Politik

Bernd Lucke: „Der ESM wird zu einem großen Crash führen“

Lesezeit: 4 min
09.06.2012 00:21
Der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke glaubt, dass der Europäische Rettungsschirm ESM einen Crash in Europa verschärfen wird: Es gibt nur das Zuckerbrot der Schuldenübernahme und keine Peitsche in Form einer möglichen Staatsinsolvenz. Dies wird am Ende zu schweren Verwerfungen in Deutschland führen.
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Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Die EU hat nun den 9. Juli als Start-Termin für den ESM angegeben. Ist der permanente Rettungsschirm überhaupt noch zu verhindern?

Bernd Lucke: Dass der Bundestag den ESM ablehnen wird, ist in der Tat unwahrscheinlich, denn die Abgeordneten der Koalition bangen um ihre Wiederwahl und die SPD ist ja immer fürs Schuldenmachen zu haben. Aber die Auseinandersetzung über den ESM fängt ja mit dem Beschluss des Bundestages erst an. Der Bundestag wird den Kreditpaketen für Zypern, Spanien, Italien etc. jedesmal zustimmen müssen, wenn es soweit ist. Die argumentative Arbeit, die wir jetzt leisten, soll sich spätestens dann bemerkbar machen, wenn wir diese Länder auffangen sollen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Könnte es auch sein, dass der ESM zu spät kommt – oder sind viele panische politische Wortmeldungen in Europa jetzt vor allem dazu da, den ESM durchzupeitschen?

Bernd Lucke: Der ESM kommt ganz bestimmt nicht zu spät, denn es gibt ja noch bis 2013 den temporären Rettungsschirm EFSF. Da brennt also nichts an, wenn der ESM erst 2013 käme, so wie es ursprünglich geplant war. Aber der Punkt ist nicht zu früh oder zu spät. Der Punkt ist, dass der ESM, der doch der Beruhigung der Märkte dienen soll, logisch inkonsistent und deshalb zum Scheitern verurteilt ist. Denn einerseits erhöht man mit dem ESM die Schulden durch zusätzliche Kredite an überschuldete Staaten, andererseits schrumpft man deren Wirtschaften durch Anpassungsauflagen. Der fiskalische Stress für die Staaten wird also größer. Und das soll die Märkte beruhigen? Wenn die Auflagen scharf sind, steht immer im Raume, dass sie verfehlt werden, dass deshalb die nächste Tranche nicht gezahlt wird und ein Staatsbankrott folgt. Der ESM kann die Märkte also gar nicht beruhigen. Er kann nur die Schulden erhöhen und die Staaten in die Rezssion treiben.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In den USA wurde das TARP ganz bewusst zeitlich begrenzt. Wer profitiert am meisten von einem permanenten Rettungsschirm?

Bernd Lucke: Die einzige Gruppe, die eindeutig profitiert, sind die Altgläubiger der Staaten. Die können ihr gesamtes Risiko auf die Steuerzahler abwälzen. Im übrigen ist das mit der Permanenz des Rettungsschirms vermutlich eine Augenwischerei. Der ESM kauft ja zunächst mal nur Zeit. Wenn sich dann eines Tages herausstellt, dass summa summarum die Schuldenkrise noch viel schlimmer geworden ist und eine große Welle von Staatsinsolvenzen unvermeidbar ist, dann ist das der Exitus des ESM. Allerdings ein sehr teurer.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Insgesamt reicht der ESM bei weitem nicht. Europa braucht mindestens 2 Billionen Euro zu Rettung. Ist ein Crash unvermeidlich?

Bernd Lucke: Der Crash wird umso größer, je länger man die eigentliche Lösung des Problems hinausschiebt. Und diese Lösung heißt Entschuldung. Dafür braucht man eine geordnete Staatsinsolvenz mit einer angemessenen Auffanglösung für den europäischen Finanzsektor. Ist Ihnen aufgefallen, dass Frau Merkel vor zwei Jahren ein klares Bekenntnis zu einer Insolvenzordnung für Staaten abgelegt hat und dass nichts davon Eingang in den ESM gefunden hat? Dass auch kein Umschuldungsmechanismus im Vertragswerk vorgesehen ist, wie ihn die widerspenstigen Bundestagsabgeordneten der Koalition neulich gefordert haben? Womit will denn eigentlich Frau Merkel die Staaten disziplinieren, die zwar dankend die Hilfskredite einstreichen, aber die damit verbundenen Auflagen nicht erfüllen? Dass Frau Merkel keine ungeordnete Staatsinsolvenz will, ist ja bekannt, noch viel weniger dann, wenn wir unsere eigenen Hilfskredite dabei verlieren würden. Wenn der ESM in Kraft tritt, fehlt zum Zuckerbrot die Peitsche. Also wird man solange Zuckerbrot füttern, bis es wirklich gar nicht mehr geht, und das heißt, dass der Crash dann wirklich sehr groß wird.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Das Bundesverfassungsgericht dürfte den ESM eigentlich nicht zulassen – denn im Grunde muss Deutschland damit seine Haushalts-Hoheit aufgeben?

