Politik

Prognosen: Großbritannien verlässt die EU

Die Prognosen für das britische EU-Referendum ergeben, dass Großbritannien aus der EU austreten wird. Der EU-Gegner Nigel Farage fordert den Rücktritt von Premierminister Cameron. Das britische Pfund fällt auf ein 30-Jahres-Tief.
24.06.2016 06:36
Lesezeit: 2 min

Großbritannien steuert auf einen Austritt aus der Europäischen Union zu. Die tiefe Spaltung im Land hatte zunächst zu einem stundenlangen Kopf-an-Kopf-Rennen geführt. Nach dem nächtlichen Wahlkrimi meldete die BBC am frühen Freitagmorgen auf Basis von Auszählungen dann aber, dass sich die Briten für einen Ausstieg entschieden hätten. Das Lager der Brexit-Befürworter zeigte sich schon siegesgewiss, als sich eine Mehrheit für ein Ende der über 40-jährigen Mitgliedschaft in der Gemeinschaft herauskristallisierte. Der Chef der UKIP, Nigel Farage, forderte Premierminister David Cameron zum sofortigen Rücktritt auf. Weil nun eine Wirtschaftskrise befürchtet wird, brach an den weltweiten Börsen Panik aus. Das Pfund stürzte zum Dollar auf den niedrigsten Stand seit mehr als 30 Jahren.

Die Stärke des Brexit-Lagers kam überraschend. Letzte Umfragen hatten noch ein Votum für einen EU-Verbleib ergeben. Aber nach Auszählung der Hälfte der Wahlkreise lagen die Brexit-Befürworter laut Reuters-Berechnungen gut 51 zu 49 Prozent in Führung. Laut ITV kamen sie nach Auswertung von über zwei Dritteln der Bezirke auf 11,59 Millionen Stimmen, die EU-Anhänger nur auf 10,88 Millionen. Auch bei den Buchmachern wendete sich das Blatt im Laufe der Nacht immer wieder: Schließlich lag die Wahrscheinlichkeit eines Brexit aber bei über 90 Prozent, nachdem zuvor die Chance auf einen Verbleib oft bei über drei Viertel gesehen worden war.

Die Wahlbeteiligung lag bei gut 72 Prozent - an einem Tag, der unter anderem London sintflutartige Regenfälle gebracht hatte. Mit dem offiziellen Ergebnis wird am Freitag ab 08.00 Uhr morgens gerechnet. Weil die gut 46 Millionen Wahlberechtigten mit ihrem Europa-Votum auch die Weichen für die Zukunft des ganzen Kontinents stellen, wurde das Referendum über die Landesgrenzen hinweg und nicht zuletzt an den Finanzmärkten mit großer Aufmerksamkeit verfolgt.

Die Aussicht auf einen Austritt der Briten aus der 28 Mitglieder starken Gemeinschaft ließ die britische Währung abstürzen. Das Pfund brach um mehr als neun Prozent auf 1,3466 Dollar ein. Die Börsen in Frankfurt, London und New York hatten am Donnerstag noch in Erwartung eines Siegs der EU-Anhänger deutlich im Plus geschlossen. Der Tokioter Nikkei gab dagegen nach den Ergebnissen mehr als sieben Prozent nach.

Die Finanzminister der sieben führenden Industrienationen (G7) bereiteten Japan zufolge eine Erklärung vor, um die Märkte zu beruhigen, sollte die EU tatsächlich ihre zweitgrößte Volkswirtschaft verlieren. Für den Morgen wurde eine Pressekonferenz anberaumt.

Premierminister David Cameron hat für einen Verbleib in der EU geworben, nachdem er in Brüssel Sonderregelungen für die Briten ausgehandelt hatte. Sein Hauptkontrahent in dem hitzigen Wahlkampf war der Londoner Ex-Bürgermeister Boris Johnson. Sein Lager propagierte eine Abkehr von der EU mit der Warnung vor einer ungebremsten Einwanderung von Ausländern. Die EU-Anhänger um Cameron konterten mit dem Schreckensbild einer Rezession und einem massenhaften Verlust von Arbeitsplätzen.

Brexit-Vorreiter Farage erklärte, der 23. Juni werde als Unabhängigkeitstag in die britische Geschichte eingehen. Es handele sich um einen Sieg für ganz Europa. Er hoffe, dass ein Brexit die gesamte EU zu Fall bringe. Die Befürworter eines Ausstiegs hätten gegen die Großbanken und multinationale Konzerne gekämpft. Gewonnen hätten letztlich die kleinen Leute.

Ein Austritt Großbritanniens droht die EU in ihren Grundfesten zu erschüttern. Es wird ein Domino-Effekt befürchtet, bei dem weitere Länder ihre EU-Bande lockern oder ganz aufgeben könnten. Der vermutlich jahrelange Trennungsprozess wird für Unternehmen und Investoren große Ungewissheit bringen.

Cameron dürfte jetzt unter massiven Druck auch seiner eigenen konservativen Partei geraten. Denn die Tories sind in der Frage der EU-Mitgliedschaft tief gespalten und geben ihrem Vorsitzenden eine Mitschuld für diesen parteiinternen Zwist. Einer der Gründe dafür ist, dass Cameron lange selbst als euroskeptisch galt und vor dem Referendum dann einen Pro-EU-Kurs eingeschlagen hat. Nach einem Bericht des "Telegraph" forderten jedoch 80 konservative Abgeordnete - darunter alle Minister - von Cameron, unabhängig von dem Wahlausgang im Amt zu bleiben.

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