Politik

Tausende Katalonier protestieren gegen Aussetzung des Referendums

Das Verbot des Referendums über die Unabhängigkeit Kataloniens am 9. November hat in der Region zehntausende Protestierende auf die Straße getrieben. Regionalpräsident Artur Mas nannte die spanische Regierung „feindselig“ und kritisiert das Verfassungsgericht, das den Regierungs-Geheiß „mit Überschallgeschwindigkeit“ erfüllte.
01.10.2014 00:20
Lesezeit: 2 min

Am Dienstag demonstrierten Zehntausende in ganz Katalonien gegen das richterliche Verbot des für den 9. November geplanten Unabhängigkeits-Referendums. Sie forderten „Disobem“ (Ungehorsam), trugen Wahlurnen vor sich her und skandierten, dass sie kein Tribunal stoppen könne, wie El País berichtet.

Das Gericht hatte nach einer Verfassungsklage der Regierung gegen das Referendum eine Dringlichkeitssitzung einberufen. Die Richter waren sich zunächst uneinig, verboten jedoch bis zu einer endgültigen Entscheidung jegliche Vorbereitungen für die Abstimmung.

Auf den Straßen Barcelonas hatten sich nach einem Protestaufruf der Bürgerinitiative Asemblea Nacional Catalana noch am Abend der Entscheidung erste Protestgruppen formiert. Auch via Twitter wurde das Verbot trotzig kommentiert: „Wenn am 9. November keine Urnen bereitstehen, dann gehen wir eben wieder auf die Straße!“, schrieben User unter dem Hashtag #catalunadecide.

Der katalonische Regionalpräsident Arturo Mas hat die Entscheidung scharf kritisiert. Er bezeichnete die spanische Regierung als „feindselig“. Mas kritisiert auch das spanische Verfassungsgericht, das auf Regierungs-Geheiß „mit Überschallgeschwindigkeit“ eine Notsitzung einberufen hat, um die Volksabstimmung per Gerichtsbeschluss zu stoppen.

Der Sprecher der katalonischen Unabhängigkeitsbewegung Francesc Homs hat  angekündigt, die offiziellen Vorbereitungen für das Referendum vorläufig abzusagen. Dies sei allerdings als „vorübergehende Vorsichtsmaßnahme“ zu verstehen. Man wolle die Mitarbeiter in der Verwaltung nicht durch eine Missachtung der gerichtlichen Anordnung gefährden. Homs betonte, trotz der zeitlichen Aussetzung werde nichts angehalten, sondern lediglich verschoben. „Das Spiel ist nicht zu Ende“, sagte Homs nach dem Urteil und forderte die „sofortige Aufhebung“ der gerichtlich angeordneten Aussetzung.

Das spanische Verfassungsgericht reagiert nicht zum ersten Mal umgehend auf die Wünsche der Politik: Zuletzt hatte das Gericht nach dem Rücktritt des spanischen Königs Jun Carlos innerhalb weniger Tage eine Verfassungsänderung durchgewunken, die die Nachfolge des Monarchen rechtlich absicherte. Damals waren breite Proteste der Bevölkerung gegen die Monarchie der Anlass für die Eile der Juristen.

In den vergangenen Wochen gingen in Barcelona Millionen Katalonier auf die Straße, um für eine Abstimmung über die Unabhängigkeit ihrer Region zu demonstrieren.

Spanische Medien halten das Verbot der Abstimmung für gefährlich. Aktivistin Esther Vivas schreibt in einem Kommentar für Publico, Mas habe das Dekret für die Abstimmung erst unterzeichnet, als die beiden großen spanischen Parteien das Referendum als „Bruch der Gesellschaft“ verurteilten. „Ich frage mich aber was eine Gesellschaft mehr zerreißt: Eine Meinung frei in einer Abstimmung äußern zu können - oder diese Abstimmung zu verbieten. Echte Demokratie besteht darin, den Bürgern eine Wahl zu geben.“ Eine Online-Umfrage der Zeitung zeigte auch die Präferenzen der Bevölkerung für einen möglichen Plan B: Auf die Frage, was der nächste Schritt nach dem Verbot sein sollte, antworteten 65 Prozent der Befragten: Neuwahlen.

