Finanzen

EU will Banken mehr Risiko bei öffentlichen Projekten erlauben

Die EU-Komission will die Regeln für die Verbriefung von Wertpapieren lockern. Der Grund: Die Banken vergeben wegen geringen Eigenkapitals kaum große Kredite. Doch die EU will durch Infrastruktur-Projekte die Arbeitslosigkeit senken - und braucht nun plötzlich wieder die Banken, die sie jahrelang verteufelt hat.
20.08.2015 00:08
Lesezeit: 3 min

In Europa belebt sich die Konjunktur trotz niedriger Zinsen und stark gefallener Ölpreise nur moderat. Der Tiefpunkt ist zwar überwunden, das Wachstum aber bleibt verhalten und ist zu wenig breit abgestützt. Ein wesentlicher Grund dafür ist die ausgeprägte Investitionsschwäche. Die Investitionen sind die Motoren des Wirtschaftswachstums. Sie ermöglichen nicht nur eine Beschleunigung der Endnachfrage, sondern haben auch positive Effekte auf das Wachstum der Produktivität. Denn neue Maschinen, Anlagen, Gebäude sind mit der letzten Technologie ausgestattet. Produktivitätsgewinne sind typischerweise kapitalgebunden.

Solange die Investitionen niedrig bleiben, gibt es keine wesentliche Aufhellung am Arbeitsmarkt, bei Beschäftigung und bei Löhnen. Eines der Grundprobleme in Europa besteht darin, dass die Finanzintermediären, Banken und Versicherer, in Europa immer noch im Krisenmodus stecken. Vor allem Banken haben zu wenig eigene Mittel, um Kredite vergeben zu können.

Ein zentrales Anliegen besteht darin, den Markt für die Verbriefung von Wertpapieren in Europa wiederzubeleben. Dies soll hauptsächlich dadurch geschehen, dass die Risikogewichte für forderungsbesicherte Wertpapiere (engl. Asset Backed Securities, kurz ABS) reduziert werden. Die Risikogewichte sind die Prozentsätze, mit denen Banken und Versicherungen solche Papiere mit Eigenkapital unterlegen müssen. Diese Unterlegungspflicht gilt, wenn sie die Wertpapiere als Aktiven auf ihre Bilanz nehmen. Institutionelle Anleger wie Banken und Versicherer sowie Pensionskassen sind die hauptsächlichen Käufer von ABS. Der zuständige Kommissar für Finanzmarkt-Regulierung, der Brite Jonathan Hill, legt nun einen Vorschlag vor, der von der Europäischen Bankenkommission mit den nationalen Regulatoren der 28 EU-Länder abgesprochen ist.

Hintergrund bildet einerseits die Tatsache, dass die Verbriefung in Europa seit der Finanzkrise 2008 extrem schwach bleibt und sich nicht mehr erholt hat. Das jährliche Emissionsvolumen ist von 815 Mrd. im Jahr 2008 auf 217 Mrd. im Jahr 2014 gefallen. Dies im eklatanten Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, wo das Emissionsvolumen sich praktisch auf das Vorkrisen-Niveau erholt hat. Dies ist umso ärgerlicher, als die Ausfallraten in den ABS in den USA in der Krise deutlich höher als in Europa lagen. Andrerseits haben die europäischen Banken und Versicherer Druck auf den Regulator gemacht, damit die Risikogewichte erheblich reduziert würden. Für sie besteht bei den rekordtiefen Zinsen ein Anlagenotstand. Es mangelt an Anlagealternativen, welche ihnen eine genügende Rendite auf ihr Gesamtportfolio ermöglicht.

Mit dem Vorschlag ist der neu zuständige Kommissar den Banken und Versicherern nur teilweise entgegen gekommen. Die Unterlegungssätze wurden um rund einen Viertel reduziert, wesentlich weniger als von der Finanzindustrie gefordert. Vor allem wird die zusätzliche Kapitalbelastung für die Verbriefung nicht gelockert. Hält eine Bank oder Versicherung die unterliegenden Wertpapiere einzeln auf ihrer Bilanz, muss sie also weniger Eigenmittel hinterlegen. Schließlich werden die Vorschriften für ABS, die sich auf Derivate als Sicherheiten beziehen, nicht gelockert. Als zusätzliche Sicherheit müssen Emittenten von ABS mindestens 5 Prozent des Volumens selber auf die eigenen Bücher nehmen. Damit sollen die Interessen von Emittent und Investoren gleichgeschaltet werden.

