Insgesamt rund 500 Flüchtlinge aus der Ukraine werden 2015 nach Schätzungen des Prager Innenministeriums dauerhaft in Tschechien bleiben. Das sind nur unwesentlich weniger als die gerade einmal 700 weiteren Flüchtlinge aus aller Welt, für die sich Tschechien im Laufe dieses Jahres öffnen will.
Tschechiens sozialdemokratischer Innenminister Milan Chovanec fand zu Jahresbeginn deutliche Worte. Er werde keinem Massenzustrom von Ausländern applaudieren. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Tschechien hatte die Diskussion über Flüchtlinge aus islamischen Staaten gerade einen Höhepunkt erreicht, wobei das Nachbarland unter anderem heftig über die Hilfe für 70 Syrer diskutierte. Mehr als 700 Flüchtlinge werde Tschechien 2015 nicht aufnehmen, so die Vorgabe aus Prag. Denn weitere Kapazitäten gebe es nun einmal nicht in den vorhandenen Durchgangsheimen, meldet TN Nova.
Niemandem sei geholfen, wenn Europa Flüchtlinge aufnehme statt vor Ort bei der Lösung von Problemen zu helfen, stärkt Ministerpräsident Bohuslav Sobotka seinem Innenminister immer wieder den Rücken. Deshalb entsende Tschechien viele Hilfskräfte etwa nach Syrien.
Umso erstaunlicher ist es, wie leicht sich Tschechien mit Flüchtlingen aus der Ukraine tut, insofern sie denn der dortigen tschechischsprachigen Minderheit angehören. Erst vor wenigen Tagen nahm Staatspräsident Miloš Zeman am Prager Flughafen persönlich 35 Menschen in Empfang, die sofort eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erhielten. Das Innenministerium geht davon aus, dass 2015 insgesamt rund 500 sogenannte „ethnische Landsleute“ vor den Auseinandersetzungen in der Ukraine nach Tschechien flüchten, berichtet Lidovky.
Dabei hatte Chovanec im Januar noch seine deutlichsten Warnungen im Zusammenhang mit Migranten mit Blick auf die Ukraine ausgesprochen. Tschechien müsse im Zusammenhang mit dem dortigen Konflikt aufgrund der EU-Quoten mit einem Zustrom von rund 100.000 Menschen rechnen, wogegen er sich zur Wehr setzen werde. Schließlich sei die Sicherheit in Tschechien nicht mehr gewährleistet, wenn es soweit kommen sollte, so TN Nova.
Die Regierung in Prag begründet ihr unbürokratisches Verhalten gegenüber den mutmaßlich tschechischstämmigen Neuankömmlingen aus der Ukraine historisch. Teile der heutigen Ukraine gehörten zwischen 1919 und 1938 zur früheren Tschechoslowakei. Insbesondere im 19. Jahrhundert wanderten vergleichsweise viele Tschechen in Richtung der heutigen Ukraine ab. Tschechien verfolgt das Geschehen in der Ukraine daher stets mit besonderem Interesse, auch wenn beide Staaten nicht benachbart sind.
Tschechien steht seit Jahren wegen seiner Migrationspolitik in der Kritik. Das mittelosteuropäische Land gilt innerhalb der Europäischen Union als Durchgangsstation, wo ohnehin wenige Flüchtlinge einen dauerhaften Aufenthalt anstreben. Gerade einmal 1.000 Migranten aus sogenannten Drittländern kamen im vergangenen Jahr.
Insgesamt sind nicht einmal 5 Prozent der gut 10,5 Millionen Einwohner Tschechiens Ausländer, die meisten stammen aus anderen Ländern der Europäischen Union. Trotzdem oder gerade deshalb hat die Mehrheit der Tschechen deutliche Vorbehalte gegen Ausländer. Jeder Zweite ist davon überzeugt, es gebe zu viele Ausländer. 60 Prozent meinen, die Ausländer im Lande seien schuld an der zunehmenden Arbeitslosigkeit und der steigenden Kriminalität.
Dabei schaut die Regierung sehr genau, wen sie überhaupt dauerhaft ins Land lässt. 2009 nahm der konservative Ministerpräsident Mirek Topolanek den Ausbruch der weltweiten Wirtschaftskrise zum Anlass, in Tschechien als erstem EU-Land eine „Green Card“ nach US-Vorbild einzuführen, um den Zuzug qualifizierter Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten zu steuern.
Aus Sicht des Konsortiums der Nichtregierungsorganisationen, die sich mit Flüchtlingen befassen (Konzorcium nevládních organizací zabývajících se uprchlíky), hat sich die Situation für Flüchtlinge in den vergangenen Jahren kaum verbessert. Politiker mieden das Thema und versäumten damit, endlich eine sachliche Auseinandersetzung mit Migration anzustoßen. Ähnliches gelte in der Auseinandersetzung mit dem schleichend zunehmenden Rechtsradikalismus.
Tschechien schneidet beim Umgang mit Flüchtlingen nur dann relativ gut ab, wenn es um positive Erstbescheide in Asylbewerberverfahren geht. 2013 wurden laut Eurostat 38,3 Prozent der Bewerber positiv beschieden. In Deutschland waren es 26,4 Prozent. Tschechien lag damit über der Durchschnittsquote der Europäischen Union von 34,5 Prozent. Allerdings nahm Tschechien auch nur 695 Asylbewerber auf, Deutschland hingegen 126.705. In Mittelosteuropa waren es nur in der Slowakei (440) und Slowenien (270) weniger.