Eine aktuelle Studie zeigt: Die Kluft zwischen den Deutschen und ihren Politikern ist tief.
Wenn es um die Euro-Krise geht, trauen die Deutschen den Politikern nicht über den Weg.
Sie sind erstaunlich resistent gegen die teilweise massive Propaganda.
91 Prozent der Deutschen glauben, dass sie die Auswirkungen der Euro-Krise noch lange beschäftigen wird. Nur 17 Prozent denken, Europa sei über den Berg. Das sind die Ergebnisse einer Langzeit-Studie, die von der Universität Hohenheim und der ING-DiBA durchgeführt wird.
Jeder zweite Deutsche glaubt, dass die Euro-Krise negative Auswirkungen auf den Wohlstand haben werde. 80 Prozent sind sich sicher, dass sie die Kluft zwischen Reich und Arm verschärfen werde. Vier von zehn Deutschen sind der Meinung, dass der Zusammenhalt der Bürger im Land unter den wirtschaftlichen Umständen leiden werde.
Nur einer von zehn Deutschen glaubt, dass die Politiker die Wahrheit sagen, wenn es um die Krise geht. Für die große Mehrheit sind die Aussagen der Politiker unverständlich.
Die Zusammenfassung der Studie im Detail:
Eurokrise interessiert doppelt so viele Bürger wie Arbeitslosigkeit
Was beschäftigt die Menschen derzeit am meisten, wenn von der Wirtschaft die Rede ist? Auch wenn im Wahlkampf die Eurokrise wie wegretouchiert erscheint, interessiert sie die Bürger am meisten. Wenn man die Menschen nach den Themen oder Ereignissen in der Berichterstattung über Wirtschaft fragt, ist die Eurokrise derzeit doppelt so wichtig wie die Frage des Arbeits- platzes, der drohenden Arbeitslosigkeit oder Entwicklungen am Arbeits- markt. Genauso wollen die Menschen wissen, ob ihr Geld stabil ist und wie es mit dem Euro weiter geht. Ob und wie die Bankenkontrolle gelingt sowie Fragen der Finanzmarktregulierung sind für viele Bürger fast genauso bedeutsam wie die Energiepreise und Auswirkungen der Energiewende. Dies sind Ergebnisse des ING-DiBa Wirtschaftskompass, einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage des Fachgebiets für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim (Stuttgart) und der ING-DiBa AG (Frankfurt).
Euro- und Verschuldungskrise – für die Bürger das zentrale Wirtschaftsthema
Massenentlassungen wegen der Verlegung von Produktionsstandorten in Billiglohnländer, Führungswechsel in Unternehmen oder Mindestlohn-Debatte – viele Themen aus dem Bereich Wirtschaft treiben die Bürger um. Fragt man die Menschen aber offen, also ohne Antwortvorgaben, für welches Thema in der Wirtschaftsberichterstattung sie sich dabei am meisten interessieren, fällt ihr Votum eindeutig aus: Die Euro- und Verschuldungskrise steht für 14 Prozent der repräsentativ befragten Deutschen mit Abstand ganz oben auf ihrer Agenda (vgl. Abb. 1). Hinzu kommen Themen, die mit der Eurokrise eng zusammenhängen: 7 Prozent der Menschen interessieren sich für den Euro, dessen Stabilität und währungspolitische Fragen. Die seit der Lehman-Insolvenz diskutierte Frage, wie Banken und Finanzmärkte kontrolliert und reguliert werden sollen, beschäftigt 6 Prozent der Befragten.
Professorin Claudia Mast sagt: „Wenn die Politiker weiterhin die Eurokrise und die Auswirkungen für Deutschland aus dem Wahlkampf heraushalten, laufen sie Gefahr, dass sich immer weniger Bürger mit ihren Ängsten und Sorgen von den Abgeordneten und Parteien vertreten fühlen. Diese Menschen verlieren dann die Lust, wählen zu gehen. Für die befragten Bürger spielt zur Zeit vor allem die Problematik rund um die angeschlagene Währung, die maroden Staatskassen und die Regulierung des Finanzsektors eine zentrale Rolle, wenn es um Wirtschaft geht.“
Eurokrise spaltet die Gesellschaft und wird zum sozialen Problem
Obwohl die Eurokrise häufig als komplex und schwer durchschaubar bezeichnet wird – die befragten Bürger haben klare Vorstellungen, was das Phänomen für sie bedeutet und wie sie die beteiligten Akteure – Politiker, Unternehmen und Medien
– einschätzen. Nahezu alle Menschen (91 %) in Deutschland fühlen, dass sie die Eurokrise noch lange beschäftigen wird (vgl. Abb. 2). Allerdings spüren sie auch, dass sich durch die Auswirkungen der Krise die sozialen Unterschiede in Deutschland vergrößern werden (82 %) und der Zusammenhalt der Bürger im Lande (40 %) gefährdet ist.
