Chinas Exportmaschine stottert. 2015 wird erstmals seit 2009 ein herber Rückschlag der Exporte erfolgen, der sich für 2016 noch auszuweiten droht. Ein Grund dafür ist das langsame Wachstum der Nachfrage in ihren Hauptmärkten (Europa, USA, Japan, sonstiges Asien). Ein zweiter Grund ist der Verlust der preislichen Wettbewerbsfähigkeit. Die anhaltend steigenden Arbeitskosten und eine erhebliche Aufwertung der Währung durch die Quasi-Fixierung des nominellen Wechselkurses gegenüber dem US-Dollar haben dazu geführt. Die Währungen der Hauptkonkurrenten wie Japan, Korea, Taiwan, vor allem aber Thailand, Indonesien, Malaysia, Philippinen haben erheblich gegenüber dem Dollar abgewertet. Einige dieser Währungen haben einen Doppelcharakter. Sie werden wie der malaysische Ringgit oder die indonesische Rupia auch als Rohstoffwährungen angesehen.
Wie die anderen großen asiatischen Exportländer ist Chinas Exportindustrie heute auf Elektronikprodukte konzentriert. Sie dominieren heute seine Exporte. Also nicht mehr Textilien, Bekleidung oder Plastikwaren. China hat nach dem Eintritt in die WTO 2001 seinen Weltmarktanteil bei Elektronikprodukten von 2 auf 30 Prozent gesteigert. Dies geschah hauptsächlich zu Lasten der USA, Europas und Japans. Die anderen asiatischen Länder konnten ihren Weltmarktanteil bei Elektronikwaren ebenfalls steigern. Sie hatten in den 1980er und 1990er Jahren ihre Position aufgebaut, weil westliche Firmen dort mit hochqualifizierten Tieflöhnern fertigen ließen. Innerhalb der Elektronikindustrie ist Chinas Industrie auf Prozesse mit geringer Wertschöpfung konzentriert, hauptsächlich auf die Montage von Standard-Endprodukten. Die komplexen Stufen wie Forschung und Entwicklung, oder die Herstellung von anspruchsvolleren Zwischenprodukten bleiben den fortgeschritteneren Ländern vorbehalten. Sie haben die Ingenieurskultur sowie die hoch qualifizierten Arbeitskräfte, die dafür benötigt sind.
Bei der Elektronikindustrie ist die Gestaltungsfähigkeit der chinesischen Regierung beschränkt. Sie kann nur für attraktive Rahmenbedingungen sorgen, ist selber als Unternehmer aber nicht dominant oder umfassend präsent. Diese Industrie ist hauptsächlich in der Hand westlicher Konzerne der Spitzentechnologie oder Auftragsfertiger wie Foxconn oder Flextronics. In anderen Bereichen greift die Regierung mit eiserner Hand durch. Bei der Transportmittel-Industrie hat die Regierung kürzlich die beiden größten Hersteller von Zugskompositionen fusioniert, beides staatliche Unternehmen. Gestern wurde angekündigt, dass auch die beiden größten Reedereien des Landes fusioniert werden sollen. Dies soll durch Skalenerträge und Kostensteigerung die Wettbewerbsfähigkeit Chinas auf dem Weltmarkt herstellen und zu Marktanteilsgewinnen verhelfen.
In der Elektronikindustrie ist die Industrie Chinas gefährdet. Sie ist noch nicht fähig, auf Prozesse höherer Wertschöpfung umzusteigen. Sie ist aber durch die starken Kostensteigerung in China und durch die Währungsverschiebungen von Ländern mit tieferen Löhnen wie Thailand, Indonesien, den Philippinen, teilweise sogar Vietnam bedroht. Kürzlich hat der große Auftragsfertiger Foxconn angekündigt, in großem Stil für 5 Mia US-Dollar in Indien Fabriken zu erstellen. Sie sollen dereinst 50'000 Arbeitskräfte beschäftigen. Foxconn, ein taiwanesischer Auftragshersteller, ist mit 1.3 Millionen Beschäftigten der größte private Arbeitgeber in China. Zwar handelt es sich um einen Auftrag für eine indische Telefongesellschaft, aber ein Anfang ist gemacht. Die Trends in der Elektronikindustrie sind durchaus typisch für Entwicklungen in anderen Exportindustrien. Auch dort ist China einem Kostendruck ausgesetzt, der das Land zu Spezialisierung oder zu anderen Maßnahmen zwingt.
