Nach dem israelischen Historiker Tom Segev (hier) ergreifen nun auch Schweizer Schriftsteller Partei für Günter Grass: Der Schriftsteller Adolf Muschg schreibt in einem Beitrag für den "Sonntag", das er nicht verstehe, warum man sich nicht inhaltlich mit dem "ernstgemeinten Beitrag" von Grass beschäftige. Muschg sieht eine Menge "Selbstgefälligkeit", nicht nur bei Grass, sondern auch bei den Medien. Er analysiert dann sehr scharfsinnig die neue Rolle, die die Medien seit dem Fall Wulff in ihrem Selbstverständnis einnehmen: "Das deutet auch auf einen Generationenwechsel in den Redaktionen. Wer die Welt immer noch als Intellektueller sieht wie Graß – nämlich: als Verpflichtung zur moralischen Intervention – ist ein notorischer Schulmeister, der sich selbst maßlos überschätzt und besser vor der eigenen Tür kehren würde. Als Moraltrompeter ist er eine Figur von Vorgestern und bemächtigt sich einer Aufmerksamkeit, die er nicht verdient: so urteilt dieselbe Macht, die sie ihm verschafft hat. Und sie ist, in Sachen öffentlicher Kultur, spätestens seit der Affäre Wulff von der vierten im Staate zur ersten geworden."
Muschg fordert eine sachliche Auseinandersetzung mit Grass' Israel-Kritik und fragt: "Warum führt die Brandwarnung – selbst wenn sie unbegründet wäre – nicht weiter als bis zur Hinrichtung des Feuermelders?"
Andere Schweizer Autoren wie Klaus Merz und Lukas Bärfuss üben zwar auch Kritik am umstrittenen Gedicht, sehen Grass aber ebenfalls nicht als Antisemiten. Pedro Lenz schreibt: "Ich erkenne, selbst nach mehrmaliger und sorgfältiger Lektüre des Gedichts, keine antisemitischen Aussagen darin. Die politischen Ansichten in seinem Gedicht scheinen mir absolut nachvollziehbar und legitim."
Und der jüdische Schriftsteller Charles Lewinsky meint einem Bericht des "Sonntag" zufolge: "Wenn man den Begriff der Meinungsfreiheit ernst nimmt, dann darf man das natürlich. Auch wenn man Deutscher ist. Auch wenn man Grass heisst. Nein, als antisemitisch empfinde ich das 'Gedicht' nicht. Nur als peinlich realitätsfremd."