Politik

Trauermarsch der Staatschefs in Paris war Inszenierung auf Nebenstraße

Beim Gedenkmarsch in Paris sind die Staats- und Regierungschefs nicht an der Spitze des Volkes marschiert. Sie zogen isoliert und streng bewacht durch eine Nebenstraße. Die Inszenierung zeigt sinnbildlich den Graben zwischen den politischen Eliten und den Bürgern. Eine moderne Politik sollte auf solche Kunst-Veranstaltungen verzichten - nicht zuletzt, um ihre Glaubwürdigkeit nicht noch weiter zu gefährden.
13.01.2015 12:19
Lesezeit: 2 min

[youtu.be] Bilder gingen um die Welt: Über eine Millionen Menschen setzten bei einem Marsch durch Paris am Sonntag ein eindrucksvollen Zeichen der Solidarität mit den Opfern der Terroranschläge. An der Spitze der Bewegung waren auf allen TV-Kanälen die Regierungschefs Europas zu sehen. Praktisch jedes Nachrichtenmedium berichtete über den Gedenkmarsch, der die Bürger und die ihre Politiker als Einheit zeigten - vereint im Schmerz und im Abscheu über die Morde der Killer von Charlie Hebdo und eines jüdischen Supermarktes.

Die Einheit war jedoch, wie sich nun herausstellt, eine optische Täuschung: Denn die Politiker marschierten nicht an der Spitze des Volkes, sondern in einer abgesperrten Seitenstraße um die Place Léon Blum. Das „Volk“ hinter den Politikern waren nicht die Pariser Bürger, sondern Sicherheitskräfte. Die Straße hinter der kleinen Gruppe der Politiker blieb leer.  Die Aufnahmen spielen in der Nähe der Metro-Station Voltaire, bestätigt auch Le Monde.

Das Video über dem Artikel zeigt die Inszenierung in voller Länge. Das Video stammt ironischerweise vom russischen Staatssender RT, scheint aber im Hinblick auf die Szenen mit den Politikern ausschließlich aus französischen Bildmaterial zu bestehen. Ob es sich dabei um das offizielle Bild-Material des Elysée-Palast handelt, konnten wir noch nicht verifizieren.

Die entscheidenden Bilder vom Marsch in der Seitenstraße bei 2:00:00 und enden etwa bei 2:33:05. Man kann sehen, wie die Politiker nach einer Liste aufgestellt werden. Danach marschieren sie los. In der Straße herrscht gespenstische Stille. Am Ende verabschiedet Francois Hollande die Kollegen, geht auf einen - ebenfalls abgesperrten - Platz, und schüttelt einigen Leuten die Hände. Die Politiker, eben noch betroffen Arm in Arm, stiegen in ihre Limousinen und fahren nach Hause.  Mit den Menschenmassen kamen die Regierungschefs zu keiner Sekunde in Berührung. Der Independent berichtet zuerst von der Inszenierung. Auch der Spiegel greift das Thema auf und berichtet.  Der FT-Korrespondenten Borzou Daragahi twittert:

 

Der US-Politologe und Uni-Professor Ian Bremmer twittert:

Eine solche Inszenierung schafft mehrere Probleme: Sie nährt echte Verschwörungstheorien, in denen behauptet wird, die ganze politische Welt sei ein Fake. Die Inszenierung wird das Vorurteil nähren, dass die Medien nicht „die Wahrheit“ erzählen. Jeder kann verstehen, dass Politiker nicht in einer Menschen-Masse untertauchen können. Aber man muss es den Lesern und Zusehern mitteilen.

Hier stellt sich das zweite Problem: Die meisten Medien - so auch die DWN - waren bei der Veranstaltung nicht live dabei. Sie bedienen sich, wie wir auch, der Nachrichtenagenturen. Wir beziehen unser Bild-Material von dpa. Die dpa arbeitet im Bild-Bereich sehr sorgfältig. So wurde unter das Foto eines der mutmaßlichen Täter ausdrücklich ein Warnhinweis gestellt: Die dpa könne nicht für die Echtheit des Videos einstehen. Unter den Fotos des Marsches hätte dann jedoch auch der präzise Hinweis stehen müssen, dass sich die Staatschefs in einer Nebenstraße versammelt hatten. Das geschah nicht durchgängig: Einmal hieß es, zutreffend, das Bild zeige die Politiker „auf den Straßen von Paris“, dann aber wieder „auf der Straße von Paris, bei der Teilnahme am Gedenkmarsch“. Das ist zumindest irreführend.

Das dritte Problem sind die Kosten: Gibt es heute nicht Möglichkeiten, wie man seine Solidarität mit den Opfern von Terror und Gewalt zeigen kann, ohne dass Unsummen an Steuergeldern verschwendet werden? Wozu müssen dutzende Staatschefs inklusive Entourage und Sicherheitspersonal nach Paris fliegen, wenn sie die Stadt nur als Kulisse verwenden? Das Spektakel hat sicher einige Millionen gekostet, die von den Steuerzahlern wieder irgendwo verdient werden müssen.

Und schließlich bleibt die Kernfrage: Wo verlaufen die Grenzen zwischen Politik und Schauspiel? Es ist unstrittig, dass Politik auch Rituale braucht. Problematisch wird es, wenn die Medien und Bürger zur Inszenierung dieser Rituale an der Nase herumgeführt werden: Sie werden fortan an jeder Politiker-Aussage zweifeln. Und dann kann es der Politik so gehen wie dem verzweifelten Clown, dem auch keiner glauben will, dass das Zirkus-Zelt brennt. 

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