Ukrainische Regierungstruppen ziehen nach übereinstimmenden Berichten aus dem seit Tagen umkämpften strategischen Verkehrsknotenpunkt Debalzewo im Osten des Landes ab. Offenbar haben auch die Rechtsextremen des paramilitärischen Rechten Sektors aufgegeben. Reuters nennt die Truppe von Dimitri Jarosch zwar nicht namentlich, spricht jedoch von "Milizen", die sich ebenfalls zurückgezogen hätten.
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat den Abzug der Armee aus der strategisch wichtigen Stadt Debalzewe bestätigt. Dieser gehe planmäßig und organisiert vonstatten, sagte der Staatschef am Mittwoch kurz vor seinem Abflug aus Kiew an die Front. 80 Prozent der Kämpfer hätten sich bereits mit ihren Waffen zurückgezogen. Zwei weitere Kolonnen sollten folgen. Die ukrainischen Einheiten hätten mit der Verteidigung Debalzewes ihre Pflicht erfüllt und der Welt "das wahre Gesicht der Banditen und Separatisten gezeigt, die von Russland unterstützt werden".
Der Rechte Sektor war der kampfuntauglichen Armee zu Hilfe geeilt und hatte versucht, den Vorstoß der Rebellen nach Debalzewo zu stoppen. Dazu hatten die Rechtsextremen, die mit der Regierung von Arseni Jazenjuk eng verbunden sind, das Minsker Abkommen für bedeutungslos erklärt. Doch gegen die militärisceh Übermacht der Rebellen hatten die Rechtsextremen am Ende offenbar keine Chance.
Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte unterdessen in Moskau, dass mit Ausnahme Debalzewes die vereinbarte Waffenruhe "praktisch entlang der gesamten Front beachtet" werde. In einigen Regionen bestehe zudem die Bereitschaft, schwere Waffen abzuziehen. So zumindest hätten es die Milizen öffentlich erklärt.
Die Soldaten und Kämpfer würden sich aus der von Rebellen umzingelten Stadt zurückziehen, meldete am Mittwoch die russische Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf den ukrainischen Abgeordneten Semen Sementschenko, der auch als Freiwilliger in einer Miliz an der Seite der Armee dient. Sementschenko hatte im Herbst in Washington Verhandlungen mit den Amerikanern über Waffenlieferungen geführt. Er hatte damals auf seiner Facebook-Seite geschrieben, dass die Amerikaner verstanden hätten, dass eine Bewaffnung der Ukraine nötig sei. Sementschenko teilte auf seiner Facebook-Seite mit, der Rückzug geschehe geordnet. "Der Feind versucht die Straßen zu blockieren, um den Abzug der Truppen zu verhindern", erklärte er. Russland Präsident Wladimir Putin hatte am Dienstag die Rebellen aufgefordert, abziehenden Kämpfern freies Geleit aus dem Kessel von Debalzewo zu gewähren.
Der Pressedienst der Rebellen, DAN, berichtet ebenfalls von dem Rückzug und meldet, dass sich viele Soldaten ergäben. In Debalzewo würden Hunderte Soldaten die Waffen strecken, zitierte DAN Rebellen-Anführer Maxim Leschtschenko. Auch Reuters berichtet von dem Rückzug.
Am Dienstag hatten die Rebellen gemeldet, 80 Prozent der Stadt eingenommen zu haben. Welche Auswirkungen ein Fall von Debalzewo für das Minsker Abkommen hat, ist noch unklar. Während der Westen und die Ukraine darauf beharrten, dass die Stadt Teil des Waffenstillstandsabkommens sei, bestritt Russland dies. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte für den Fall des Scheiterns des Waffenstillstands damit gedroht, das Kriegsrecht über das ganze Land auszurufen und die Kämpfe auszuweiten.
Nach der Niederlage dürfte Poroschenkos Position deutlich geschwächt sein - was allerdings die Möglichkeit einer Kurzschlusshandlung nicht ausschließt. Die Regierung in Kiew hatte die Situation in den vergangenen Wochen immer wieder mit Durchhalte-Parolen angeheizt - obwohl die Armee im Grunde kampfuntauglich ist, wie Militär-Experten analysieren.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits angesichts der Einkesselung der ukrainischen Armee die Aussichtslosigkeit der Lage erkannt und nicht zuletzt vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden militärischen Niederlage auf einen Friedensgipfel in Minsk gedrungen.
Debalzewo ist ein wichtiger Eisenbahnknoten. Dort sollten sich zuletzt bis zu 7000 ukrainische Soldaten befinden. Sollte der Ort von den Rebellen erobert werden, hätten sie eine direkte Verbindung zwischen ihren Hochburgen Luhansk und Donezk geschaffen.
Poroschenko hatte den Vorstoß der Rebellen in Debalzewo als "zynischen Angriff" auf den Waffenstillstand bezeichnet. Der UN-Sicherheitsrat hatte am Dienstagabend in einer Resolution die sofortige Einhaltung der vergangene Woche vereinbarten Waffenruhe gefordert und darin ausdrücklich Debalzewe genannt.