Deutschland

Früherer Auschwitz-Wachmann zu fünf Jahren Haft verurteilt

In dem mutmaßlich letzten Gerichtsprozess um Vergehen aus der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland ist das Urteil ergangen. Ein ehemaliger Wachmann des Konzentrationslagers Auschwitz muss für 5 Jahre ins Gefängnis. Der Angeklagte bleibt aber vorerst auf freiem Fuß.
17.06.2016 17:12
Lesezeit: 1 min

Schuldspruch in einem der mutmaßlich letzten NS-Prozesse in Deutschland: Das Detmolder Landgericht hat den ehemaligen Auschwitz-Wachmann Reinhold H. am Freitag zu fünf Jahren Haft wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen verurteilt, wie AFP meldet. „Mit ihrer Wachtätigkeit haben Sie für einen reibungslosen Ablauf der Vernichtungsmaschinerie gesorgt“, sagte die Vorsitzende Richterin Anke Grudda in ihrer Begründung.

„Eine angemessene Strafe gibt es nicht“, sagte Grudda in ihrer streckenweise emotionalen Urteilsbegründung. Staatsanwaltschaft und Vertreter der als Nebenkläger an den Verfahren teilnehmenden Auschwitz-Überlebenden lobten das Urteil als historisch. „Das Urteil ist sicherlich ein Meilenstein in der Aufarbeitung des NS-Unrechts in Deutschland“, sagte Oberstaatsanwalt Andreas Brendel. Es entspreche weitestgehend seiner Anklageschrift.

Die Verteidigung des 94-Jährigen kündigte an, vorsorglich Revision einlegen zu wollen, um sich rechtlich alle Möglichkeiten offenzuhalten. Über die Frage einer Inhaftierung wurde nicht entschieden. Sie wird geklärt, sofern das Urteil rechtskräftig werde sollte. Der Angeklagte blieb auf freiem Fuß.

„Das ist ein guter Tag für die deutsche Justiz“, sagte der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, nach dem Urteil bei einer Pressekonferenz mit den Nebenklägern. Die Auschwitz-Überlebende Erna de Vries betonte: „Immerhin, Herr H. hat seine Strafe gekriegt.“ Sie sei „zufrieden“. Andere Nebenkläger kritisierten das Verhalten von H. in dem Prozess. Er habe sich nicht ehrlich zu seinen Taten bekannt.

Die Richter sahen es nach viermonatiger Verhandlung als erwiesen an, dass H. als Angehöriger der SS-Wachmannschaft im größten aller deutschen Konzentrations- und Vernichtungslager von 1943 bis 1944 die grausame Ermordung von mindestens 170.000 Menschen unterstützt hatte. Er sei kein einfacher Wachmann gewesen, sondern zweimal befördert worden und habe als Unteroffizier zur „Kerntruppe“ gehört, sagte Richterin Grudda.

„Die Massenvernichtung von Kindern, Frauen und Männern im Konzentrationslager Auschwitz war ein unfassbares und einzigartiges Verbrechen“, ergänzte sie. „In Auschwitz durfte man nicht mitmachen.“ Trotzdem habe H. seinen Dienst verrichtet und die Strukturen des Lagers entscheidend gestützt. Es komme rechtlich nicht darauf an, ob er selbst getötet habe. Das sei ihm auch nicht nachgewiesen worden, betonte die Richterin.

Im riesigen Lagerkomplex von Auschwitz-Birkenau ermordeten NS-Täter zwischen 1940 und 1945 schätzungsweise 1,1 Millionen Menschen, darunter etwa eine Million Juden. Sie wurden meist direkt nach Ankunft im Lagerteil Birkenau in Gaskammern ermordet. H. hatte während des Verfahrens eingeräumt, als Wachmann in Auschwitz gewesen zu sein. Er bestritt, an Tötungshandlungen beteiligt gewesen zu sein.

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