Die spanische Zeitung ABC hält ein Verbot für die „richtige Antwort auf die Intrigen“. Sie vertritt die Meinung Rajoys, nach dem Volksabstimmungen „Sache des Staates“ seien und keine regionale Behörde das Recht habe, Volksabstimmungen durchzuführen „über Angelegenheiten, die nur das spanische Volk entscheiden kann, bei dem laut Verfassung alle nationale Souveränität liegt.“

Eine Argumentation, die die Zeitung El País kritisiert. Gemessen an Camerons Umgang mit Schottland solle Rajoy sich lieber anstrengen, die Katalonen von Spanien zu überzeugen, statt ihnen die Unabhängigkeit zu verbieten. „Den 55 Millionen Briten würde nicht einfallen zu glauben, dass sie die Angelegenheiten für die 5 Millionen Schotten zu entscheiden hätten. Cameron kennt und respektiert die Existenz der schottischen Nation und versteht, dass niemand sie zwingen kann im Vereinten Königreich zubleiben, wenn sie nicht will.“  Ähnlich argumentiert die portugiesische Diario de Noticias: „Es ist notwendig die Gründe hinter dem Wunsch nach Unabhängigkeit zu verstehen. Und es ist notwendig, Europa vor der Zerstückelung zu bewahren, indem man die kulturelle Identität autonomer Regionen respektiert. Großbritannien hat das verstanden, wird Spanien es auch verstehen?“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Misserfolg bei Putins Wirtschaftsforum in St. Petersburg: Die marode Kriegswirtschaft interessiert kaum jemanden
23.06.2025

Das Wirtschaftsforum in St. Petersburg sollte Russlands wirtschaftliche Stärke demonstrieren. Stattdessen offenbarte es die dramatische...

DWN
Politik
Politik Zwangslizenzen: EU hebelt den Patentschutz im Namen der Sicherheit aus
23.06.2025

Die EU will künftig zentral über die Vergabe von Zwangslizenzen entscheiden – ein tiefer Eingriff in das Patentrecht, der die...

DWN
Technologie
Technologie Umfrage: Zwei Drittel für europäischen Atom-Schutzschirm
23.06.2025

Eine Forsa-Umfrage zeigt, dass eine deutliche Mehrheit der Deutschen den Aufbau eines europäischen nuklearen Schutzschildes befürworten....

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Internationale Anleger kehren der Wall Street den Rücken
23.06.2025

Ölpreise steigen, geopolitische Risiken nehmen zu – und Europas Aktienmärkte wirken plötzlich attraktiv. Während die US-Börsen ins...

DWN
Politik
Politik Personalmangel im öffentlichen Dienst - DGB fordert mehr Personal
23.06.2025

Milliardeninvestitionen sollen in Deutschland die Konjunktur ankurbeln. Doch Personalmangel in Behörden könnte den ehrgeizigen Plänen...

DWN
Politik
Politik Iran-Israel-Krieg: Internet überflutet mit Desinformation
23.06.2025

Falsche Videos, manipulierte Bilder, inszenierte Explosionen: Der Konflikt zwischen Iran und Israel spielt sich längst auch im Netz ab –...

DWN
Politik
Politik Aus Angst vor Trump: China lässt den Iran im Stich
23.06.2025

Chinas harsche Kritik an den US-Angriffen auf Iran täuscht über Pekings wahres Kalkül hinweg. Im Hintergrund geht es um knallharte...

DWN
Politik
Politik US-Angriff auf den Iran: Die Märkte bleiben erstaunlich ruhig
23.06.2025

Trotz der Angriffe auf iranische Atomanlagen bleiben die globalen Märkte ruhig. Doch die Straße von Hormus bleibt ein geopolitischer...