Politik

Brasilien: Parlament lässt Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Rousseff zu

Lesezeit: 2 min
18.04.2016 10:23
Das brasilianische Parlament hat den Weg für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Dilma Rousseff frei gemacht. Für die sehr eng in einen Korruptionsskandal verwickelte Präsidentin wird es eng.

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

In einer turbulenten Sitzung hat das brasilianische Parlament den Weg für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Staatspräsidentin Dilma Rousseff frei gemacht. Die nötige Zweidrittelmehrheit von 342 Stimmen wurde am späten Sonntagabend (Ortszeit) in Brasília deutlich überschritten. Zuvor hatte Rousseffs linke Arbeiterpartei (PT) bereits ihre Niederlage eingeräumt. Nach dem Votum im Abgeordnetenhaus entscheidet nun der Senat über die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen die 68-Jährige.

„Die Verschwörer des Staatsstreichs haben hier gewonnen“, sagte der Fraktionschef der linken Arbeiterpartei (PT), José Guimaraes, laut AFP noch während der Abstimmung im Parlament. Rousseffs Regierung erkenne die „vorübergehende Niederlage“ an, sagte er. „Aber das bedeutet nicht, dass der Krieg vorbei ist. Der Kampf wird auf der Straße und im Senat weitergehen.“

Für die Einleitung des Verfahrens waren im Abgeordnetenhaus die Stimmen von mindestens 342 der 513 Parlamentarier nötig. Als die Marke nach mehreren Stunden der Abstimmung erreicht wurde, brach Jubel im Lager der Rousseff-Gegner aus. Insgesamt stimmten 367 Abgeordnete für eine Amtsenthebung Rousseffs und 137 Abgeordnete dagegen. Sieben Parlamentarier enthielten sich, zwei blieben der Abstimmung fern.

Die Unterhausdebatte hatte am Freitag begonnen. Die entscheidende Sitzung am Sonntag wurde von Parlamentspräsident Eduardo Cunha, einem vehementen Gegner Rousseffs, in einer aufgeheizten Stimmung eröffnet. Abgeordnete brüllten durcheinander, einige sangen patriotische Lieder, andere hielten Spruchbanner hoch, in denen sie die geplante Amtsenthebung als „Putsch“ verurteilten.

Auch die letzten Redebeiträge der Parteichefs vor der Abstimmung wurden immer wieder auf diese Weise unterbrochen. Einige Abgeordnete sangen Parodien auf Rousseff. Ein Parlamentarier feuerte sogar eine Konfetti-Kanone ab.

Nach dem grünen Licht des Unterhauses wird sich nun voraussichtlich im Mai das Oberhaus mit dem Fall befassen. Eine einfache Mehrheit im Senat würde genügen, um das Amtsenthebungsverfahren in Gang zu bringen. Rousseffs Amtsführung würde dann vorübergehend für bis zu 180 Tage ausgesetzt. Ihr derzeitiger Vertreter Michel Temer müsste dann die Amtsgeschäfte übernehmen.

Temers rechtsliberale Partei der demokratischen Bewegung (PMDB) hatte die Koalition mit Rousseffs linker Arbeiterpartei aufgekündigt und will die Absetzung der Präsidentin erreichen. Die frühere Guerillakämpferin wird unter anderem für Korruption und die schlechte wirtschaftliche Entwicklung des Landes verantwortlich gemacht. Zudem wird ihr zur Last gelegt, Haushaltszahlen geschönt zu haben. Laut Umfragen sind inzwischen mehr als 60 Prozent der Brasilianer für eine Amtsenthebung Rousseffs.

Die Abstimmung war begleitet von Demonstrationen beider Lager in mehreren brasilianischen Städten. In der Hauptstadt Brasília trennte ein Metallzaun die Gegner und Unterstützer der Präsidentin, tausende Polizisten waren im Einsatz. Vor dem Parlamentsgebäude verfolgten Zehntausende die live auf Leinwänden übertragene Sitzung. Die Polizei gab die Zahl der Rousseff-Gegner mit 53.000 an, die der Anhänger mit 26.000.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Bildung für die Zukunft SOS-Kinderdorf Thüringen im Einsatz für die Demokratie

In einer Zeit, in der die Unzufriedenheit mit der Politik wächst, engagiert sich das SOS-Kinderdorf Thüringen mit einem Demokratieprojekt...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Clean Industrial Deal: Warum die EU jetzt handeln muss
26.12.2024

Vor fünf Jahren setzte die EU mit dem Europäischen Green Deal neue Maßstäbe im globalen Klimaschutz. Heute, angesichts wachsender...

DWN
Politik
Politik „Atomkraft? Nein Danke“: Habeck-Ministerium manipulierte wohl AKW-Studie für Atomausstieg
26.12.2024

Manipulation im Wirtschaftsministerium? Wie interne Unterlagen jetzt aufdecken, soll das Wirtschaftsministerium unter Robert Habeck gezielt...

DWN
Politik
Politik Papst eröffnet Heiliges Jahr mit Hoffnungsbotschaft
26.12.2024

Ein strammes Programm hatte der gesundheitlich angeschlagene Papst an Weihnachten zu stemmen: Er eröffnete das Heilige Jahr der...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Deutschland schafft Gasspeicherumlage ab: Entlastung für Nachbarländer, Mehrkosten für Verbraucher
26.12.2024

Deutschland verabschiedet sich von der umstrittenen Gasspeicherumlage an Grenzübergangspunkten zu Nachbarländern. Mit einer Änderung des...

DWN
Immobilien
Immobilien Sechs Jahre Mietenstopp: Können Mietpreiserhöhungen gesetzlich verboten werden?
26.12.2024

Der aktuelle Wohnmarkt bereitet Volk wie Bundesregierung Kopfzerbrechen. Laut Umfragen glauben immer weniger Deutsche daran, sich den Traum...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Überstunden steuerfrei: Ab 2025 wird es Realität?
26.12.2024

Überstunden ab 2025 steuerfrei? Wenn diese Pläne Wirklichkeit werden, könnten Arbeitnehmer von einer höheren Auszahlung ihrer...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Kann Automatisierung die deutsche Industrie retten?
26.12.2024

Die deutsche Wirtschaft kämpft mit Fachkräftemangel und explodierenden Kosten. Wie können Automatisierung und Robotik diese...

DWN
Politik
Politik Wahlforscher Jung: Die Union hat ein "Merz-Problem" - und Habeck eine gute Chance
26.12.2024

Es sei sehr wahrscheinlich, dass Unionskandidat Merz der nächste deutsche Bundeskanzler wird, sagt Wahlforscher Matthias Jung. Doch er...