Politik

Rätselhafter Anschlag in Ankara erhöht Kriegs-Gefahr in Nahost

Die türkische Regierung stellt nur wenige Stunden nach einer Explosion in Ankara fest: Es war ein Anschlag, verübt von den Kurden aus Syrien. Belege für diese Behauptungen gibt es nicht. Die Dramaturgie erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Einmarschs in Syrien. Am Donnerstag nahm die Türkei ihren Beschuss des Irak wieder auf. Unklar ist, ob die Türkei die Nato um Hilfe anruft.
18.02.2016 11:23
Lesezeit: 4 min
Rätselhafter Anschlag in Ankara erhöht Kriegs-Gefahr in Nahost
Der Tatort mitten im schwer bewachten Regierungsviertel von Ankara. (Foto: Daily Sabah)

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Bei einer Explosion mitten in einem Militärgelände im Regierungsviertel in Ankara soll es sich nach Angaben der türkischen Regierung um einen Terror-Anschlag gehandelt haben. Der Ort der Explosion befindet sich in unmittelbarer Nähe des Luftwaffenkommandos und des türkischen Generalstabs. Dieses Gelände wird wegen seiner Bedeutung von Militär und Sicherheitskräften bewacht wie kaum ein anderer Ort in Ankara. Ein illegales Eindringen in dieses Gelände ist faktisch unmöglich. Swlbstverständlich haben auch Medien zu dem Areal keinen Zutritt, um über Ereignisse zu berichten.

Es wurde eine Nachrichtensperre verhängt. Über die Ereignisse gibt es keinerlei gesicherte Erkenntnisse. Es gibt ein CNN-Video, dass einen Brand hinter einer Mauer zeigt. Ferner gibt es Fotos, die einen Bus vorher/nachher zeigen. Auf beiden Fotos erscheint der Bus leer.

Ähnlich wie bei dem bis heute rätselhaften Anschlag von Istanbul, bei dem 10 deutsche Staatsbürger umkamen, verfügt die türkische Regierung bereits wenige Stunden nach der Tat über detaillierte Erkenntnisse über den Täter. Normalerweise dauern die Ermittlungen in solchen Fällen Wochen oder Monate. Viele Selbstmordanschläge können wegen der großen Zerstörung überhaupt nicht zweifelsfrei aufgeklärt werden.

Die türkische Regierung hat dessen ungeachtet begonnen, ihrer Interpretation zu verbreiten: Bei dem Attentäter von Ankara soll es sich um ein Mitglied der syrischen Kurden-Miliz YPG handeln. Nach einem Bericht der türkischen Zeitung Sözcü soll der Ankara-Attentäter von Mittwochabend ein im Jahr 1992 geborener syrischer Staatsbürger mit dem Namen Salih Nejar sein, der im Juli in die Türkei eingereist sein soll. Der 24-Jährige soll aktives Mitglied der syrischen Kurdenorganisation PYD/YPG sein. Die PYD/YPG wird von der Türkei als der syrischer Ableger der PKK als "Terroristen-Gruppe" eingestuft. Die Identität von Nejar wurde nach Polizeiangaben anhand von forensischen Maßnahmen ermittelt. Nejar soll selbst kam bei dem Anschlag, der insgesamt 28 Menschen in den Tod riss, ums Leben gekommen sein.

Der türkische Premier Ahmet Davutoğlu gab am Donnerstagvormittag eine Pressekonferenz in Ankara. Er berichtet, dass hinter dem Anschlag die syrische PYD/YPG stecke. Im Zusammenhang mit dem Anschlag seien neun Personen festgenommen worden. Sowohl die YPG als auch die PKK seien in diesem Sinne lediglich „Handlager“, die von anderen Kräften benutzt und gezielt gegen die Türkei eingesetzt werden, so Davutoğlu. „Sie wollen, dass die Türkei in einen türkisch-kurdischen Bürgerkrieg untergeht. Diese Handlanger werden unter anderem vom syrischen Regime benutzt. Der syrische UN-Botschafter hat erst vor kurzem gesagt, dass das Regime die YPG aktiv und offen unterstütze. Es gibt noch weitere Staaten, die der YPG Unterstützung zukommen lassen. Ich fordere Russland dazu auf, diese Organisation nicht gegen die Türkei zu missbrauchen“, so Davutoğlu.

In Richtung der USA und der Nato sagte er: „Wir können nicht akzeptieren, dass Staaten, mit denen wir Seite an Seite in Afghanistan kämpfen, diese Organisationen gegen uns unterstützen. Wir fordern dieselbe Solidarität, die wir nach 9/11 gezeigt haben.“ Es ist unklar, ob dies ein Aufruf zum Beistand an die Nato ist.

Besonders die Erwähnung von 9/11 ist in diesem Zusammenhang interessant: Nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York im September hatten die USA den Krieg gegen den Terror ausgerufen. Der Bündnisfall wurde aktiviert - und ist bis zum heutigen Tage aufrecht. Damit haben die USA weitreichende militärische Befugnisse in der Welt, alle Nato-Staaten sind verpflichtet, die US-Aktivitäten zu unterstützen.

Offiziell hat die Nato bisher im Hinblick auf einen Einmarsch in Syrien abgewunken.

Die PKK weist eine direkte Verantwortung für den Anschlag in Ankara zurück. Der PKK-Führer im Kandil-Gebirge, Cemil Bayik, sagte der PKK-nahen Nachrichtenagentur ANF: „Der türkische Staat führt in Kurdistan einen schmutzigen Krieg. Das kurdische Volk und die kurdische Jugend werden all ihre Möglichkeiten ausschöpfen, um gegen den türkischen Staat zu kämpfen und Widerstand leisten. Es wird diesbezügliche Aktionen geben, die ohnehin stattfinden. Wir fordern unser Volk in den türkischen Metropolen auf, auf die Straße zu gehen und Widerstand gegen den türkischen Staat zu leisten. Wir wissen zwar nicht, wer den Anschlag verübt hat, doch die kurdische Jugend ist ohnehin jederzeit zu Aktionen bereit.“

Der Führer der PYD/YPG in Syrien, Salih Muslim, sagt, dass seine Organisation nichts mit dem Attentat in Ankara zu tun habe. „Die Kurden haben mit diesem Anschlag nichts zu tun. Was da passiert ist hängt mit dem Kampf der Türkei gegen den IS zusammen. In der Türkei gibt es Elemente des IS“, zitiert ihn die Zeitung Birgün. Es ist logisch, dass die YPG die Lesart bevorzugt, dass der IS der Täter gewesen sein soll: Unterstützt von den Amerikanern und Russen kämpft die YPG in Syrien gegen den IS.

Am Donnerstagvormittag ist es im Südosten der Türkei zu einem erneuten Anschlag auf ein Militärkonvoi gekommen. Bei dem Anschlag kamen sieben Soldaten ums Leben, berichtet die Zeitung Sözcü.

Die türkische Luftwaffe bombardierte am Mittwochabend Stellungen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak, wie der irakische Fernsehsender Al Sumaria berichtete.

Es ist denkbar, dass die Ereignisse zum Anlass für einen türkischen Einmarsch in Syrien genommen werden.

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