzende Gegenwart und Zukunft. Der Traditionshersteller...