Dieser Kostendruck wird so schnell nicht weichen. Anders als in der Vergangenheit ist der Zustrom von billigen Arbeitskräften aus dem ländlichen Raum am Versiegen. Der Arbeitsmarkt ist von einer Verknappung gekennzeichnet. Die Reallöhne steigen stark und sollen gemäß den Vorstellungen der Regierung weiter zulegen. Die Regierung möchte ja strukturell eine Verschiebung vom Export und von den Investitionen zum Konsum erreichen. Die gängigen Indizes der realen Wechselkurse drücken diese Aufwertung der chinesischen Währung nur unzureichend aus. Die nominellen Wechselkurse werden üblicherweise mit den Verbraucherpreisen deflationiert. In China ist der Verbraucherpreis-Index stark durch die Preise der Lebensmittel bestimmt. Die Teuerung ist stark zurückgegangen. Was aber wirklich zählt, sind die Lohnkosten. Diese steigen unbeirrt mit praktisch 10 Prozent per annum. Vor diesem Hintergrund ist die Vorgehensweise der chinesischen Zentralbank zu interpretieren.
Seit 2011 hat der US-Dollar erheblich aufgewertet. Unter den Hauptwährungen ist dies vor allem der Nullzinspolitik und dem Quantitativem Easing (QE) der Notenbanken Japans und der Eurozone zuzuschreiben. Beide Notenbanken operierten mit dem expliziten Ziel, ihre Währungen zur Abwehr von Deflationsrisiken bewusst zu schwächen. Dabei verbinden beide Währungsgiganten eine erheblich gelockerte Geldpolitik mit einer restriktiven Finanzpolitik. In Japan hat die Regierung Hashimoto im Frühsommer 2014 den Satz für die Mehrwertsteuer von 5 auf 8% angehoben. Deshalb ist Japan wieder in die Rezession zurückgefallen. Japans Importe sind auch deshalb rückläufig. In der Eurozone ist die Finanzpolitik vielenorts restriktiv. In Deutschland, wo nach den Regeln Spielraum für eine Fiskalexpansion bestünde, will der Finanzminister eine schwarze Null. Im globalen Kontext ist dies genau falsch. Deutschland und in abgeschwächtem Maß die Eurozone haben hohe und wachsende Leistungsbilanzüberschüsse. Sie sollten eigentlich die Binnenkonjunktur stimulieren und nicht dämpfen.
Seit 2013/14 sind die Währungen Südkoreas, Taiwans, Indiens, Thailands, Malaysias oder Indonesiens unter die Räder gekommen. Das sind nicht nur wichtige Märkte für Chinas Exporte, sondern direkte Konkurrenten auf Drittmärkten wie den USA oder Europas. Es ist vor allem dieser regionale Kontext, der die chinesische Politik zum gestern vollzogenen Schritt bewogen hat.
Bisher hat China still gehalten, nachdem das Land seit dem Beitritt zur WTO praktisch ununterbrochen von den USA des Währungs-Dumpings bezichtigt worden ist. China hatte immer hohe Leistungsbilanz-Überschüsse, vor allem auch bilateral gegenüber den USA. Diese Überschüsse haben dem Land sehr hohe Devisenreserven von über 3000 Milliarden US-Dollar beschert. Zusammen mit den Kapitalkontrollen erlaubt dies den Behörden, praktisch nach Gutdünken den Wechselkurs des Remnimbi zu fixieren.
Ein Grund für die Zurückhaltung Beijngs war die geplante Internationalisierung der chinesischen Währung. China baut strategisch am Projekt, seine Währung für den Welthandel als Alternativ-Währung zum US-Dollar zu etablieren. Seine Exporte und Importe sollen in einer weiteren Zukunft nicht mehr in Dollars, sondern in einheimischer Währung bezahlt werden. Der Renmimbi soll auch zur internationalen Reservewährung werden, in der Notenbanken ihre Reserven anlegen können. Chinas Behörden haben durch die Wechselkurspolitik seit Mitte der 2000er Jahre eine erhebliche Kredibilität aufgebaut. Der nächste Schritt besteht darin, den Renmimbi in den Währungskorb der Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds aufzunehmen. Letzte Woche hat der IWF diesem Ansinnen einen vorläufigen Korb erteilt. Das von den USA beherrschte Gremium hat weitere Liberalisierungsschritte im chinesischen Finanzmarkt und die Konvertibiltiät der Währung zur Bedingung gemacht und die Behandlung um über ein Jahr verschoben.
