Politik

Rekord: Bayern erwartet 10.000 Flüchtlinge am Samstag

Die bayrische Polizei erwartet am Samstag bis zu 10.000 Flüchtlinge aus Ungarn. Was mit den Flüchtlingen langfristig geschehen soll, ist unklar. Deutschland will den außergewöhnlichen Zuzug als Ausnahme verstanden wissen.
05.09.2015 13:57
Lesezeit: 2 min

Nach Zusagen aus Deutschland und Österreich zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Ungarn bereitet sich Bayern auf eine Rekordzahl von Neuankömmlingen vor. Es dürften zwischen 5000 und 10.000 Menschen auf dem Weg Richtung Deutschland sein, sagte ein Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd am Samstag. Sie würden wahrscheinlich erst nach München gebracht und dann verteilt. Die Regierungen in Berlin und Wien hatten sich angesichts chaotischer Zustände in Ungarn in der Nacht bereiterklärt, die Flüchtlinge aufzunehmen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von einer Ausnahme, die nicht zur Regel werden dürfe.

Die erschöpften Migranten wurden von den ungarischen Behörden in der Nacht mit Bussen zur Grenze gebracht, überquerten sie zu Fuß und wurden auf der österreichischen Seite mit Wasser, Nahrungsmitteln und Notbetten empfangen. Im Grenzort Nickelsdorf wurden Sonderzüge nach Wien bereitgestellt. Nach Angaben des Innenministeriums in Wien erreichten in der Nacht mehr als 3000 Menschen das Land. "Bis jetzt haben etwa zehn Flüchtlinge in Österreich um Asyl angesucht", teilte Ministerin Johanna Mikl-Leitner am Mittag mit. Die anderen wollten vor allem nach Deutschland weiterreisen. Ein erster Sonderzug mit geschätzt 450 Flüchtlingen kam am Mittag in München an.

In Ungarn hatten sich viele Flüchtlinge geweigert, sich registrieren zu lassen. Nach EU-Regeln ist eigentlich das Land für Neuankömmlinge zuständig, in dem sie zuerst den Boden der Gemeinschaft betreten. Die Regierung in Budapest wollte zunächst die Verpflichtungen erfüllen und die Flüchtlinge aufhalten. Mit der überraschenden Bereitstellung von Bussen gestand sie aber indirekt ein, die Kontrolle verloren zu haben. Die Lage war eskaliert, als am Freitag mehr als 1000 Flüchtlinge von Budapest aus zu einem Fußmarsch auf der Autobahn ins knapp 200 Kilometer entfernte Österreich aufbrachen. Auch am Samstag machten sich wieder Hunderte Flüchtlinge vom Budapester Ostbahnhof aus zu Fuß Richtung Österreich auf den Weg.

Die Behörden erklärten allerdings, der Transport mit Bussen zur Grenze sei eine einmalige Aktion gewesen. Die Entscheidung, die Flüchtlinge doch ausreisen zu lassen, begründeten sie mit der Verkehrssicherheit. Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann erklärte dagegen auf Facebook: "Aufgrund der heutigen Notlage an der ungarischen Grenze stimmen Österreich und Deutschland in diesem Fall einer Weiterreise der Flüchtlinge in ihre Länder zu." Der stellvertretende deutsche Regierungssprecher Georg Streiter erklärte, jetzt müssen den Menschen geholfen werden. Wie lange die Ausnahmeregelung gelten solle, sei noch nicht entschieden. Außenminister Steinmeier sagte nach einem Treffen der EU-Außenminister in Luxemburg: "Die Hilfe in der gestrigen Notlage war verbunden mit der Mahnung, daraus keine Praxis für die nächsten Tage zu machen."

Die konservative Regierung in Budapest hat Deutschland für die chaotische Lage verantwortlich gemacht. Hintergrund ist die Zusage der Bundesrepublik, Syrer nicht in andere EU-Staaten zurückzuschicken. Auch deswegen wollen viele Flüchtlinge von Österreich aus weiterreisen. "Wir sind glücklich. Wir werden nach Deutschland gehen", sagte ein Syrer bei der Ankunft an der Grenze. Beim Fußmarsch auf der Autobahn hatten Flüchtlinge am Freitag Bilder von Kanzlerin Angela Merkel gezeigt.

