In einem Interview mit der Welt hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ein bemerkenswertes Statement abgegeben. Die Zeitung fragt: „Fürs Protokoll: Sind die Spareinlagen in allen anderen Euro-Staaten sicher?“, antwortet Schäuble:
Die Spareinlagen sind in Deutschland und in allen europäischen Ländern sicher, weil die Vorstellung, dass irgendein europäisches Land zahlungsunfähig wird, unrealistisch ist. In Deutschland gibt es die Sicherungssysteme der Banken für den nirgendwo erkennbaren Fall, dass eine Bank ins Straucheln gerät, und in dem äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass diese Sicherungssysteme Probleme hätten, würde der Bundeshaushalt einspringen. Für Zypern gilt: Mit einem Hilfsprogramm, wie wir es vorgeschlagen haben, kann das Land vor der Insolvenz bewahrt werden. Dann greift auch die Einlagensicherung.
Damit räumt Schäuble erstmals ein, dass ein Zusammenhang zwischen den deutschen Spareinlagen und der Euro-Krise besteht.
Die Antwort ist deshalb so interessant, weil die Journalisten Schäuble gar nicht nach Deutschland gefragt haben. Schäuble hätte also ganz leicht antworten können: „Die Spareinlagen in Zypern, Italien etc. sind sicher…“
Stattdessen nimmt Schäuble Deutschland in die Antwort und sagt: Wenn „irgendein europäisches Land zahlungsunfähig wird“, dann sind die Spareinlagen „in Deutschland und in allen europäischen Ländern“ nicht mehr sicher. Schäuble hält diese Vorstellung für „unrealistisch“.
Das ist nicht sehr beruhigend, denn auch in der Zypern-Krise hat sich Schäuble offenbar in seiner Einschätzung geirrt.
Bei einer Pressekonferenz am 13. März 2013, also nur 3 Tage vor dem nächtlichen Zugriff auf die Bank-Konten in Zypern, berichtet Dow Jones von einer Aussage Schäubles auf einer Pressekonferenz:
„Zypern ist nicht in akuten Liquiditätsproblemen“, sagte Schäuble bei einer Pressekonferenz. Er verwies darauf, dass der Bankensektor im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung des Inselstaates überdimensioniert sei. „Die Lösung muss in diesem zu hohe Exposure des Bankensektors gesucht werden“, verlangte er.
Im Heute-Journal des ZDF sagte Schäuble am 19. März 2013:
Schäuble...sagte, die beiden größten Banken Zyperns seien insolvent, haben „seit Herbst 2011 keinen Zugang zu den Märkten mehr“ und seien nur mit Not-Liquidität von der EZB am Leben erhalten worden.
Innerhalb nur einer Woche wandelte sich Schäubles Sicht der Dinge in Zypern ins glatte Gegenteil: Von „keine Liquiditäts-Probleme“ bis „seit Herbst 2011 insolvent“.
Man muss also sehr vorsichtig sein, wenn Wolfgang Schäuble bestimmte Dinge für „unrealistisch“ oder „unwahrscheinlich“ hält. Das kann in eine Woche schon ganz anders aussehen.
Auch die Begründung, die Schäuble nun für die Sicherheit der deutschen Spareinlagen liefert, ist nur bedingt geeignet, den Bürgern Vertrauen einzuflößen.
Die „Sicherungssystem der Banken“ existieren nur in dem Sinn, dass der deutsche Steuerzahler nach dem Gesetz des „too big to fail“ Banken rettet, wenn sie nicht mehr weiter zocken können. Der „nirgendwo erkennbare Fall, dass eine Bank ins Straucheln gerät“ erinnert sehr an den Fall der belgischen Dexia-Bank: Sie war mit großem Pomp im Stresstest der Europäischen Bankenaufsicht als eine der Top-Ten sichersten Banken Europas bewertet worden, um wenige Monate später von den französischen und belgischen Steuerzahlern gerettet werden zu müssen.
Die Einlagensicherung bei den deutschen Banken existiert tatsächlich. Sie hat jedoch, wie aus ihrem Statut hervorgeht, keine Bedeutung. Denn: Ein Rechtsanspruch auf die Einlagen besteht nicht. Das Geld auf der Bank ist kein von den Eigentumsrechten der zivilen Gesellschaften geschütztes Gut. Es ist ein Versprechen, dass die Bank das Geld, das man ihr gegeben hat, auf Verlangen wieder an den Eigentümer zurückgeben werde.
Freilich können außergewöhnliche Umstände dazu führen, dass die Bank dieses Versprechen nicht einlösen kann.
Im Falle von Kapitalverkehrs-Kontrollen wie jetzt in Zypern heißt dies: Jede Maßnahme, die die Zentralbank oder eine andere Bank zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit für notwenig erachtet, kann ergriffen werden, um die Auszahlung der Bankguthaben zu blockieren (mehr Details - hier).
Aber Schäuble ist nicht naiv, er weiß, dass es möglich ist, „dass diese Sicherungssysteme Probleme“ haben könnten. Der Fall ist für ihn „äußerst unwahrscheinlich“. Aber wenn es kracht, „würde der Bundeshaushalt einspringen“: Hier erweckt Schäuble den Eindruck, als wäre „der Bundeshaushalt“ ein Fonds, der von den Ölscheichs aus Saudi-Arabien und der UNICEF gespeist wird – eingesetzt, um den Deutschen zu helfen.
„Der Bundeshaushalt“ ist nichts anderes als die Gelder der deutschen Steuerzahler. Schäuble verspricht also mit dem ihm eigenen messerscharfen Intellekt: Wenn die Sparguthaben der Deutschen in Gefahr geraten, werden wir sie mit den Steuergeldern der Deutschen retten.
Wolfgang Schäuble weiß genau, was er sagt und was er tut. Solche Interviews werden vorher schriftlich autorisiert. Da gibt es keinen Versprecher oder Irrtum.
Schäuble, dessen Master-Plan eine Euro-Zone nach dem Vorbild der deutschen Wiedervereinigung ist, bereitet die Deutschen auf den Ernstfall vor (über das damit zusammenhängende Ende der nationalstaatlichen Souveränität siehe das Video am Anfang des Artikels).
Schäuble verfährt dabei nach der Juncker-Methode: Der luxemburgische Regierungschef Jean-Claude Juncker hatte bereits 1999 erklärt, wie die EU-Politik ihre Umwandlung Europas in einen „europäischen Bundesstaat“ (Der Spiegel) betreibt:
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.“
Juncker teilt mit Schäuble eine große Vision der EU. Der Spiegel schrieb 1999:
Der Bundesstaat Europa wird sogar eine Art Multikulti-Staatsvolk aufweisen. Hielten die Leute 2002 erst einmal die Banknoten und Münzen des Euro in den Händen, sagt Luxemburgs Juncker voraus, „dann bildet sich bald ein neues Wir-Gefühl: wir Europäer“.
Das „Wir-Gefühl“ in Europa stellt sich, zehn Jahre nach der Einführung des Euro, tatsächlich ein: „Wir stehen am Abgrund“, diese Erkenntnis beherrscht das Denken der Bürger im „Multikulti-Staatsvolk“ tatsächlich - von Tampere bis Messina, von Bukarest bis Dublin, von Aachen bis Maastricht.
Die Erkenntnis, dass alle europäischen Bank- und Sparguthaben vor der Gesetzes- und Rechtlosigkeit der EU gleich sind, wird dieses Wir-Gefühl mit Sicherheit weiter vertiefen.