Es wäre die Erfüllung eines Menschheitstraums – und eine Energiewende ganz anderer Art. Das Feuer der Sonne für billigen, umweltfreundlichen Strom auf der Erde zu nutzen – daran forschen Physiker seit Jahrzehnten. Die zivile Kernfusion hätte das Zeug, die Wirtschaft ähnlich stark umzukrempeln wie die erneuerbaren Energien.
Vor kurzem meldete der US-Konzern Lockheed Martin, die Konstruktion des dafür nötigen Reaktors stehe schon bald vor einem Durchbruch. Doch so groß die Fortschritte auch scheinen: Viele Experten glauben, dass noch nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt sind. „Ich bin sehr erstaunt gewesen über diese Zahlen“, sagt Hartmut Zohm vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching über das Konzept von Lockheed. Ein neues Reaktordesign soll helfen, das über hundert Millionen Grad heiße Plasma, in dem Wasserstoff-Atomkerne zu Helium verschmelzen und ungeheure Energien freisetzen, im Zaum zu halten.
Der US-Rüstungsriese hatte über ein Projekt seines Labors „Skunk Works“ berichtet, bei dem das Modell einer kompakten Fusionsanlage entstand. Sie soll 100 Megawatt leisten – genug für die Versorgung Zehntausender Haushalte – und bereits in zehn Jahren marktreif sein.
Bisher hatten die meisten Wissenschaftler angenommen, dass das bis zu 50 Jahre dauern dürfte. Das Hauptproblem aus wirtschaftlicher Sicht: Noch ist es nicht gelungen, einen Reaktor zu bauen, der mehr Energie erzeugt, als zum Heizen des ultraheißen Plasmas hineingesteckt werden muss. Anders wäre ein Kraftwerk völlig unrentabel. Große Teile der Forschergemeinde und Fachpresse waren von Lockheeds Ankündigung zwar zunächst elektrisiert – schnell stellten sich jedoch Zweifel ein.
„Wenn es so ist, wie wir es sehen, ist das eher eine Kombination aus zwei Konzepten, die schon alt sind“, meint Zohm. Lockheed wollte die Entwicklung nicht näher kommentieren, betonte aber in einem Papier, „seine Ressourcen (zu nutzen), um eine praktikable, nachhaltige Quelle unendlicher Energie zu entwickeln“. Es gebe Patentanmeldungen.
Und das Thema grüne Atomkraft sei für die USA strategisch wichtig: Es gehe darum zu zeigen, welches „Versprechen die kompakte Fusion für unsere Nation und die Welt als kurzfristige Lösung unserer Energiebedürfnisse“ sowie zur Vermeidung von Konflikten über knappe Ressourcen berge.
Lässt sich das Sonnenfeuer in nicht allzu ferner Zukunft effizient entfesseln? An dieser Aussicht will auch Zohm nicht rütteln. Für die Energieversorgung würde es in der Tat einen Quantensprung bedeuten, denn die zugehörigen Rohstoffe sind fast unbegrenzt verfügbar und billig: Die Wasserstoff-Sorte Deuterium findet sich im Meerwasser, die Sorte Tritium kann aus in der Erde enthaltenem Lithium im Reaktor mit „erbrütet“ werden. Und bei alldem entstehen keine CO2-Emissionen und nur relativ geringe radioaktive Rückstände, deren Aktivität weit rascher abklingt als bei Abfall aus herkömmlichen Spaltungsreaktoren.
Laut einer Studie zum europäischen Energiemarkt ab 2050 könnte die Fusion bei verschärften CO2-Reduktionszielen im Jahr 2100 bis zu 30 Prozent des Strombedarfs decken. Auch deutsche Energiekonzerne haben das Zukunftsthema generell im Blick. Konkrete eigene Forschungen gebe es aber noch nicht, heißt es beim Branchenprimus Eon.
Der Konkurrent RWE, der ebenfalls mit sinkenden Erträgen aus der Gas- und Kohlekraft und den Kosten des deutschen Atomausstiegs zu kämpfen hat, äußert sich ähnlich: „Noch sind dazu keine seriösen Schätzungen möglich.“ Doch das Potenzial der Technologie werde ernst genommen.
Es wäre eine Ironie der Geschichte, sollte sich die Kernkraft in Form der Fusion – der Umkehrung der Kernspaltung mit ihrer strittigen und teuren Endlagerung – im Reifestadium an der Seite der regenerativen Energien etablieren. „Wir brauchen ein System, das zusätzlich zu den Erneuerbaren verlässliche Energie liefert“, erklärt Zohm.
Entscheidend außerdem: Die Fusion wäre wohl grundlastfähig, könnte bei einem laufenden Betrieb der Reaktoren also Netzschwankungen beim Ökostrom abfedern: „Wer weder die Kernspaltung noch die CO2-fördernde Kohleverbrennung will, für den bleibt nur Fusion als Alternative.“
Wie es weitergeht, dürfte von der Kreativität der Forscher ebenso anhängen wie von den finanziellen Spielräumen. Sogar der Konflikt mit Russland wegen der Ukraine-Krise konnte der Zusammenarbeit beim Forschungsreaktor ITER für grüne Atomkraft in Südfrankreich nichts anhaben – neben Moskau und Washington sind die EU-Staaten sowie China, Indien, Japan und Südkorea dabei. Die Basiskosten werden aber auf 16 Milliarden Euro geschätzt, ITER selbst kalkuliert mit 13 Milliarden. Ob der von großen Hoffnungen begleitete Reaktor 2020 starten und die kommerziellen Chancen der Fusion rasch vorantreiben kann, ist noch in der Schwebe.
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