Politik

„Abends verlässt keiner das Haus“: Ukrainische Juden wollen emigrieren

Lesezeit: 2 min
09.06.2014 00:41
Die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung erwägt offenbar, die Ukraine zu verlassen und nach Israel auszuwandern. Sie flüchten vor der eskalierenden Gewalt und vor antisemitischen Übergriffen. Die geplante Evakuierung wird durch Indiskretionen und Dilettantismus erschwert.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Die Anzahl der ukrainischen Juden, die aufgrund der Krise nach Israel auswandern, steigt stetig an. Denn trotz des schlechten Abschneidens der rechtsextremen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen, bleibt die Lage für jüdische Bürger dort angespannt. Offenbar gibt es sogar Pläne seitens der israelischen Regierung, Teile der jüdischen Bevölkerung nach Israel zu evakuieren.

Bei den Wahlen Ende Mai erreichten sowohl der Kandidat des ultra-nationalistischen Rechten Sektors, Dimitri Jarosch, als auch der Chef der rechtsextremen Swoboda-Partei, Oleg Tiahnibok, nur jeweils ein Prozent der Stimmen. Dennoch gaben rund 70 Prozent der dort lebenden Juden in Umfragen an, ernsthaft über eine Auswanderung nach Israel nachzudenken. Nach Angaben der Jewish Agency leben etwa 200.000 Juden in der Ukraine.

„Wir haben hier Hunger und Kriege durchgestanden, aber in all den Jahren habe ich nicht so viel über Auswanderung gehört wie jetzt“, sagte Rabbi Wolff zu Israel Heute.

Die rechtsextreme Swoboda-Partei gehört zu den Profiteuren des Umsturzes in Kiew. Aktuell stellen die Rechten um Partei-Chef Oleg Tiahnibok die Minister für Wirtschaft, Landwirtschaft und Bildung (mehr hier). Swoboda-Chef Tiahnibok saß bereits im Parlament, wurde aber 2004 hinausgeschmissen, weil er in mehreren Reden gegen Russen und Juden hetzte. Er fordert unter anderem die Einführung der Kategorie „Ethnie“ in ukrainischen Pässen. Seine Partei verehrt Stephan Bandera, der im zweiten Weltkrieg mit den Nazis kollaborierte und als Partisane gegen Russland kämpfte.

„Es ist unglaublich, was hier los ist. Die Wirtschaft funktioniert schon seit Monaten nicht mehr, und das Gefühl von Sicherheit ist absolut verschwunden. Odessa ist Kriegsschauplatz geworden. Abends verlässt keiner die Wohnung, es ist wie eine Geisterstadt. Wir mussten das Sicherheitspersonal an jüdischen Einrichtungen und Geschäften verstärken“, zitiert Israel Heute Rabbi Avraham Wolff. Er ist Ober-Rabbiner für Odessa und die Südukraine.

Bereits im Februar schlugen ortsansässige Rabbiner Alarm. Mosche Moskowitz, der Rabbiner von Charkiw, berichtete damals schon von verstärkter Abwanderung und verwies auf verbreiteten Antisemitismus unter den Anhängern von Julia Timoschenko.

Auch der Rabbiner von Kiew, Mosche Reuven Azman, warnte vor zunehmenden Übergriffen auf Juden. Er rief seine Mitglieder damals auf, das Land wenn möglich zu verlassen und bezog sich dabei auf eine Empfehlung der israelischen Botschaft in der Ukraine, wie die die Nachrichtenagentur Jewish Telegraphic Agency berichtet.

Nachdem zwei Brandanschläge auf Synagogen in Kiew verübt sowie mehrere orthodoxe Juden angegriffen wurden, formierte sich dort sogar eine jüdische Bürgermiliz (hier).

Anscheinend existierten bereits Pläne seitens der israelischen Regierung, Teile der jüdischen Bevölkerung nach Israel zu evakuieren. Doch nachdem die Pläne von ukrainischen Medien veröffentlicht wurden, mussten sie wieder verworfen werden, berichtet die Badische Zeitung und bezieht sich auf das Außenministerium in Jerusalem.

Der israelische Botschafter in der Ukraine, Reuven Din El, befürchtet nun offenbar sogar eine Gefährdung der ukrainischen Juden, weil die Pläne zur Evakuierung veröffentlicht wurden. Die Organisation Jewish Agency hatte zuvor eine öffentliche Hotline eingerichtet, die Juden bei ihrer Ausreise nach Israel unterstützen sollte. Diese Indiskretionen bezeichnete der Botschafter als „schädlich und gefährlich – politisch, mit Blick auf die Operationen und für unser Image“, wie die Nachrichtenagentur Jewish Telegraphic Agency berichtet.


Mehr zum Thema:  

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutsche Bahn Infrastruktur: Rekordinvestitionen von 17 Milliarden Euro in 2024
02.01.2025

Die Deutsche Bahn investiert 2024 knapp 17 Milliarden Euro in ihre Infrastruktur – ein Rekord. Mit erneuerten Gleisen, modernisierten...

DWN
Politik
Politik US-Industriepolitik: Warum Biden und Trump unterschiedliche Wege zur Industrieankurbelung wählen
02.01.2025

Die US-Industriepolitik steht im Fokus der wirtschaftlichen Debatten zwischen Trump und Biden. Während die Biden-Regierung mit...

DWN
Politik
Politik Russland stoppt Gaslieferungen: Moldau unter Druck, Rumänien hilft aus
02.01.2025

Russland setzt Moldau mit einem Gaslieferstopp unter Druck. Vor allem Transnistrien, die prorussische Separatistenregion, spürt die Folgen...

DWN
Politik
Politik Estlink 2: Kabelschäden ohne Folgen für Anschluss an EU-Stromnetz
02.01.2025

Estlink 2: Der Ausfall des Unterseekabels sorgt für Unsicherheit in den baltischen Staaten. Dennoch bleibt die litauische Regierung...

DWN
Finanzen
Finanzen Strompreise 2025: Wie sich Kosten durch Netzentgelte und Umlagen entwickeln
02.01.2025

Strompreise 2025 bleiben ein heißes Thema: Verbraucher:innen erwarten steigende Kosten durch höhere Netzentgelte und CO2-Preise. Doch...

DWN
Politik
Politik CSU verschärft Ton in der Migrationspolitik
02.01.2025

Zur CSU-Winterklausur gehören traditionell lautstarke Forderungen an die Bundesregierung. Dieses Mal hofft die Partei, viele davon nach...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis anno 2025: Konflikte und Verschuldungen bleiben die Hauptsorgen der Anleger
02.01.2025

Die Gold-Verwalter von BullionVault in London haben mal wieder seine Kunden befragt, warum sie in Gold und Edelmetalle investieren....

DWN
Panorama
Panorama New Orleans und ein explodierter Cybertruck vor Trumps Hotel: Gibt es einen Zusammenhang?
02.01.2025

Mit voller Absicht soll der Attentäter in die Menge gerast sein und 15 Menschen getötet haben. Das FBI geht von einem Terroranschlag aus,...