Die Bundesregierung hat die Kritik zurückgewiesen und fordert eine verbindliche Quote zur Verteilung von Flüchtlingen in der EU. Eine Einigung ist wegen des Widerstandes vor allem osteuropäischer Länder aber nicht in Sicht. Bei einem Treffen in Luxemburg blieben die EU-Außenminister in dieser Frage zerstritten. Bundesaußenminister Steinmeier forderte einen Sondergipfel Anfang Oktober. Die Bundesregierung will auch erreichen, alle Westbalkanstaaten als sichere Herkunftsländer einzustufen. Asylbewerber aus diesen Ländern werden zu fast 100 Prozent abgelehnt.

Deutschland nimmt in Europa mit Abstand die meisten Flüchtlinge auf. Über die Krise berät am Sonntag große Koalition in Berlin. Merkel hatte bereits am Montag erklärt, Deutschland sei ein starkes Land, das diese nationale Aufgabe bewältigen könne. "Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das."

Trotz der Milliardenkosten bekräftigte sie in ihrem wöchentlichen Podcast am Samstag, an der "Schwarzen Null" im Bundeshaushalt festzuhalten. "Wir können nicht einfach sagen: Weil wir eine schwere Aufgabe haben, spielt jetzt der ausgeglichene Haushalt oder die Frage der Verschuldung überhaupt keine Rolle mehr."

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Gold als globale Reservewährung auf dem Vormarsch

Strategische Relevanz nimmt zu und Zentralbanken priorisieren Gold. Der Goldpreis hat in den vergangenen Monaten neue Höchststände...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Technologie
Technologie Lebensmittel aus dem 3D-Drucker: Revolution am Esstisch und in der Lebensmittelproduktion?
22.06.2025

Gedrucktes Essen statt Herd und Pfanne? Der 3D-Lebensmitteldruck wächst rasant – zwischen nachhaltiger Vision, Gastronomietrend und...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Die Deutschen und ihr Bargeld: Wie sich das Bezahlverhalten entwickelt
22.06.2025

Obwohl die Deutschen nach eigenen Aussagen ihr Bargeld lieben, gewinnt das bargeldlose Bezahlen auch hierzulande an Bedeutung. Das...

DWN
Technologie
Technologie Schwedische Innovation soll Wasserkrise in der Ukraine lösen
21.06.2025

Während Europa über Hilfspakete debattiert, liefern schwedische Firmen sauberes Wasser in eine vom Krieg verwüstete Region. Ist Hightech...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Afrikas Migrationspotenzial: Die globale Ordnung steht vor einer tektonischen Verschiebung
21.06.2025

Afrikas Bevölkerung wächst, während der Westen altert. Millionen gut ausgebildeter Migranten verändern schon heute globale...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlands stille Stärke: Wie Rechtsstaat und Verwaltung zum unterschätzten Standortvorteil werden
21.06.2025

Als Max Weber 1922 mit seiner Bürokratie-Theorie die Basis für die deutsche Verwaltung legte, galt sie weltweit als innovatives Vorbild....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Trumps Rückschlag für Elektroautos – kommt das Ende wie vor 100 Jahren?
21.06.2025

Vor 100 Jahren verschwanden Elektroautos wegen politischer Entscheidungen von den Straßen. Heute wiederholt sich die Geschichte: Donald...

DWN
Politik
Politik Wie der Westen seine Werte in der Wüste verrät: Big Tech versteckt die Probleme unter glänzenden Fassaden
21.06.2025

Big Tech hofiert autoritäre Regime vom Golf – im Tausch gegen Milliarden, Macht und Rechenzentren. Doch hinter der glitzernden Fassade...

DWN
Politik
Politik Deutschland steht vor dem historischen Aufschwung – aber es gibt ein großes Problem
21.06.2025

Mit der faktischen Abschaffung der Schuldenbremse beginnt Deutschland eine neue Ära – mit enormen Investitionen in Militär,...