Bernd Lucke: Ich bin kein Jurist. Aber ich halte es in der Tat für problematisch, dass der Bundestag per Beschluss einen Teil seiner Haushaltshoheit auf eine Institution überträgt, die im Grundgesetz nicht vorgesehen ist. Er wirkt damit ja weit über die Legislaturperiode hinweg, für die er gewählt ist. Und da es kein Austrittsrecht aus dem ESM gibt, bindet er jedes zukünftige Parlament. Mit welchem Mandat eigentlich?

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Kann die Euro-Zone wirklich nur durch ein zentralistisches und demokratisch nicht legitimiertes Instrument wie den ESM gerettet werden?

Bernd Lucke: Nein, natürlich nicht. Das beste wäre es, wenn man zur strikten No-Bailout-Klausel zurückkehrte - denn die ist demokratisch legitimiert - und geeignete Maßnahmen vorbereiten würde, um die Finanzsysteme der EU gegen Staatsinsolvenzen wetterfest zu machen. Gemeinsam mit meinem Kollegen Harald Hau habe ich das ja mal vorgerechnet, dass eine zwangsweise Rekapitalisierung des Bankensektors sehr viel günstiger wäre als die gegenwärtige Politik es vermutlich sein wird.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Einmal weitergedacht: Der ESM kommt, das große Geld-Verteilen beginnt. Wie würde sich dieser Prozess konkret auf Deutschland auswirken?

Bernd Lucke: Zunächst würde Deutschland in absehbarer Zeit sein AAA-Rating verlieren. Dadurch müsste die öffentliche Hand höhere Zinsen zahlen. Aber das große Wehklagen wird kommen, wenn wir Verluste auf ESM-Forderungen realisieren müssen, weil sich die Insolvenz von Einzelstaaten nicht verhindern lässt. Dann werden wir die Steuern erhöhen und die Staatsverschuldung drastisch steigern müssen. Das werden Größenordnungen sein, die denen der Wiedervereinigung vergleichbar sind. Und Sie wissen ja, wie lange uns das zu schaffen gemacht hat – den Solidaritätszuschlag zahlen wir noch heute.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Ist es nicht so, dass wir im Grunde ein globales Schulden-Problem haben, welches mit exponentieller Geschwindigkeit wächst?

Bernd Lucke: Nein, so ist es nicht. Das Schuldenproblem ist im wesentlichen ein Problem der entwickelten Welt. Und auch da sind es beileibe nicht alle Staaten, deren Schuldenquoten unkontrolliert wachsen.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie selbst stehen an der Spitze einer Bürgerbewegung gegen den ESM – wie ist das Echo?

Bernd Lucke: Ja, ich bin Sprecher von Bündnis Bürgerwille. Wir sammeln elektronisch Unterschriften gegen die Rettungsschirmpolitik, aber für ein vereintes Europa und für demokratische Teilhabe des Volkes bei gesellschaftlichen Grundentscheidungen z. B. in Währungsfragen. Derzeit haben wir erfreulicherweise starken Zulauf.

Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Dennoch werden sich die Deutschen in den kommenden Wochen mehr mit der Fußball-EM beschäftigen als mit der Wirtschaft: Brot und Spiele?

Bernd Lucke: Jedem sei die Freude an der EM gegönnt. Aber ob die Rechnung der Regierung aufgeht, dass die EM vom ESM ablenkt, das glaube ich noch nicht. In den nächsten Wochen werden möglicherweise sehr aufregende Nachrichten aus Griechenland kommen. Und da wird sich auch der Durchschnittsbürger mal am Kopf kratzen und fragen, ob es sinnvoll war, den Griechen innerhalb von zwei Jahren 52 Mrd Euro an Steuermitteln hinterherzuwerfen. Das ist immerhin doppelt soviel wie die Gesamtausgaben des Bundeshaushalts für Gesundheit, Wissenschaft und Forschung.

Prof. Dr. Bernd Lucke ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Plenums der Ökonomen, einer Vereinigung von mehr als 300 Volkswirtschaftsprofessoren, die sich im Februar 2011 mit überwältigender Mehrheit gegen eine Verlängerung des EU-Rettungsschirms ausgesprochen hat.


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