Finanzen

Bundes-Anleihe im Minus: EZB treibt Investoren in die Enge

Die Abstimmung über einen Brexit wirft ihre Schatten voraus: die Nachfrage nach vermeintlich sicheren Staatsanleihen hat deutlich zugenommen. Die Kaufprogramme der EZB haben jedoch dazu geführt, dass Investoren dort nur noch wenig Rendite erwirtschaften oder sogar Verluste einfahren. Die Allianz spricht von einer Blase am Bondmarkt.
15.06.2016 02:11
Lesezeit: 3 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Erstmals müssen Investoren Geld dafür bezahlen, dass sie die zehnjährige deutsche Staatsanleihe in ihr Depot legen dürfen. Die Rendite des Papiers, das seit Anfang der 1960er Jahre regelmäßig ausgegeben wird, fiel am Dienstag unter die Null-Prozent-Marke – zeitweise auf minus 0,034 Prozent – weil die Nachfrage stark angestiegen war, berichtet Reuters.

Die hohe Nachfrage nach deutschen Staatsanleihen wird am Markt als Flucht in risikoärmere Formen der Geldanlage gedeutet – dabei nehmen Investoren offenbar gezielt Verluste in Kauf. „Anleger versuchen derzeit jegliches Risiko zu vermeiden“, sagt Chefvolkswirt Cyrus de la Rubia von der HSH Nordbank. „Es geht offenbar gerade nur noch um Verlustminimierung, nicht mehr um Gewinnmaximierung.“

Unter der lockeren Geldpolitik der EZB leiden vor allem die Versicherer. Sie haben Schwierigkeiten, wegen der niedrigen Leitzinsen an den Finanzmärkten, genügend Rendite für ihre Kunden zu erwirtschaften. „Der Rückgang der Rendite der zehnjährigen Bundes-Anleihe unter die Nulllinie markiert ein neues trauriges Kapitel in einem von der Geldpolitik verzerrten europäischen Anleihemarkt“, erklärte der Chefvolkswirt des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft, Klaus Wiener.

Der Versicherungskonzern Allianz geht davon aus, dass sich der deutsche Markt für Staatsanleihen mittlerweile in einer Blasenbildung befindet. Investitionschef Gruber sagte in einem Interview mit Bloomberg: „Langfristig gesehen haben wir ganz klar eine Blase im deutschen Anleihemarkt. Denn wenn man sich die Inflationsraten und Inflationserwartungen anschaut, sollte es eigentlich höhere Renditen geben. Hinzu kommt, dass die EZB mit ihrem Kaufprogramm eine hohe Nachfrage für europäische Staatsanleihen generiert und die Märkte verzerrt.“

Bei Anleihen mit kürzeren Laufzeiten sind negative Zinsen bereits Alltag: Die Investition in eine zweijährige Bundes-Anleihe ist seit Mitte 2014 ein Verlustgeschäft. Deutschland ist das zweite Land aus der Riege der sieben führenden Industrienationen (G7), dessen zehnjährige Titel unter null Prozent rentieren. Die vergleichbaren japanischen Anleihen befinden sich seit Anfang März in negativem Terrain. Auch die zehnjährigen Anleihen der Schweiz sind negativ. Rund 35 Prozent aller Staats-Schuldentitel der Eurozone seien inzwischen negativ, schätzt Robert Halver, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.

Andrew Bosomworth  vom Vermögensverwalter PIMCO weist auf die Chancen des derzeitigen Marktumfeldes bei Staatsanleihen hin: „Während sich negative Zinssätze am ehesten als unnatürlich beschreiben lassen und negativ rentierende Anleihen sicherlich keine überzeugende Anlageoption sind, werden weise Anleger ihre Aufmerksamkeit auf die Finanzgeschichte richten. Diese erinnert uns an John Maynard Keynes – ein brillanter Ökonom, der indes als Spekulant herbe Verluste erlitt –, der sagte: 'Der Markt kann länger irrational bleiben, als Sie solvent bleiben können.' Demnach sind wir nicht in Eile, diesen phänomenalen Bullenmarkt der weltweiten Staatsanleihen schon für beendet zu erklären. In der Tat sind gerade solche Strategien, die sich beispielsweise den Unterschied zwischen den Reposätzen für physische Anleihen und entsprechende Derivate – die sogenannte „Synthetic Cash-Futures Basis“ – zunutze machen, im aktuellen Niedrigzinsumfeld effektiver denn je. Und dies ist nur eines der Beispiele für das, was PIMCO als strukturelle Alpha-Strategien bezeichnet. Es gab nie einen besseren Zeitpunkt für ein aktives Management.“