Die Abwertung des Renmimbi um fast zwei Prozent gegenüber dem US-Dollar ist ein starkes Signal nach diesem Entscheid des IWF. Es ist ein Signal an die Währungsbehörden der USA einerseits und an die Zentralbanken des asiatischen Raumes andrerseits. Eine solche Abwertung an einem einzigen Tag repräsentiert mehr als eine übliche geräuschlose Maßnahme. Auch das Kommuniqué der chinesischen Volksbank ist durchaus interpretationsbedürftig. Die Zentralbank begründet ihren Entscheid explizit mit der Entwicklung ‚anderer’ Währungen, gemeint sind die der asiatischen Konkurrenten. Ferner wies sie darauf hin, dass der Wechselkurs künftig mehr durch Marktkräfte bestimmt würden. Diese Marktkräfte sind schwammig definiert. Die chinesische Zentralbank kann die Markterwartungen mit ihrer Kommunikation dorthin lenken, wo sie diese haben will – genau wie die Fed.
Die amerikanische Zentralbank hat seit Monaten in ihrer Kommunikation das Terrain für eine Zinserhöhung vorbereitet. Just im Hinblick darauf hat der Dollar zugelegt. Nach fast sieben Jahren Nullzinsen ist ein solcher Schritt sehr bedeutend. Eine Zinserhöhung um einen Viertel Prozentpunkt allein macht aber keinen Sinn. Üblicherweise handeln Zentralbanken so, wenn sie ihre Leitzinsen in mehreren Schritten auf ein neues Niveau anheben wollen. Der Markt geht vorläufig davon aus, dass die Zinsanpassung graduell und sehr behutsam erfolgen soll. Der Fed-Future Strip impliziert eine Anpassung auf rund 1 Prozent per Ende 2016. Ende 2016 ist ein Wahljahr. Das übergeordnete Ziel bleibt es, eine möglichst gute Wirtschaftslage zu erreichen. Beschäftigung und Kaufkraft der Haushalte sollen möglichst gut erscheinen.
Dennoch hat eine solche Maßnahme einen erheblichen Effekt. Verschiedene Währungen sind bedingt durch den starken Dollar in einer schweren Baisse. Das betrifft vor allem die Währungen von Ländern, die bedeutende Rohstoff-Exporteure sind. Die Preise von Rohstoffen reagieren sehr stark auf erwartete Zinsveränderungen im US-Dollar und auf den Wechselkurs des Dollars. Die Zentralbanken von Ländern, deren Währungen sich markant abschwächen oder unter schwerem Druck sind, reagieren bisher unterschiedlich auf diese Situation. Sie versuchen, die Währungsbewegungen unter Kontrolle zu behalten, und verzichteten auf zu starke Zinssenkungen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Verschiedene Zentralbanken haben auch mit Devisenkäufen ihre Währung zu stabilisieren versucht.
Der Schritt Beijings bedeutet nichts anderes als eine explizite Warnung an die US-Zentralbank und an die Zentralbanken der asiatischen Konkurrenten. Sollte die Fed die Zinsen erhöhen, wird China dies nicht mitmachen und seine Währung gegenüber dem Dollar weiter abwerten. Sollten die Zentralbanken der asiatischen Konkurrenten isoliert ihre Zinsen senken, kann dies China veranlassen, seine Währung ebenfalls zu schwächen. China will keinen Währungskrieg. Das Land ist aber bereit, die Interessen seiner in Bedrängnis geratenen Exportindustrie rücksichtslos durchzusetzen, wenn andere Regierungen und Zentralbanken Entscheide mit negativem Effekt treffen sollten.
Die Folgen der veränderten chinesischen Geld- und Währungspolitik könnten für die globalen Märkte ganz erheblich sein. Einen Vorgeschmack hat die Reaktion der Märkte gestern dargestellt. Die Aktien- und Rohstoffmärkte würden tauchen, die Konjunkturaussichten sich weiter eintrüben. Die US-Zentralbank kann machen, was sie will. Aber China wird nicht mehr als Trittbrettfahrer dabei sein. Der von Japan und von der Eurozone ausgehenden beggar-thy-neighbour Politik sind künftig enge Grenzen gesetzt. Im regionalen asiatischen Maßstab würden Zinssenkungen anderer Zentralbanken mit Sicherheit Währungsschritte Chinas implizieren.