Während die Flüchtlingskrise und die äußerst kritische Lage an den internationalen Finanzmärkten die breite Öffentlichkeit in ihrem Bann halten, bereitet die EU ein interessantes Manöver in der europäischen Energiepolitik vor.
Der Hintergrund: Am 25. Februar 2015 rief das Generaldirektorat der EU Kommission für Energie unter Kommissar und Vizepräsident Šefčovič (der im Zuge der jüngsten Gehaltserhöhung in der EU ebenfalls satt profitiert hat, sonst aber wenig Aktivitäten aufzuweisen hat) die sogenannte „Energieunion” aus. Was auf ersten Blick aussieht wie ein Prestigeprojekt der Kommission in Zeiten, in denen gute Nachrichten aus Brüssel Mangelware sind, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als völkerrechtlich mindestens bedenklich.
Ein Anhang zur Pressemitteilung der Energieunion zählt alle Initiativen auf, die gemeinsam die Energieunion darstellen sollen. Darunter finden sich die Verhandlungen über eine transkaspische Pipeline zwischen Aserbaidschan und Turkmenistan und die Mitte 2015 unterzeichnete Internationale Energiecharta. Beide Initiativen sollen dazu dienen, europäische Energiesicherheit (vor allem Gasimporte) zu garantieren. Auch sollen sie die europäische Abhängigkeit von russischem Gas ein für alle Mal zu beenden (hier und hier). Laut EU-Präsident Jean-Claude Juncker ist das Projekt Chefsache, wie Juncker seinem Vize in einem salbungsvollen Brief erklärt. Interessant: Juncker erwähnt in dem Brief unverhohlen, dass es Ziel der Energie-Union ist, die Abhängigkeit von Russland zu verringern und, wenn es politische Gründe gibt, den Russen schnell den Stuhl vor die Tür setzen zu können. Im Zuge mit dem Freihandelsabkommen TTIP bedeutet dies: Künftig will die EU im Verein mit den USA bestimmen, wie die EU-Staaten ihren Energiemix erstellen.
Was nicht erwähnt wird in dem Anhang: Die Internationale Energiecharter ist eine politische Erklärung ohne juristische Konsequenzen und der völkerrechtliche Status vom kaspischen Meer nach wie vor ungeklärt. Außerdem ist unklar, ob Turkmenistan unabhängig genug von dem großen russischen Nachbarn im Norden ist, um die nötigen Zugeständnisse bei der Gaslieferung durchzusetzen.
Vor allem aber wird in der „Energieunion“ eines hervorgehoben: Europa soll mit einer Stimme sprechen, insbesondere was energiebezogene Außenhandelsbeziehungen angeht. Am 18. November 2015 bereits, nicht einmal ein Jahr nach der Geburt der „Energieunion“ veröffentlichte die EU-Kommission bereits eine Pressemitteilung mit dem staatsmännisch klingenden Titel „State of the Energy Union“, eindeutig angelehnt an die US-amerikanische alljährliche Präsidentialansprache „State of the Union“.
In einem amerikanischen Gerichtsverfahren (im Rahmen der Debatte über die Zulässigkeit von Investitionsschutzverfahren zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten) vergleicht die EU-Kommission Europa gar mit dem föderalen Rechtssystem Amerikas. Laut der EU Kommission sind die 28 EU-Mitgliedstaaten keine souveränen Hoheitsstaaten, sondern vielmehr Teil eines föderalen Europas (Seite 28: „The situation [between two EU Member States] is no different to that in which New York and California conclude a bilateral investment treaty between themselves, which would be impermissible under federal law.“)
Aus Sicht der EU taugt dieses Rechtsauffassung als Grundlage für eine vollständige Entmachtung der Nationalstaaten im Energie-Sektor: Der Anhang zur Pressemitteilung vom 25. February 2015 erwähnt auch Staatsverträge über den Gashandel als wichtigen Teil der gemeinsamen EU-Energiepolitik. Diese Verträge sind unerlässlich für den Bau von Infrastrukturprojekten, wie zum Beispiel die Ostsee-Pipeline Nord Stream (hier und hier). Diese Verträge enthalten wichtige staatliche Zugeständnisse, in etwa über die Übernahme von Baukosten sowie Wiederverkaufsrechte von nicht erneuerbaren Ressourcen wie Gas.
Unter geltendem EU-Recht muss ein EU Mitgliedstaat die EU-Kommission benachrichtigen, sobald solch ein Staatsvertrag von einem EU Mitgliedstaat ratifiziert wurde. Die EU-Kommission entscheidet dann, ob der Vertrag gängigem Europarecht entspricht oder ob er nicht mit EU-Recht vereinbar ist.
Das will die EU-Kommission nun drastisch ändern. Laut der Londoner FT will die EU-Kommission künftig die Möglichkeit haben, diese Verträge bereits vor ihrer Unterzeichnung abzusegnen oder abzulehnen. Bevor das der Fall sein kann, müssen das Europaparlament und der Europarat zustimmen. Aber sollte es dazu kommen, wäre das ein signifikanter Schritt weg von der unantastbaren Staatenhoheit jedes einzelnen EU Mitgliedstaates und hin zu der Verwirklichung einer zentralgesteuerten föderalen EU.
Dass die FT dieses Thema aufwirft, ist kein Zufall: Großbritannien verhandelt gerade mit der EU die Konditionen über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU neu. Die Aufgabe der Souveränität des Landes im Energie-Bereich dürfte nicht gerade eine Idee sein, die bei den Briten die Lust auf mehr EU steigern wird.