ABS-Papiere enthalten typischerweise ein Portfolio von Unternehmens- oder Autokrediten, Hypotheken und Kreditkarten-Schulden. Sie sind von der Grundkonstruktion her weit sicherer als eine Standard-Obligation, weil sie Forderungen als zusätzliche Sicherheit enthalten. Eine Standard-Obligation dagegen bezieht sich üblicherweise auf die Gesamtbilanz, das heißt, sie umfasst auch die Verbindlichkeiten einer Gesellschaft. ABS und MBS (hypothenbesicherte Wertpapiere) waren in der Finanzkrise 2008 schwer unter Druck geraten und wesentlich für die Finanzkrise verantwortlich gemacht worden. Dabei waren verschiedene Punkte aufgetreten. Kern war gewesen, dass die Banken einerseits ABS und MBS missbraucht hatten, um Teile ihrer Bilanz auszulagern. Sie hatten also Kredite verbrieft und sie von einer zumeist konzerneigenen Gesellschaft verwalten lassen. Unter Ausnutzung von Schlupflöchern in Basel II konnten sie so das Eigenkapital-Erfordernis drastisch oder sogar auf Null absenken.

Das grösste Schlupfloch hatte darin bestanden, dass sie ABS und MBS auf das Handelsbuch umschreiben konnten, und so praktisch keinem Eigenmittel-Erfordernis gegenüberstanden. Solange die ABS-Kotierungen praktisch unverändert waren, war das vorteilhaft. Verschiedene Großbanken waren fast oder effektiv Bankrott gegangen, weil sie große ABS-Positionen im Handelsbuch zu Marktpreisen bewerten mussten, und diese im Crash fast allen Wert verloren hatten. Ein anderes Schlupfloch bestand darin, dass die Banken Pfandbriefe und andere covered bonds an Kunden verkauften, bei denen sie sehr wohl im Risiko standen. Trotzdem buchten sie diese Papiere aus der Bilanz aus. Ein letztes Problem hatte darin bestanden, dass die Banken den Investoren Müll verkauften. Wertschriften, bei denen sie sehr wohl um hohe Risiken wussten, diese aber nicht offen legten. Vor allem bei den Subprime Wertpapieren in den USA war dies ganz ausgeprägt der Fall gewesen. Letzteres soll durch die Mindest-Haltepflicht von 5 Prozent der Emission verhindert werden.

Der zuständige Kommissar machte auch klar, dass als nächstes auch Wertschriften, welche zur Finanzierung von Infrastruktur-Investitionen dienen, eine erleichterte Behandlung erfahren sollen. Insgesamt macht die Regelung Sinn. Die Banken haben in Europa viel zu wenig eigene Mittel. Sie erfüllen vielleicht dem Buchstaben nach die Vorschriften für Basel III, haben aber immer noch zu große Bilanzen und viele beschädigte Positionen aus der Vergangenheit. Weil sie durch das Eigenkapital beschränkt sind, können oder wollen sie zu wenig Kredite vergeben. Gleichermassen können die zumeist eigenmittelschwachen Versicherer aus regulatorischen Gründen nicht genügend in ertragreiche Anlagen investieren.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Landtagswahlen Baden-Württemberg 2026: AfD liegt vor den Grünen – eine Partei gewinnt noch mehr
09.05.2025

Die AfD überholt erstmals laut Insa-Umfrage die grüne Partei in Baden-Württemberg, die seit 13 Jahren regiert und die größte...

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Kunstmarkt: Familienangelegenheiten im Auktionshaus Lempertz - und was Unternehmer davon lernen können
09.05.2025

Lempertz in Köln ist das älteste Auktionshaus der Welt in Familienbesitz. Isabel Apiarius-Hanstein leitet es in sechster Generation. Erst...

DWN
Immobilien
Immobilien Wohnquartiere als soziale Brennpunkte: Armut, Migration und Überalterung – Ghettobildung nimmt zu
09.05.2025

Armut, Migration, Wohnungsmangel, Überalterung und Einsamkeit: Immer mehr Wohnquartiere in Deutschland sind überfordert. Eine neue Studie...

DWN
Finanzen
Finanzen Commerzbank-Aktie auf Rekordkurs nach starkem Quartalsgewinn – und nun?
09.05.2025

Die Commerzbank-Aktie hat zum Start in den Börsenhandel am Freitag zugelegt – und im Handelsverlauf ein neues Jahreshoch erreicht. Das...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU schlägt zurück: Diese US-Produkte stehen nun im Visier von Brüssel
09.05.2025

Die Europäische Kommission hat eine umfassende Liste von US-Produkten veröffentlicht, auf die im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Daimler-Sparprogramm: Was plant Daimler Truck in Deutschland?
09.05.2025

Der Nutzfahrzeughersteller Daimler Truck strebt an, seine Wettbewerbsfähigkeit in Europa zu erhöhen und hat sich mit dem...

DWN
Panorama
Panorama Endlos-Hitze droht im Sommer: Wetterextreme betreffen jüngere Generationen erheblich stärker
09.05.2025

Endlos-Hitze droht im Sommer - diese Schlagzeile geistert an diesem Freitag durch die Medien. Klar ist, dass die Folgen der globalen...

DWN
Technologie
Technologie Datenfalle USA: Warum viele Unternehmen in Gefahr sind - ohne es zu merken
09.05.2025

Viele Unternehmen übertragen täglich Daten in die USA – und merken nicht, dass sie damit in eine rechtliche Falle tappen könnten. Das...