Aus Aktien zogen sich die Anleger am Dienstag hingegen zurück – der Dax fuhr den fünften Tag in Folge Verluste ein. „Die gegenwärtigen Verkäufe an den Aktienmärkten spiegeln die Verunsicherung hinsichtlich der politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen eines Austritts Großbritanniens aus der EU (Brexit) wieder. Im Falle eines Brexit werden die Kapital- und Aktienmärkte noch einmal fallen, allerdings nicht dramatisch. Der Grund dafür ist, dass die Risiken am Aktienmarkt bereits teilweise eingepreist wurden und in den vergangenen Tagen bereits zu Verlusten geführt haben. Die Welt wird am 24. Juni auch deswegen nicht untergehen, weil ein möglicher Abnabelungsprozess Großbritanniens mindestens zwei Jahre dauern würde. Wirklich dramatisch wären jedoch die langfristigen politischen Folgen, weil die Tür für Austritte weiterer Länder und Regionen weit aufgestoßen worden wäre“, sagte Halver den Deutschen Wirtschafts Nachrichten.

Der Vermögensverwalter BlackRock erkennt in einem Ausscheiden Großbritanniens ein beträchtliches Risikopotential. „Ein Ausscheiden würde die globalen Märkte wahrscheinlich schocken. Wir glauben, dass risikoreiche Anlageformen inklusive Aktien und Anleihen darunter leiden würden. Sorgen bezüglich der politischen Instabilität und einer Umkehr des Globalisierungs-Trends würde zu höheren Risikoaufschlägen führen. Anlagen in Europas Peripherieländern und Aktien von Finanzinstituten und Rohstoffunternehmen wären wahrscheinlich am meisten betroffen.“

„Wenn die Ängste um den Brexit eskalieren, kann es mit der Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe noch weiter nach unten gehen“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Sein Kollege Folker Hellmeyer von der Bremer Landesbank rechnet aber nicht damit, dass die Renditen lange im negativen Bereich bleiben. „Im Moment kauft man aus politischen Risiken die Bundesanleihen, dahinter steckt kein rationales Handeln sondern eine hohe Emotionalität.“

Ausgelöst wurde der aktuelle Renditeverfall durch das Wertpapier-Ankaufprogramm der EZB. Diese kauft inzwischen für rund 80 Milliarden Euro monatlich Staatsanleihen. Seit Anfang Juni kauft sie zudem Anleihen von Großkonzernen am Kapitalmarkt auf. Damit treibt sie die Kurse der Bonds und drückt im Gegenzug die Renditen, worunter andere Marktteilnehmer leiden.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Experten-Webinar: Ist Bitcoin das neue Gold? – Chancen, Risiken und Perspektiven

Inflation, Staatsverschuldung, geopolitische Unsicherheiten: Viele Anleger fragen sich, wie sie ihr Vermögen in Zeiten wachsender...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Warren Buffett für Einsteiger: Was jeder von der Investoren-Legende lernen kann
03.06.2025

Warren Buffett zählt zu den einflussreichsten Investoren der Welt. Seine Entscheidungen, Strategien und sein Lebensstil haben weltweit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft OECD-Ausblick: Deutsche Wirtschaft auf dem Tiefpunkt – Trendwende 2025 möglich?
03.06.2025

Die deutsche Wirtschaft kommt wegen teurer Energie und dem Zollstreit mit US-Präsident Donald Trump auch in diesem Jahr nicht richtig vom...

DWN
Technologie
Technologie Google wirft die klassische Suche über Bord – das Ende der blauen Links
03.06.2025

Google krempelt seine Suche radikal um – KI ersetzt Linklisten, Gespräche ersetzen Klicks. Ist das der Anfang vom Ende des freien...

DWN
Politik
Politik Politische Zerreißprobe in Polen: Tusk stellt Vertrauensfrage nach Wahlschlappe
03.06.2025

Nach der Niederlage seines politischen Verbündeten Rafal Trzaskowski bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in Polen steht...

DWN
Politik
Politik Ultimatum statt Diplomatie: Moskaus Bedingungen für einen Friedensvertrag
03.06.2025

Russland hat nach tagelangen Forderungen nun sein Memorandum für eine Beendigung des Krieges in der Ukraine veröffentlicht. Im Grunde...

DWN
Technologie
Technologie Toyota hebt ab – Autobauer setzt auf Flugtaxi-Revolution in den USA
03.06.2025

Mitten in der Krise der deutschen Flugtaxi-Pioniere investiert Toyota hunderte Millionen in ein US-Start-up – und setzt auf eine Zukunft...

DWN
Politik
Politik Iran kurz vor der Atombombe – und der Westen schaut zu
03.06.2025

Trotz internationaler Warnungen treibt der Iran sein Atomprogramm unbeirrt voran – mit Uranmengen, die für den Bau mehrerer Bomben...

DWN
Politik
Politik Rechtsruck in Polen – schlechte Aussichten für Berlin?
02.06.2025

Polen hat einen neuen Präsidenten – und der Wahlausgang sorgt europaweit für Nervosität. Welche Folgen hat der Rechtsruck für Tusk,...