Politik

Italien erwartet Exodus von „biblischem Ausmaß“ aus Afrika

Lesezeit: 3 min
07.06.2016 00:52
Die Regierung in Kenia hat große Flüchtlingslager geschlossen. Libyen will die Migranten und Flüchtlinge nicht aufnehmen. Afrika selbst ist bereits völlig überfordert. Für viele Menschen ist der Weg nach Europa die letzte Hoffnung.
Italien erwartet Exodus von „biblischem Ausmaß“ aus Afrika

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

 

Die italienische Zeitung Il Giornale berichtet, dass im August und September mit mindestens einer halben Million Migranten aus Kenia zu rechnen sei, die über das Mittelmeer reisen und an den Küsten Italiens stranden werden. Dabei gehe es um einen „Exodus biblischen Ausmaßes“.

Die Sorge wurde von einer Mitteilung des ugandischen Außenminister Kahamba Kutesa geläutet, der zuvor diese Auswanderungswelle aus Kenia angekündigt hatte. Die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR bestätigte Kutesas Warnung. Denn Kenia will auf seinem Territorium zwei Flüchtlingslager schließen, berichtet die Washington Post. Die Regierung Kenias hat vergangene Woche die Schließung des größten Flüchtlingslagers der Welt in Dadaab bis spätestens November angekündigt. Es sei eine endgültige Entscheidung, sagte Innenminister Joseph Nkaissery.

Ein UNHCR-Sprecher sagte am Mittwoch, diese Entscheidung sei „nicht menschenwürdig“ oder „praktisch umsetzbar“. In Dadaab im Osten des Landes leben nach UN-Angaben mehr als 340 000 Menschen. Mehr als 90 Prozent von ihnen stammen aus dem benachbarten Krisenstaat Somalia. Die geplanten Schließungen würden zu einer massiven Auswanderungswelle in die Staaten des Mittelmeers führen. Jene Länder, vor allem Italien, können die Ankunft von einem absoluten Minimum von 600.000 Menschen erwarten. Beispielsweise gibt es mehr als 220.000 Flüchtlinge allein im kenianischen Flüchtlingslager Kakuma. Die meisten dieser Menschen stammen aus dem Südsudan.

Die kenianische Menschenrechtskommission hat Klage gegen die geplante Schließung des Flüchtlingslagers Dadaab eingelegt. Die Regierung in Nairobi will das mit 350.000 Menschen weltgrößte Flüchtlingslager aus Sicherheitsgründen schließen und die Menschen - die meisten von ihnen Somalier - in ihre bürgerkriegsversehrte Heimat zurückschicken. Dort würden die Flüchtlinge verfolgt und seien in Gefahr, schrieb die Menschenrechtskommission in ihrer am Montag veröffentlichten Klageschrift.

Sobald die Lager geschlossen werden, sollen nach Angaben von Flüchtlings-Analysten zahlreiche dieser Menschen nach Libyen und dann nach Europa ziehen. Libyen hat bereits vorsorglich erklärt, für einen Deal mit der EU nicht zur Verfügung zu stehen. Die EU müsse selbst sehen, wie sie die Flüchtlinge wieder in ihre Heimatländer schicken kann.

Unter jenen, die sich auf die Reise machen wollen, sollen sich auch Dutzende von militanten Personen befinden, berichtet Swahili Hub. Kenia soll sich zwar dieser Tatsache bewusst sein, doch das Land ist froh, sich der Flüchtlinge zu entledigen, so Berger. Der UNHCR zufolge soll es in Afrika etwa 15 Millionen Flüchtlinge geben. Etwa 100.00 dieser Flüchtlinge haben im vergangenen Jahr Europa erreicht. Die zentrale Mittelmeer-Migrationsroute wird von Menschen aus drei Staaten genutzt: Eritrea, Sudan und Nigeria. Eritrea gilt als das autoritärste Regime der Welt. Der Sudan ist zerrüttet von zahlreichen Konflikten. Im Nordosten von Nigeria hat die Terror-Miliz Boko Haram etwa zwei Millionen Menschen dazu gezwungen, zu flüchten. In naher Zukunft können wir Augenzeugen von einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen aus der Zentralafrikanischen Republik, Mali, Kongo-Kinshasa, Gambia und anderen afrikanischen Ländern werden, da die Situation in diesen Ländern angespannt ist.

Ein weiteres Land mit einer beträchtlichen Anzahl von Flüchtlingen ist Kongo-Kinshasa, wo es 1,5 Millionen Flüchtlinge gibt, während eine halbe Million Kongolesen Zuflucht in den Nachbarstaaten finden. Äthiopien, Sudan und Kenia nehmen Flüchtlinge aus dem Südsudan auf. In Somalia gibt es über eine Million Binnenflüchtlinge, so die UNHCR.

