Politik

Genschers Vermächtnis: „Ohne Russland gibt es keine Stabilität in Europa“

Hans-Dietrich Genscher kritisierte zu Lebzeiten, dass die Nato ihr Versprechen, keine Ost-Erweiterung gegen Russland betreiben zu wollen, nicht gehalten habe. Er war ein Gegner der Russland-Sanktionen. Sein Plädoyer: „Es gibt in Europa keine Stabilität ohne Russland, und erst recht nicht gegen Russland.“
02.04.2016 02:22
Lesezeit: 2 min

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

Im Buch „Hans-Dietrich Genschers Außenpolitik“ von Kerstin Brauckhoff und ‎Irmgard Schwaetzer heißt es:

„Obwohl die OSZE Anfang der 1990er Jahre als der gesamteuropäische Sicherheitsrahmen betrachtet wurde, der die Staaten von Vancouver bis Wladiwostok umfasst, schob sich die Nato in den Vordergrund, was Genscher als ,Rückfall in machtpolitisches Denken‘ kritisierte (…) So sei die Nato-Osterweiterung vom falschen Glauben ausgegangen, ,Sicherheit und Stabilität in Europa seien ohne oder gar gegen Russland und die anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu gewährleisten (…) Der Ukraine-Konflikt scheint ihm Recht zu geben.“

Im August 2015 hatte er im Interview mit der SZ er den aktuellen Konfrontationskurs der Nato gegen Russland kritisiert: „Wir leben heute in einer globalisierten Welt und sind viel mehr als früher auf Kooperation zwischen den Staaten angewiesen. Die alte Politik der Konfrontation – Wer ist der Stärkere? Wer hat das Sagen? – ist unzeitgemäß. Wir brauchen die gemeinsame Kraft aller, um die Krisen um uns herum zu lösen. Dass wir dort, wo wir kooperieren, auch erfolgreich sind, hat vor Kurzem das Iran-Abkommen gezeigt. Die Russen hätten das locker blockieren können, wenn sie gewollt hätten. Haben sie aber nicht. Das heißt: Wenn beide Seiten es wollen, kann man.

Als Forum für die Verständigung zwischen der Nato und Russland biete sich der „NATO-Russland-Rat“ an, der in den Medien nicht erwähnt wird. „Dass davon so wenig Gebrauch gemacht wird, verstehe ich nicht. Dieser Rat wurde ja gerade für diese Zeiten gemacht – nicht wenn die Sonne scheint, sondern wenn es regnet. Ich höre immer wieder, wie schwer es ist, alle gemeinsam an den Tisch zu bekommen. Natürlich ist das eine beschwerliche Prozedur“, so Genscher.

Die westlichen Sanktionen gegen Russland hielt er für falsch, da sie „nicht die Wirkung haben werden, die man sich“ erhoffe. Außerdem leide die deutsche Wirtschaft unter den Sanktionen. Das Ziel des Endes des Kalten Kriegs sei es gewesen, die Teilung Europas zu beenden. Stattdessen sei die Teilungsgrenze Europas nach Osten verschoben worden, kritisierte Genscher die Nato-Osterweiterung.

Ein Jahr zuvor sagte er zur Sanktionspolitik in der Phoenix-Sendung „Im Dialog“: „Ich habe meine Zweifel, ob wir am Ende sagen werden, das war eine besonders erfolgreiche Unternehmung (…) Sanktionen sind wie eine Leiter, immer eine Stufe höher, und auf einmal ist sie zu Ende. Dann stehen sie vor der Frage, ob sie wieder runterklettern oder runterspringen. Das möchte ich uns lieber ersparen.“

Die Empörung von Putin über Stationierungen von Truppen und Waffensystemen an der russischen Westgrenze hielt Genscher für berechtigt. Genscher wörtlich: „Russland hat natürlich auch akzeptiert, dass die unabhängig gewordenen Staaten Mitglied der Europäischen Union wurden. Wenn aber dann, zusätzlich zur Nato-Mitgliedschaft, etwas nicht mehr eingehalten wird, was man zugesagt hatte, wie in der Nato-Erklärung von 1997, die besagt, dass man nicht ständige Stationierungen in den neuen Mitgliedsländern vornehmen will, und dann dort Raketenabwehrstellungen gebaut werden sollen, dann bedeutet das eine Veränderung.“

Um Putin verstehen zu können, sei es wichtig, sich mit seinen Motivationen auseinander zu setzen: „Putin ist ein Mann, der eine klare Zielsetzung hat, eine Position zu schaffen, die nichts mehr zu tun hat mit der Schwächeposition eines Jelzins. Es lohnt sich, wenn man Politik mit diesem grossen Land macht. Es gibt in Europa keine Stabilität ohne Russland, und erst recht nicht gegen Russland.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Apple-Aktie rutscht ab: Jefferies-Analyst senkt Kursziel – jetzt Apple-Aktie kaufen?
21.01.2025

Die Apple-Aktie steht am Dienstag mächtig unter Druck. Ein skeptischer Analystenkommentar sowie schwächere Verkaufszahlen in China sorgen...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienmarkt-Entwicklung 2025: Stimmung hellt sich auf, welche Segmente sind die Favoriten?
21.01.2025

Nachdem das Transaktionsvolumen auf dem Immobilienmarkt für zwei Jahre deutlich zurückgegangen war, hat er sich vergangenes Jahr...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Steigende Sozialabgaben pushen Schwarzarbeit: Handwerk wird unbezahlbar
21.01.2025

Steigende Sozialabgaben sorgen für steigende Preise: Das Handwerk fordert jetzt eine Sozialabgabenbremse, sonst werden Handwerksarbeiten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft IfW Kiel zur Trump-Präsidentschaft: "Zeiten der immer schnelleren Globalisierung vorbei"
21.01.2025

Für die deutsche Wirtschaft ist die Präsidentschaft von Donald Trump laut dem Wirtschaftsinstitut IfW Kiel mit erheblichen Unsicherheiten...

DWN
Politik
Politik Gericht bestätigt: Sächsische AfD darf als rechtsextrem bezeichnet werden
21.01.2025

Der sächsische Landesverband der AfD hatte 2023 gegen die Einschätzung des Verfassungsschutzes Beschwerde eingelegt, die Partei als...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis und Ölpreis: Trumps zweite Amtszeit könnte turbulent für den Rohstoffmarkt werden
21.01.2025

Donald Trump ist zum zweiten Mal US-Präsident – turbulente Zeiten scheinen sicher. Unmittelbare Auswirkungen kommen auf den...

DWN
Panorama
Panorama Macht Elon Musk hier den Hitlergruß? Wirbel um Video im Netz
21.01.2025

Bei einer Parade zu Trumps Amtseinführung reckt Elon Musk den ausgestreckten Arm zum Publikum. Viele wollen darin einen Hitlergruß...

DWN
Politik
Politik Trump erlässt Austritt aus Weltgesundheitsorganisation: "Die WHO hat uns abgezockt"
21.01.2025

Donald Trump verfügt in einem Präsidentenerlass, die Weltgesundheitsorganisation zu verlassen. Die WHO habe schlecht auf die...