Eines ist klar: Die Eurokrise wird von den Bürgern aktuell vor allem als soziales Problem wahrgenommen. Schnell wächst z. B. die Angst vor Altersarmut durch die andauernde Niedrigzinspolitik. Etwa knapp jeder zweite Deutsche (49 %) befürchtet negative Auswirkungen der Krise auf den Wohlstand, wenngleich fast jeder Vierte (23 %) Angst hat, dass die Auswirkungen der Krise seinen persönlichen Lebensstandard und den seiner Familie bedrohen. Der Blick der Bürger richtet sich aktuell stärker auf soziale und moralische Auswirkungen der Krise. Eine weit verbreitete und ernstzunehmende Sorge der Menschen ist, dass der Umgang mit der Eurokrise letztlich die Werte gefährdet, die unsere Gesellschaft zusammenhalten (54 %), z. B. die Verlässlichkeit von Regeln, die für alle gelten und eingehalten werden.
Dabei schätzen die befragten Bürger die Auswirkungen der Krise durchaus realistisch ein. 43 Prozent machen sich Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und jeder Dritte (31 %) befürchtet, dass die Demokratie in Deutschland durch die intransparenten Prozesse des politischen Krisenmanagements, aber auch der EU-Politik, Schaden nehmen könnte. Dass die Krise – wie einige Politiker Glauben machen wollen – ihren Höhepunkt bereits überschritten hat, denken nur gerade einmal 17 Prozent. Professorin Claudia Mast sagt: „Wer den Bürger in seinen Interessen und Sorgen bei der Eurokrise unterschätzt, hat schon verloren. Die Eurokrise als Megathema überlagert alle anderen Themen der Wirtschaft.“
Eurokrise: Schlechte Noten für die Kommunikation mit den Bürgern
Wie schätzen die Bürger die öffentliche Kommunikation über die Eurokrise ein? Die schlechtesten Noten bekommen zur Zeit die Politiker, die bei diesem Thema – obwohl als Volksvertreter für die Kommunikation mit den Bürgern in erster Linie eigentlich „zuständig“ – weit abgeschlagen sind im Vergleich zu den Unternehmen und den Journalisten. Selbst wenn es darum geht, ob sie sich für die Interessen der Bürger in der Eurokrise einsetzen, erhalten sie schlechte Noten. Nur 29 Prozent der Bürger glauben, dass Politiker ihrer Aufgabe als Volksvertreter nachkommen – Note „ungenügend“ (vgl. Abb. 3). Dass Journalisten fast von der Hälfte der Bürger (46 %) als Vertreter ihrer Interessen wahrgenommen werden – und damit deutlich mehr als die gewählten Politiker –, ist ein alarmierender Befund.
Wenn es um die Wahrheit in der Kommunikation über die Krise geht, glaubt nur jeder Zehnte (11 %) der befragten Bürger den Politikern. Hier schneiden die Unternehmen, die durchaus interessengeleitet kommunizieren, mit 39 Prozent weit besser ab und die besten Noten bekommen die Medien (46 %). Nicht einmal bei der Verständlichkeit können die Politiker punkten. Weniger als ein Fünftel der Bevölkerung (18 %) ist der Überzeugung, dass sich die Politiker verständlich ausdrücken, wenn sie über die Krise reden. Zu sehr sind sie offensichtlich in ihrer politischen PR-Rhetorik gefangen, dass ihnen trotz zahlreicher Medienauftritte die politische Überzeugung nicht gelingt. Auch in diesem Punkt werden Unternehmensinformationen (33 %) und vor allem die Medienberichterstattung (57 %) deutlich besser bewertet.
Gleiches gilt bei der Frage, ob die Menschen den Akteuren glauben, dass sie ihnen alles Wichtige über die Krise sagen. Hier liegen die Journalisten klar an der Spitze, denn 60 Prozent der Bürger meinen, dass sie in der Eurokrise die relevanten Themen aufgreifen, wohingegen die Kommunikation der Politiker auch in diesem Punkt offensichtlich versagt. Nur 16 Prozent der Bürger sind mit den Inhalten der politischen Kommunikation zufrieden.
84 Prozent der befragten Bürger dagegen sind überzeugt, die Politiker sagen nicht alles Wichtige bei der Eurokrise, jedenfalls nicht die Wahrheit (89 %) und dies auch noch unverständlich (82 %). Zudem glauben 71 Prozent der Menschen nicht, dass die politischen Volksvertreter sich für ihre Interessen als Bürger einsetzen – schlechte Noten für die politische Kommunikation mit den Bürgern in einem Anliegen, das diese derzeit als wichtigstes Thema in der Berichterstattung über Wirtschaft einstufen.