Um dieser gesamten Situation zu begegnen, schlug der italienische Premier Matteo Renzi vor, mit den afrikanischen Staaten ein Abkommen abzuschließen, das dem Deal mit der Türkei ähnelt. Große Summen an Geldern sollen im Austausch für die Eindämmung der Flüchtlingsströme gezahlt werden.

In dem Brief, den Renzi an die EU-Kommission gesendet hat, macht der Premier mehrere Vorschläge, die auf den Schutz der EU-Außengrenzen, die Rückführung von Flüchtlingen und die Erfassung von „Wirtschaftsflüchtlingen“ eingehen. Zudem sollen „Filtrationslager“ in Afrika gegründet und bestimmten afrikanischen Staaten Finanzhilfen zugebilligt werden. Obwohl Renzi keine konkret ausgefertigten Vorschläge vorlegen konnte, wird deutlich, dass es um Milliarden von Euros geht, die von der EU ausgegeben werden müssten. Es müsste auch geklärt werden, wie die Lastenverteilung innerhalb der EU aussehen würde. Allerdings wird bereits deutlich, dass Renzi mit erheblichen Einwänden innerhalb der EU zu kämpfen hätte, da Deutschland die Idee zusätzlicher Kosten ablehnt. Renzi hatte auch die Einführung von „Flüchtlings-Euro-Anleihen“ gefordert, um das Flüchtlingsproblem zu lösen. Doch diesen Vorschlag lehnte die Bundesregierung ab.

Internationale Menschenrechtsorganisationen lehnen mögliche EU-Finanzierungen von totalitären Regimen in Afrika ebenfalls ab. Aktuell profitieren die korrupten afrikanische Regime ohnehin schon von Entwicklungshilfen, die ihnen von europäischen Staaten zur Verfügung gestellt werden. Internationale Kredite und Finanzhilfen versickern in großen Teilen in dunklen Kanälen der afrikanischen Eliten. Die Bürger profitieren nicht davon.


Mehr zum Thema:  

DWN
Finanzen
Finanzen Größere Summe anlegen: Wie investiert man 100.000 Euro in Aktien?
15.09.2024

Trotz der Bedeutung von Aktien für den langfristigen Vermögensaufbau investieren die meisten Deutschen immer noch nicht in Einzelaktien...

DWN
Panorama
Panorama Virtuelle Wiesn: Ohne Bier, aber mit Karussell-Gefühl - mehr als ein Spiel
15.09.2024

Am 21. September startet in München wieder das Oktoberfest. Viele möchten gern dorthin, können es aber nicht schaffen. Für diese...

DWN
Politik
Politik Fahrlässige Sicherheitspolitik? Aufrüstung der Bundeswehr laut Experten viel zu langsam
15.09.2024

Die Bestände der Bundeswehr sind bis 2021 stetig gesunken und steigen seitdem nur sehr langsam. Deutschland steht vor großen...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Weniger Verkäufe, zu wenig Innovation: Demontiert sich Deutschlands Automobilbranche selbst?
15.09.2024

Werksschließungen, Stellenabbau und die Angst vor China: Deutschlands Autobauer scheinen in der Krise zu stecken. Doch warum hat die einst...

DWN
Immobilien
Immobilien Mehr Druck auf den Büromarkt: Firmen reduzieren Flächen wegen Homeoffice
15.09.2024

Keine Entlastung für den ohnehin schon sehr angespannten Büroimmobilienmarkt: Unternehmen verkleinern ihre Büroflächen aufgrund des...

DWN
Politik
Politik OECD: Deutschland überzeugt bei Investitionen in frühkindliche Bildung
15.09.2024

Jährlich vergleicht eine OECD-Studie die Bildungssysteme der Industriestaaten. Deutschland ist bei frühkindlicher Bildlung vorne mit...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Vier-Tage-Woche: Revolution der Arbeitszeit oder Risiko für die Wirtschaft?
15.09.2024

Im zweiten Quartal dieses Jahres erlaubten 11 % der deutschen Arbeitgeber ihren Mitarbeitern kürzere (Vier-Tage-)Arbeitszeiten, so eine...

DWN
Politik
Politik Bundestag berät über Haushaltspläne: Steuerzahlerbund zerreißt Finanzplanung
14.09.2024

Trotz wachsender Staatsverschuldung plant die Ampel-Koalition milliardenschwere Mehrausgaben. Der Steuerzahlerbund warnt vor fehlenden...